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Ein Präsident auf der Suche nach seinem Volk. Nach „Die Maisinsel“ legt der georgische Regisseur George Ovashvili mit „Vor dem Frühling“ ein melancholisches Drama nach, das erneut auf ruhige Töne und allegorische Bilder setzt.

Vor dem Frühling (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der lange Weg des Präsidenten

Dass ein Bild mehr als tausend Worte sagen kann, vergessen viele Regisseure allzu gern. George Ovashvili hingegen verlässt sich ganz auf die Kraft der Kadrage. Gesprochen wird beim Georgier nur das Nötigste. Eindeutige Aussagen liegen ihm fern. Auch in seinem dritten Langfilm haftet den minutiös komponierten Einstellungen ein Rest Unentschlüsselbares an.

Schon das erste Bild ist vielsagend. 13 Männer stapfen durch den Schnee, 12 davon mit Rücksäcken und Maschinengewehren beladen, nur einer trägt leichtes, geradezu absurd anmutendes Gepäck, das allerdings schwer wiegt. Zwiad Gamsachurdia (Hossein Mahjoub), Georgiens Anfang der 1990er gestürzter Präsident, ist aus dem Exil zurückgekehrt, muss seine Garde neu formieren. Mit den letzten verbliebenen Kämpfern, darunter sein in jeder Hinsicht kurzsichtiger Premierminister (Kishvad Manvelishvili), irrt er von Unterschlupf zu Unterschlupf. Sein Mantel, Anzug und die Aktentasche wirken im harten Winter deplatziert. Ein Verlorener auf der Suche nach Orientierung, ein Führer auf der Suche nach seinem Volk, ein Sünder auf der Suche nach Vergebung. Die eisigen Berge des Kaukasus eine Seelenlandschaft.

Wie schon in Ovashvilis hochgelobtem Vorgänger, der elegischen Parabel Die Maisinsel, geschieht auch dieses Mal nicht viel. Der Präsident ist zu einem Stausee unterwegs, an dem er weitere Getreue vermutet. Als er dort ankommt, sind die Kämpfer längst zum Feind übergelaufen, der den gesamten Film über unsichtbar bleibt, nur über die Tonspur virtuos ins Geschehen eindringt. Am See harrt einzig ein blutjunger Soldat aus, der nicht recht in Gamsachurdias Truppe der alten Männer passen will. Unbeirrt ziehen sie weiter, dem unausweichlichen Untergang entgegen.

Ovashvili macht daraus eine eineinhalbstündige Fluchtbewegung vor erhabener Landschaft. Die immer gleiche Abfolge von Ankunft, Ruhe und Aufbruch. Wohin sich der Präsident auch wendet, schlägt ihm zunächst Misstrauen, dann Respekt entgegen. Auch darum geht es George Ovashvili, um das widersprüchliche Bild, das seine Mitbürger bis heute von der Umbruchphase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrem ersten gewählten Staatsoberhaupt haben. Wenn der Filmemacher den Präsidenten mit 12 Anhängern zeigt, die sich nach und nach von ihm lossagen, hat das biblische Anklänge. Doch der Protagonist ist sich seiner Vergehen bewusst. Er ist kein Heiliger, der für unser aller Sünden, sondern ein Büßer, der für seine eigenen stirbt.

Mit seiner Hauptfigur dreht sich auch der Film im Kreis. Den einzigen Konflikt der Gruppe, zwischen dem Präsidenten und seinem Premierminister, der insistiert, das Land erneut zu verlassen, reißt George Ovashvili nur an. Dem Regisseur geht es weniger um eine Spannung, die aus der Handlung erwächst, als um eine, die der Protagonist in sich selbst erzeugt. Hossein Mahjoub gelingt es nicht immer, diese innere Zerrissenheit überzeugend zu transportieren. Dass dieser wortlose Kampf dennoch nicht langweilig wird, darin liegt Ovashvilis unbestrittenes Talent, auch wenn es dieses Mal nicht an das im Vorgängerfilm gezeigte heranreicht.

Ganz behutsam verschränkt der Regisseur seine Erzählebenen. Während der Präsident rastlos, aber ratlos vorwärtsmarschiert, schleichen sich Erinnerungen, Träume und Vorstellung in die Handlung, bis sie von den gegenwärtigen Vorgängen, nicht zuletzt dank Sun-min Kims perfekt gesetzter Montage, ununterscheidbar geworden sind. Kameramann Enrico Lucidi findet dafür tatsächlich Bilder, stets wunderbar ausgeleuchtet und überlegt kadriert, die mehr als tausend Worte sagen. Noch mehr sagen allerdings die Lieder, die all die Gastgeber des Präsidenten anstimmen. Es sind Gesänge voller Trauer und Melancholie – und, wie der Protagonist selbst, beseelt vom Wunsch nach einer besseren Zukunft für die eigene Heimat.

Vor dem Frühling (2017)

Kurz nach seiner Wahl zum ersten Präsidenten Georgiens wird Zviad Gamsakhurdia durch einen Putsch entmachtet und muss mit einigen Getreuen in die Berge fliehen. Dort versucht er gemeinsam mit loyalen Teilen der Armee wieder an die Macht zu kommen, doch bevor es soweit ist, verstirbt er unter ungeklärten Umständen.

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