Napoleon (2023)
Eine Filmkritik von
Höher, immer höher
1,932 Millionen Euro! Für eben diesen Preis, eine Rekordsumme, wurde am 19.11.2023 in Frankreich einer der berühmten Zweispitzer Napoleon Bonapartes versteigert. Der Korse, der in den Wirren der Französischen Revolution seinen Aufstieg begann, scheint noch immer zu faszinieren. Wie passend, dass nur ein paar Tage später Ridley Scotts monumentale Filmbiografie über Leben und Wirken des Feldherrn und Kaisers in die Kinos kommt. In der Hauptrolle zu sehen ist in der von den Apple Studios in Auftrag gegebenen Produktion Joaquin Phoenix, dem der quergetragene Hut mit den zwei Enden wunderbar steht. Auch sonst macht der für seine Joker-Darbietung mit einem Oscar bedachte US-Schauspieler eine gute Figur, was man über den Film insgesamt leider nicht sagen kann. Zumindest die 159-minütige Leinwandfassung schleppt so manches Problem mit sich herum. Der bereits angekündigte, angeblich viereinhalb Stunden lange Director’s Cut, der irgendwann bei der Streaming-Plattform Apple TV+ erscheinen soll, könnte einiges bereinigen. Vielleicht ist die überlebensgroße Persönlichkeit Napoleon aber selbst damit nicht richtig zu fassen.
Die Kinoversion setzt in den turbulenten Revolutionstagen ein. Zu einem Zeitpunkt, so informieren uns einleitende Texttafeln, da der Militärstratege Bonaparte bereits handfeste Ambitionen verfolgt. Nur in eine Richtung soll es gehen: nach oben. Dafür scheut Napoleon nicht davor zurück, sich selbst mitten ins Getümmel zu schmeißen, um wichtige Siege davonzutragen. Ein solcher ist das Ende der Belagerung von Toulon im Dezember 1793, die maßgeblich der Taktik des korsischen Ehrgeizlings zu verdanken ist. Zunächst etwas angespannt, dann wild entschlossen stürzt sich der Film-Napoleon dem wichtigen Triumph entgegen, der ihn näher an das neue Machtzentrum, die mit Terror operierende Herrschaft der Jakobiner, heranführt.
Schon in der Anfangsphase des Films wird einer der zentralen Knackpunkte offenbar: Das komplexe Interessengewirr, die unterschiedlichen Phasen der Französischen Revolution, prominente historische Persönlichkeiten, deren Haltungen und Handlungsmotive fliegen zuweilen regelrecht am Publikum vorbei. Hier und da werden Namen und berufliche Positionen ins Bild geschrieben. System haben die Orientierungshinweise jedoch nicht. Ein handfestes Gefühl für die Umbruchszeit zu vermitteln, diese Aufgabe bleibt Napoleon weitgehend schuldig. Was auch deshalb schade ist, weil sich leicht Parallelen zu aktuellen Verwerfungen ziehen ließen. Immerhin nutzen auch heute geltungssüchtige Autokraten in allen Teilen der Welt die Unsicherheit der Menschen und ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen schamlos aus. Im Film mag Napoleon mehrfach davon sprechen, dass er Frieden für Europa wolle. Einmal als Kaiser an der Spitze angekommen, geht es ihm aber sichtbar vor allem um Machterhalt und das eigene Ansehen.
Joaquin Phoenix verkörpert den Titelantihelden charismatisch, als Bündel unterschiedlicher Facetten: stoisch, aufgebracht, auf alberne Weise lüstern und bockig wie ein Kind, das einfach alles sofort haben möchte – zwischen diesen Polen pendelt seine intensive Performance, die dennoch eine gewisse Leere nicht kaschieren kann. Gerade in wichtigen historischen Momenten versteht man häufig nicht, wie Napoleon zu seinen Entscheidungen kommt, wie genau er denkt, wie seine Strategie im Einzelnen aussieht. Aufstieg und Bestandswahrung um jeden Preis – diese Aspekte nimmt man in erster Linie aus Scotts Kinofassung mit.
Ambivalentes Herzstück des Films soll die Beziehung zwischen dem Emporkömmling und seiner ersten Ehefrau Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) sein, mit der der Herrscher kein Kind zeugen kann. Napoleon braucht einen Erben und opfert seine Gattin letztlich den eigenen Machtinteressen, bleibt aber weiterhin eng mit ihr verbunden. Das Biopic deutet ein spannendes Verhältnis, teilweise auf Augenhöhe, an. Die in Dialogen und Briefausschnitten bekräftigte Behauptung, Napoleon hätte ohne sie nicht so erfolgreich sein können, unterfüttert die Handlung allerdings nie mit stichhaltigen Belegen. Zu wenig darf sich Joséphine entfalten. Zu selten gibt es wirklich einmal die Chance, tiefer in die Partnerschaft einzutauchen.
Dass wir mitunter im Schweinsgalopp von Station zu Station eilen, ist schade. Anerkennen muss man aber sehr wohl, wie überzeugend die handwerkliche Seite ausfällt. Ridley Scott ist noch immer ein Regisseur, dem viel Geld anvertraut wird. Geld, das man hinterher auch auf der Leinwand wiederfindet. Das Kostüm- und Szenenbild von Napoleon lässt die Epoche lebendig werden. Die Aufnahmen von Kameramann Dariusz Wolski sind stimmungsvoll und entfalten, besonders in den Schlachtsequenzen, eine Wucht, die im CGI-lastigen Blockbuster-Kino nicht mehr oft zu finden ist. Kämpfe, das Aufeinanderprallen menschlicher Körper, sehen hier, auch wenn digitale Hilfsmittel ebenfalls zum Einsatz kommen, weniger künstlich aus, fühlen sich erdig und dreckig an.
Tolle Schauwerte liefert Napoleon im Überfluss. Inhaltlich liegt jedoch zu viel im Argen, um der Titelfigur und ihrer Zeit vollauf gerecht zu werden. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, sich auf einen bestimmte Spanne zu konzentrieren. Eventuell könnte auch ein Serienformat das Ganze besser tragen. Gespannt sein darf man vor diesem Hintergrund nicht nur auf die deutlich längere Streaming-Version. Bei der Berlinale 2023 überraschte kein Geringerer als Steven Spielberg mit der Ankündigung, er wolle das legendäre, nie realisierte Napoleon-Projekt seines verstorbenen Kollegen Stanley Kubrick vollenden – nicht als großes Leinwandepos, sondern als aufwendige Serie.
Napoleon (2023)
„Napoleon“ bietet eine eigenständige und persönliche Perspektive auf Napoleons Anfänge und seinen schnellen Aufstieg zum Kaiser, betrachtet aus dem Blickwinkel seiner von emotionaler Abhängigkeit geprägten, unbeständigen Beziehung zu seiner Frau und einzig wahren Liebe Josephine. Der Film erzählt von Napoleons berühmten Schlachten, seinem unerbittlichen Ehrgeiz und seinen erstaunlichen Fähigkeiten als Stratege, Anführer und Kriegsvisionär.
- Trailer
- Bilder
- Sony Pictures Releasing GmbH
- Sony Pictures Germany
- Sony Pictures Releasing GmbH
- Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
- Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
- Sony Pictures Releasing GmbH / Apple TV+
Meinungen
Wenn ich eine Dokumentation sehen will, gehe ich nicht ins Kino. Napoleon ist genauso wie Gladiator nicht historisch korrekt! Ich will unterhalten werden! Und dafür ist der Film hervorragend geeignet, wenn man an solchen Filmen interessiert ist! Natürlich haben wir abends bei einem Glas Rotwein noch diskutiert - aber insgesamt ist das Urteil positiv! Ach ja, gesehen wurde der Film in der französischen Provinz und keiner hat das Kino empört verlassen!
Wow
Ich finde es schon sehr verwunderlich, dass die wohl entscheidende Schlacht der Befreiungskriege, die Völkerschlacht im Film nicht einmal erwähnt wird und nach dem Russlandfeldzug direkt auf das erste Exil Napoleons geschwenkt wird.
Das ist ja das Problem: Wie schafft man es Napoleon in 160 Minuten zu zeigen? In den Minuten war seine Geschichte abgespeckt (siehe meinen Kommentar). Ob die angekündigte directors Cut mehr zeigt lässt sich nur abwarten.
Allen voran: Ich glaube die meisten erwarten eine Dokumentation - keinen Spielfilm. Das spiegelt sich auch teilweise in den Kritiken und Kommentaren vieler wieder. Wo ich aber in Einklang vieler Kritiken bin ist, dass der große FauxPas das Geburtsdatum von Napoleon falsch übermittelt worden ist.
Ansonsten überzeugt der Film in einer atemberaubenden Kostümierung, Szenerie und Tontechnik (Für alle Akustiker).
Die schauspielerische Leistung von J. Phönix ist sehr gut und lies mich in den ersten 10 Minuten noch nicht los den Joker ins Gesicht zu blicken: allerdings verschwand dieses Bild kurzerhand und ich konnte mich auf den Napoleon Phönix einlassen.
Die Schlachten sind gut in Szene gesetzt, auch wenn nur kurz (vielleicht sehen wir in der Directors Cut mehr) auf der Leinwand für mein Geschmack und die Geschichte auch um Napoleon Bonaparte ist ausdrucksvoll erzählt (wenn auch mit historischen Missgeschicken).
Man kann allerdings darüber hinweg schauen wenn man sich auf einen Spielfilm, und das ist ja schon der Clou am Wort: SPIELfilm einlässt.
Für alle die nach einem Film alten Stil, fast dokumentarisch interessieren kann ich „Waterloo“ von Sergej Bondartschuk empfehlen. Danach kann man sich gerne die Frage selbst stellen: Wie setzt man einen solchen Menschen nun auf die große Leinwand?
Ich sehe diesen N nicht als Helden, sondern als einen der grössten Kriegsverbrecher in der Geschichte der Menschheit. Goethe, Beethoven und v.m. liessen sich anfangs täuschen, doch seine Taten haben diesen Grosssen die Augen geöffnet. Wie kann man ihn heute noch glorifizieren, diesen Lustmörder. Muss man das auf den aktuellen Zustand der USA zurückführen?