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Echtes Glück und wahre Liebe lassen sich manchmal nur außerhalb der sogenannten Kernfamilie finden. „Familie Willoughby“ bringt mit dieser Erkenntnis nicht nur narrativ ein wenig frischen Wind in den Animationsfilm.

Familie Willoughby (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Familienliebe

Haben wir in den letzten Jahren im Animationsfilm eigentlich etwas verpasst? Die Meisterwerke von Pixar und Disney, die das Feld zweifelsfrei dominieren, haben gleichzeitig einen sehr distinkten Stil hervorgebracht. Abgesehen von einigen Stop-Motion-Filmen etwa von Laika oder Aardman, die sich davon ausdrücklich abgrenzen, sind die meisten Mainstream-Animationsfilme sich jedoch recht ähnlich. Deutlicher wird das umso mehr, wenn ein Film wie „Familie Willoughby“ auftaucht, der mit einem eigenen, erfrischenden Stil begeistert und eine wunderschöne Idee von Familie und Nähe entwirft.

Die Willoughbys sind eine ehrwürdige Familie, die sich in der Vergangenheit vor allem durch ihr leuchtend-rotes Haar und die prachtvollen Schnäuzer aller Familienmitglieder ausgezeichnet hat. Doch die vergangene Würde ist abhandengekommen und Vater Willoughby (Martin Short) – erschreckend schnäuzerarm in der Ahnenreihe – ist vor allem damit beschäftigt, seine Frau (Jane Krakowski) und sich von ihren vier Kindern fernzuhalten. Der älteste Sohn Tim (Will Forte) träumt davon, eines Tages die glorreichen Zeiten der Familie fortzusetzen – seiner Schwester Jane (Alessia Cara) dämmert allerdings, dass das mit ihren Eltern wohl nichts wird. Es bleibt nur: Die selbst herbeigeführte Verwaisung! Mit ihren durch und durch weirden jüngeren Zwillingen, die auf den gemeinsamen Namen „Barnabys“ (Seán Cullen) hören, hecken sie einen Plan aus, ihre Eltern zu entfernen – und treffen dabei auf eine herzliche Nanny (Maya Rudolph) und so einige andere Abenteuer.

Erzählt wird die Geschichte von einer sprechenden, zynischen blauen Katze – mit der Stimme von Ricky Gervais. (Hier könnte man eigentlich aufhören, was bräuchte ein Film bitte mehr?) Von Beginn an macht diese Erzählkatze deutlich, dass es sich bei den Abenteuern der Willoughbys nicht um eine jener Geschichten von guten, alten Familien handeln wird, in denen am Ende alle glücklich sind – zumindest nicht auf den ersten Blick. In Gang gesetzt werden die Ereignisse von einem Baby, das im Schuhkarton vor dem Haus der Willoughbys – ein altes, schiefes Anwesen, das eingeklemmt zwischen Hochhäusern in einer namenlosen Metropole überdauert – abgegeben und von den vier Kindern gefunden wird. Ihre Eltern, die sich ausschließlich im Modus irrer Film-Bösewichte unterhalten, schmeißen ihre Kinder daraufhin endgültig aus dem Haus, um ein für allemal ihre Ruhe zu haben.

Nachdem sie in der Fabrik des Süßigkeitenfabrikanten Commander Melanoff (Terry Crews) ein Zuhause für das Baby finden, wird Tim klar: Er wird seine Eltern nicht ändern können, sie werden ihn und seine Geschwister immer schlecht behandeln und seine Überzeugung, er habe kein anderes Zuhause verdient, weil er an die Tradition seiner Familie gebunden ist, schwindet. Schon hier liegt eine der wundervollen Haltungen des Films, ermöglicht dadurch, dass Familie Willoughby sich so ausdrücklich reflexiv zu klassischen Kinder- und Familienerzählungen verhält: Nicht jeder familiäre Haushalt ist gesund und gut, manchmal bleibt kein anderer Weg als Dinge zurückzulassen, die wehtun und schaden. Auch wenn dieser Weg selbst schmerzhaft ist. Eine so ehrliche und wichtige Erkenntnis findet sich selten in (Kinder-)Filmen.

Es beginnt eine episodische Reihung von abenteuerlichen Ereignissen, in deren Verlauf die Kinder ihre Eltern aus der Welt schaffen, gegen das dämonisch-faschistische Ministerium für Waisen ankämpfen und schließlich feststellen müssen, dass nichts und niemand ihre Eltern dazu bringen wird, fürsorglich und liebevoll zu sein – dass aber jede*r das Recht und die Möglichkeit hat, mit Menschen zusammenzuleben, die voller Wärme als Familie füreinander da sind.

So wendet sich Familie Willoughy nicht allein in der Art und Weise, eine Geschichte der Liebe zu erzählen, die nicht an die Wiederherstellung einer Kernfamilie gebunden ist, deutlich von vielen großen Animationsfilmen der letzten Jahre ab. Auch stilistisch spielt der Film mit einer Vielzahl detailverliebt ins Bild gesetzter Einfälle: Die Welt der vier Willoughby-Kinder ist voll und ganz durchdrungen von ihrer Sicht auf diese Welt, sie ist formbar und bisweilen abstrakt, etwa in den gleichförmigen, schmalen, eisigen Antlitzen der Agenten vom Waisen-Notdienst oder in der großartig mit Techno unterlegten Sequenz der endlosen, laufend sich kreuzenden Fließbänder in der Süßigkeitenfabrik. Es hat lange nicht mehr so viel Spaß gemacht, die Bilder eines Animationsfilms aufzunehmen, um in jeder Ecke noch ein Detail oder eine Idee mehr zu entdecken. Dass dabei insgesamt die feine Gestaltung unterschiedlicher Materialien und Körper sichtlich nicht mit den Budgets größerer Produktionen mithalten kann, spielt dann auch kaum eine Rolle.

Familie Willoughby drückt nicht auf die große Tränenmaschine, der Film erzählt keine epische Befreiungsgeschichte, die doch irgendwie nur in der Rückführung zu Familie und Tradition endet. Gerade in der fein verteilten Ironie, die an bekannte Kindergeschichten angelegt Mary Poppins mit Charlie und die Schokoladenfabrik und Matrix kreuzt, um diese Mischung dann von einer blauen Katze erzählen zu lassen, liegt eine Frische und Leichtigkeit, die es erst ermöglichen, alte und staubige Modelle zurücklassen. Stattdessen entsteht ein herzerwärmendes Plädoyer dafür, Familie an all jenen Orten zu suchen und mit all jenen Menschen zu gestalten, die wahrlich glücklich machen.

Familie Willoughby (2020)

Davon überzeugt, dass es ihnen auf sich allein gestellt besser gehen würde, hecken die Willoughby-Kinder einen raffinierten Plan aus, um ihre egoistischen Eltern in den Urlaub zu schicken. Anschließend begeben sich die Geschwister auf ihr eigene abenteuerliche Suche nach der wahren Bedeutung von Familie. Als Vorlage für den Film diente der Roman des beliebten Autors Lois Lowry.

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