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Mit „The Eternal Daughter“ setzte Joanna Hogg ihre Kollaboration mit Tilda Swinton fort. Der britischen Filmemacherin gelingt es in ihrem neuesten Drama formale und inhaltliche Ebenen, getaucht in einen Schleier aus Mystery und getragen von einem formidablen Cast, stimmig zu verschränken.

The Eternal Daughter (2022)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Von ewigen Tochterschaften und Erinnerungen

„The Eternal Daughter“ könnte eigentlich auch den Titel „The Souvenir — Part III“ tragen, denn in ihrem neuesten Film zieht Joanna Hogg ebenso Inspiration aus ihrem eigenen Dasein als Künstlerin und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen wie in „The Souvenir“ und „The Souvenir — Part II“. Diesmal allerdings spielt sich die Geschichte mit mysteriösem Schleier nicht mehr in London, sondern an einem vernebelten Landsitz in Wales ab, das den perfekten Hintergrund für ein Geisterdrama der anderen Art bietet. Tilda Swinton beeindruckt mit einer Doppelperformance als Hoggs Alter Ego und, wie bereits in den „Souvenir“-Filmen, auch in der Figur ihrer eigenen Mutter. Mystery meets Autobiography.

Hoggs Film setzt bereits zu Beginn einen Ton, der sich trotz seiner Ähnlichkeit des autobiografischen Ansatzes zu ihren beiden Werken aus 2019 und 2021 klar von diesen unterscheidet. Ein schwarzes Taxi fährt durch eine vernebelte, bewaldete Landschaft, die körnigen 35mm-Bilder sind untermalt von einer atmosphärischen Musik, die das Auftreten mysteriöser Begebenheiten schon voranzukündigen scheint. Die nächsten eineinhalb Stunden werden wir diesen entlegenen Ort und Tilda Swinton nicht aus den Augen verlieren.

Die jüngere Swinton-Version Julie verbringt mit ihrer Mutter einige Nächte in einem Hotel, um deren Geburtstag zu feiern und alte Erinnerungen an das vormals privat bewohnte Anwesen wieder aufleben zu lassen. Julie weiß nicht, was ihre Mutter hier alles erlebt hat, geht aber davon aus, dass es positive Erfahrungen waren, die auch ihre gemeinsamen Tage begleiten sollen. Julie selbst macht nicht ausschließlich Urlaub, sondern schreibt an ihrem Drehbuch, in dem sie, ohne deren Wissen, das Verhältnis zu ihrer Mutter verarbeitet. Die Tage bestehen aus den Mahlzeiten im Salon, Spaziergängen mit dem Hund und wohlwollend oberflächlichen Gesprächen zwischen Mutter und Tochter. Bei ihrer Ankunft erklärt die Rezeptionistin (Carly-Sophie Davies), dass die meisten Zimmer belegt seien, doch Julie und ihre Mutter bekommen während ihres Aufenthaltes außer dem Personal keine Seele zu sehen. Umso auffallender dringen des Nachts Geräusche aus dem obersten Stock in die beißende Stille der Nacht und eine helle Gestalt tritt so manches Mal schemenhaft in Erscheinung. The Eternal Daughter umfasst eine Reihe von Voraussetzungen, um seine Wirkung als Mysterydrama zu entfalten.

Im Gegensatz zu ihren vorherigen Filmen arbeiten Hogg bzw. ihr Kameramann Ed Rutherford in The Eternal Daughter vielfach mit Close-ups, die es erlauben, die Reaktionen der Figuren eingehender zu beobachten. Die häufigen Schuss-Gegenschuss-Montagen ermöglichen Dialogszenen zwischen den beiden Swinton-Charakteren ohne die Notwendigkeit von VFX-Effekten. Tilda Swinton dabei zuzusehen, wie sie mit Tilda Swinton redet, das sollten sich Fans der britischen Schauspielikone nicht entgehen lassen.

Hogg hatte 1986 für ihren Abschlussfilm Caprice bereits mit Swinton kollaboriert, bis die beiden vor ein paar Jahren ihre Zusammenarbeit für The Souvenir erstmals wieder aufnahmen. Das brillante Spiel von Carly-Sophia Davies, die hier in ihrer ersten Filmrolle zu sehen ist, erzeugt in den Aufeinandertreffen der Rezeptionistin mit Julie eine subtile Komik, die die atmosphärische Handlung mit der perfekten Nuance aus Humor und Verständnislosigkeit für das Verhalten der von Davies verkörperten Figur unterlegt. Als Allround-Hotelangestellte, die auch das Essen serviert, scheint sie ständig genervt und geht nur widerwillig auf die Forderungen und Wünsche von Julie ein. Als sie Julies Teller etwa gleichzeitig mit der Frage, ob sie fertig sei, vom Tisch wegschnappt ohne eine Antwort abzuwarten, bleibt Julie nichts anderes übrig als sich dem Willen und der schwungvollen Bewegung der Angestellten mit sofortigem Gehorsam auszuliefern. Kann es einen Grund für dieses doch etwas ruppige Verhalten geben?

Neben der Rezeptionistin schleicht noch eine weitere Person durchs Haus: es ist der Nachtportier (Joseph Mydell), dem Julie eines Abends, oder ist es Nachts – die vernebelte Landschaft lässt die Zeit verschwimmen – in einem Gespräch ihre Gedanken anvertraut. Die dünne, nebelige Wand, die Julie davon abhält, emotional zu ihrer Mutter durchzudringen und ihre Vergangenheit besser zu verstehen, lässt sie nicht los. Die Mutter scheint stets unter einer Glocke aus freundlicher Zurückhaltung und Gutmütigkeit zu agieren. Als diese in einem seltenen Moment bruchstückhaft von ihren schmerzvollen Erfahrungen in diesem Anwesen, das in ein Hotel umfunktioniert wurde, erzählt, ist Julie überrascht und nimmt das Gespräch mit ihrem Smartphone auf. Wird sie bald mehr über diesen Menschen, den sie ihr ganzes Leben kennt, aber der selbst sein halbes Leben mit seinen prägenden Erlebnissen in einem Schutzmantel umhüllt mit sich trägt, wissen können?

Im Gegensatz zu vielen während der einschränkenden Bedingungen der Covid-19-Pandemie entstandenen Filmen zwingt sich angesichts des minimalistischen Settings und der übersichtlichen Besetzung von The Eternal Daughter nicht der Eindruck auf, dass die Arbeit von formaler Ideenlosigkeit begleitet wurde. Die Bildsprache hält sich mal durch unaufgeregtes Handwerk zurück, mal sticht sie durch mehr Komplexität und Potenzial zur Interpretation hervor. In den überwiegenden Szenen, in denen Swinton „mit sich selbst“ spielt, betonen die Einstellungen und Montage zuweilen die Distanz zwischen Mutter und Julie. So sehen wir etwa, als die beiden im Salon Karten schreiben, die am rechten Bildrand nahe und im Profil gerahmte Julie nach rechts blicken, während in der linken Bildhälfte der Hintergrund des Salons wie eine distanzierende Lücke klafft. Die abwesende Anwesenheit der Mutter ist deutlich zu spüren.

Es ist eine der Szenen, deren Bedeutung sich in zweifacher Hinsicht erst rückblickend mit der erzählerischen, finalen Auflösung erschließt. Denn – so viel sei verraten – in dem Augenblick, in dem sich der Grund für die gespenstische Stimmung offenbart, erweist sich die Doppelbesetzung Swintons als konsequente Regieentscheidung und auch das seltsame Verhalten der Rezeptionistin lässt sich deuten. Hogg gelingt es mit ihrem neuesten Film, formale und inhaltliche Ebenen, getaucht in einen Schleier aus Mystery und getragen von einem formidablen Cast, stimmig zu verschränken. Das Thema der Erinnerung und des Festhaltens an der Vergangenheit, die erst in zwischenmenschlichen Beziehungen ihre Bedeutung erlangt, bleibt auch in The Eternal Daughter präsent.

The Eternal Daughter (2022)

Der Film stellt eine Tochter mittleren Alters und ihre ältere Mutter in den Mittelpunkt. Beide müssen sich längst vergessenen Geheimnissen stellen, als sie einen ehemaligen Landsitz besuchen. Aus dem einst prachtvolle Herrenhaus, das im Besitz ihrer Familie war, ist ein leerstehendes Hotel geworden.

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