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In seinem ersten abendfüllenden Spielfilm entführt uns der in München lebende German Kral in seine argentinische Geburtsstadt kurz nach der Jahrtausendwende. Ein Film über Tango in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.

Adios Buenos Aires (2023)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Abschied vom Abschied

Wäre das Leben ein Tanz, dann wäre es in German Krals neuem Film ein langsamer Tango, sich zwischen Melancholie und Euphorie, zwischen Liebe und Wut hin und her wiegend, bevor er auf einer hoffnungsvollen Note endet. Nach mehreren Dokumentarfilmen über Tanz und Musik gibt der in München lebende Argentinier damit sein Spielfilmdebüt.

Kral, 1968 in Buenos Aires geboren, zog 1991 zum Studium nach Deutschland und blieb. In seinen Dokumentarfilmen blickt er immer wieder auf seine alte Heimat. Der Protagonist seines ersten abendfüllenden Spielfilms wiederum blickt sehnsüchtig nach Deutschland, dem Land seiner Vorfahren, in das er auswandern möchte. Doch Julio Färber (Diego Cremonesi), der tagsüber in seinem kleinen Schuhladen, in den schon lange kein Kunde mehr einen Fuß gesetzt hat, und abends mit seinem Tango-Quintett auf der Bühne steht, kommt andauernd etwas dazwischen. 

Sein Auto, das Julio verkaufen will, um sich die Flugtickets nach Berlin leisten zu können, fährt er zu Schrott, als die impulsive Taxifahrerin Mariela (Marina Bellati) ungebremst in sein Leben rauscht. Die Beinahe-Kollision mit der alleinerziehenden Mutter führt jedoch nicht geradewegs in die erwartbare Romanze, sondern nimmt einige lustvoll-frustvolle Abzweigungen. Nicht nur das Leben, auch Krals Film selbst, in dem der gesungene und getanzte Tango die eigentliche Hauptrolle spielt, ist wie ein Tango: ein beständiges, sich aneinanderschmiegendes Hin und Her und Vor und Zurück.

Julio, der im Quintett das Bandoneon spielt, tanzt den Tango gleich auf mehreren Baustellen. Je mehr Altlasten er loswird, um sich sein neues Leben in Deutschland aufbauen zu können, desto weniger wollen seine Mutter Dorothe (Regina Lamm) und seine Tochter Paula (Violeta Narvay) die Reise an seiner Seite antreten. Und je mehr er sich davor drückt, seinen Mitmusikern Carlos (Carlos Portaluppi), Tito (Rafael Spregelburd) und Atilio (Manuel Vicente) von seinen Plänen zu erzählen, desto besser läuft es für die Band. Denn die hat sich nach dem Ausstieg ihres Sängers (der ebenfalls im Ausland sein Glück sucht) mit dem bereits ins Altenheim abgeschobenen Ricardo Tortorella (Mario Alarcón) auf schelmische Weise einen echten Tango-Veteranen als Ersatz ergaunert – und wird seither sogar in Pesos statt nur in Empanadas bezahlt.

Der Spielfilm ist dem Dokumentarfilmer Kral übrigens nicht neu. „Ich habe ‚Spielfilm‘ studiert und habe aus Zufall angefangen, dokumentarisch zu arbeiten. Denn so konnte ich meine Filme anfangen zu drehen, ohne auf eine lange Finanzierung warten zu müssen“, erinnert er sich an seinen Karriereweg. Wie lange eine Finanzierung mitunter dauern kann, weiß er gut. Die Idee zu Adiós Buenos Aires ist 20 Jahre alt und mit ein Grund dafür, weshalb die Handlung zwischen November und Dezember 2001 zur Zeit der großen Wirtschaftskrisen und den damit einhergehenden sozialen Unruhen angesiedelt ist. Ein anderer Grund ist, dass Kral in seinem Debüt nicht nur die Liebe zum Tango (die er übrigens erst in Deutschland entdeckte) und zu Buenos Aires zum Ausdruck bringen wollte, sondern auch seine „Wut, die ich sehr oft spüre, wenn ich sehe, wie die argentinischen Politiker dieses wunderbare Land mit herzlichen und klugen Menschen aus Gier, Unfähigkeit und Korruption kaputtmachen“. 

Im Film drückt sich diese Wut ganz gegensätzlich aus. Während Julio und Co. ihren Ärger hinunterschlucken und bei der Geburtstagsfeier einer Ministergattin gute Miene zum bösen Spiel machen, spielt ihr Violinist Atilio das Spiel nicht mit. Stattdessen schließt er sich dem Protest auf der Straße an, was tragisch endet. 

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist die Bar „Glorias Argentinas“, die ihre besten Tage lange hinter sich hat. Während der Kneipier (David Masajnik) seine Gäste drinnen mit kuriosen Ansichten über das Sonnensystem unterhält, gehen an der Neonreklame draußen nach und nach die Lichter aus. Wie überhaupt im ganzen Land eine Miss- und Mangelwirtschaft herrscht, derer sich die handelnden Personen mit gewieften Einfällen erwehren.

Mit leisem Witz erzählt, in warmes Licht getaucht und in Pastelltönen mit vereinzelt kräftigen Farbtupfern auf die Leinwand geworfen, wirft German Kral einen Blick zurück auf unruhige Zeiten, die an vielen Orten wie Julios Schuhgeschäft und Wohnung so aussehen, als wäre die Zeit irgendwo zwischen den 1950er- und 1960er-Jahren stehen geblieben. Der Blick zurück ist jedoch nicht nostalgisch, sondern nach vorn gerichtet. Denn je länger der Abschied aus Argentinien dauert und je mehr Steine Julio dabei in den Weg gelegt werden, desto mehr erkennt er, dass er sich von dem Gedanken an einen Abschied verabschieden muss.

Adios Buenos Aires (2023)

Buenos Aires im November 2001. Argentinien befindet sich auf einem Höhepunkt der Krise. Die Wirtschaft des Landes stagniert, der Peso bricht immer tiefer ein, während Wut und Misstrauen des argentinischen Volkes gegenüber seiner korrupten Regierung stetig wachsen.

​Inmitten dieser unruhigen Zeit versuchen sich die „Vecinos de Pompeya“ – eine 5-köpfige Tangoband –über Wasser zu halten. Sie treten meist in einer kleinen, schlecht besuchten Kneipe auf und werden nicht selten mit Empenadas statt Pesos bezahlt. Aber was will man machen? Das Land verlassen? Genau das hat Julio der Bandoneonspieler, auch vor. Er plant, gemeinsam mit seiner Tochter Paula und seiner Mutter Dorothea nach Deutschland auszuwandern. Julio macht sich daran, seine letzten Angelegenheiten in Buenos Aires zu klären– doch ganz so leicht kommt er der Stadt nicht davon.
(https://www.lailaps.eu/produktionen)

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