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Wenn von der Rückständigkeit ländlicher Regionen Indiens die Rede ist, wird nicht selten die Unterdrückung der Frauen beklagt. Auch heute sind es viele Mädchen auf dem Dorf nicht gewöhnt, eigene Zukunftspläne zu entwickeln. Aber ein Skateboard kann schon genügen, um die Dinge ins Rollen zu bringen.

Skater Girl (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein indisches Dorfmädchen lebt seinen Traum

Freiheit und Selbstverwirklichung sind für die Jugendliche Prerna (Rachel Saanchita Gupta) nahezu unbekannte Begriffe. Ihr Alltag im Dorf Khempur im indischen Bundesstaat Rajasthan ist von der Armut ihrer Familie geprägt: Oft muss sie arbeiten und kann die Schule nicht besuchen, für die sie aber auch weder eine Uniform noch Bücher besitzt. Als Mädchen ist sie für eine Ehe bestimmt, für die sie sich wahrscheinlich nicht einmal den Mann selbst aussuchen wird. Doch nun hat Prerna die Londoner Werbefachfrau Jessica (Amy Maghera) kennengelernt, die Khempur besucht, weil ihr Vater von hier stammte. Und Jessica schenkt Prerna nicht nur eine Schuluniform, sondern bald auch ein Skateboard. Wenn sie darauf fährt, erlebt Prerna das Gefühl, dass ihr die Welt offensteht.

Wie den Filmcharakter Jessica verbinden auch die in Los Angeles lebende Regisseurin Manjari Makijany persönliche Wurzeln mit Indien. Makijany wuchs in ihrer Geburtsstadt Mumbai auf und wollte ihr Spielfilmdebüt in Indien ansiedeln. Berührt vom Schicksal junger, auf dem Land lebender Mädchen, die nie nach ihren Träumen im Leben gefragt werden, schrieb sie mit ihrer Schwester Vinati Makijany das Drehbuch zu dieser Coming-of-Age-Geschichte. Welche Begeisterung das Skateboarden bei Kindern, Jungen wie Mädchen, gerade auf dem flachen Land auslösen kann, wo es keine Freizeitangebote gibt, hatte die Regisseurin in Indien bei einer Recherche zum Thema selbst erlebt. Auf dem Subkontinent ist Skateboarden eine noch ziemlich neue Sportart. Makijany ließ für den Film in Khempur den ersten Skaterpark Rajasthans bauen – unter Mitwirkung engagierter Sportler*innen aus dem In- und Ausland. Dort üben seither die Dorfkinder beider Geschlechter fleißig ihre Tricks, stärken ihr Selbstvertrauen und ihre Neugier, über den Tellerrand soziokultureller Traditionen hinauszusehen.

Soziale und kulturelle Barrieren gibt es viele in Prernas Leben. Der Junge in ihrer Klasse, der mit ihr zum Rummelplatz gehen möchte, gehört der oberen Kaste an. Für Prerna und ihre Familie aber ist selbst der Dorfbrunnen, den die sozial höhergestellten Familien benutzen, tabu. Sie müssen einen anderen Brunnen benutzen. Als sich Prerna einmal beim Skaten verletzt, beschimpft ihr Vater Jessica aufgebracht: Wer solle sie denn noch heiraten, mit einer bleibenden Verletzung? Von klein auf gewöhnt, Angst zu haben und zurückstecken zu müssen, braucht Prerna auch viel mehr Ermutigung als ihr kleiner Bruder Ankush (Shafin Patel), sich auf dem Board etwas zuzutrauen. Die Sportbegeisterung infiziert im Nu die ganze Dorfjugend, nachdem Jessicas Bekannter Erick (Jonathan Readwin) mit seinem Skateboard aufgekreuzt ist und den Kindern ein paar grundlegende Moves beibringt.

Der Film vermeidet es, die Welt dieses Dorfes in gute, progressive Kräfte und in böse, rückständige Figuren einzuteilen. Es wird nicht anklagend auf Prernas größten Gegner, ihren eigenen Vater, gezeigt, obwohl sein fehlendes Verständnis für die Tochter auch nicht beschönigt wird. Die Mutter erscheint als Person, die selbst unterdrückt ist und sich eine andere Lebensweise für die Tochter kaum vorstellen kann. Die Solidarität der Kinder untereinander, vor allem die zwischen Prerna und ihrem Bruder, sorgt jedoch für eine fröhliche, optimistische Stimmung, wie sie auch die Freude der Jungen und Mädchen beim Skateboarden erzeugt. Rachel Saanchita Gupta und die anderen jungen Laiendarsteller*innen wurden in Theaterworkshops gecastet und absolvierten ein Training auf dem Skateboard.  

Allerdings weist der Film Prerna nicht die unangefochtene Hauptrolle zu, sondern ist allzu oft bei Jessica, ihren Ideen und Zielen. Diese Unsicherheit, um wessen Geschichte es eigentlich gehen soll, verflacht den Spannungsbogen spürbar. Leider bewirkt auch die stark handlungsbezogene, knappe Zeichnung der Charaktere, dass man mit ihnen nicht so recht mitfiebert. Der Brückenschlag zwischen Ost und West, das Lockern verkrusteter Strukturen auf dem Lande steht im Zentrum der filmischen Aufmerksamkeit. In den abwechselnd auf Indisch und Englisch gesungenen Popsongs ist oft, sehr westlich anmutend, von Mut und dem Glauben an sich selbst die Rede. Atmosphärisch wäre jedoch an diesem Schauplatz, mit den zum Teil ortsansässigen Komparsen, der zuweilen traditioneller gefärbten Filmmusik und sogar einem Gastauftritt der Bollywood-Schauspielerin Waheeda Rehman mehr drin gewesen.

Die Dramaturgie steuert recht konventionell auf einen finalen Konflikt am Tag der in Khempur ausgetragenen Skateboard-Landesmeisterschaft zu. Nun muss sich Prerna entscheiden, ob sie sich ihren Eltern widersetzen und der Stimme ihres Herzens folgen will – zumindest für ein paar dem Schicksal abgetrotzte Minuten. Die Regisseurin geht klugerweise nicht so weit, das Skateboarden zum Patentrezept für die Befreiung aus der traditionellen Geschlechterbiografie zu erklären. Ob Prernas Traum vom Fliegen schon bald vorbei ist, bleibt offen. Ein Impuls aber ist im Dorf gesetzt und von den Kindern, die ihren Leidenschaften nachgehen, werden einige wohl auch eine gute Ausbildung erreichen.

Skater Girl (2021)

Ein Mädchen entdeckt im ländlichen Indien seine Leidenschaft für das Skateboard

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Meinungen

Nina N. · 14.03.2022

Schöner Film, aber es fehlt noch was: Das Geheimnis der Maharani, das diese Jessica noch offenbaren wollte…..

Gise · 29.06.2021

Im Film fehlt das Happy End. Sie hätte die Familie ihres Vaters finden müssen.

David H. · 15.06.2021

Sehr inspirierender und schöner Film. Weiter so!