The Salvation Hunters

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Die Erfindung der visuellen Poesie

Josef von Sternbergs Regie-Debüt aus dem Jahr 1925 galt als avantgardistisch und für die damaligen Zeitgenossen schwer fassbare Kost. Sie hatten so etwas noch nie gesehen, aber die Filmkritiker (jedenfalls ein Teil von ihnen) bejubelten den damaligen No Name von Sternberg und nannten den Film ein „visuelles Gedicht“! Auch Charlie Chaplin fand nur Worte des Lobes und finanzierte nachträglich – durch die von ihm gegründete Filmgesellschaft United Artists – Sternbergs kreative Ader. Aber auch von der Hauptdarstellerin Georgia Hale war Chaplin äußerst angetan, so dass er sie für seinen nächsten Film Goldrausch engagierte, während es für von Sternberg noch zwei Jahre dauern sollte, bis er seinen eigentlichen Durchbruch mit dem Gangsterfilm Unterwelt hatte, und weitere drei, bis er mit Marlene Dietrich Der blaue Engel drehte.
Von Sternbergs Vorspann nimmt in Kürze die ganze Filmstory bereits vorweg: „Unser Ziel war, einen Gedanken einzufangen – einen Gedanken, der Menschen leitet, die am Boden kriechen und ein einfaches Leben führen, die nirgendwo anfangen und nirgendwo aufhören…“ Er steigt also direkt ein in sein Drama, dessen Ort der Handlung nicht explizit benannt wird („Eine Stadt wie jede andere, Stein, Rauch und manchmal Sonne“), denn von Sternberg wollte damit die Universalität der Aussage des Filmes unterstreichen: Das, was die Figuren des Filmes (die ebenfalls namenlos bleiben) durchleben, ist an allen Orten dieser Welt jederzeit möglich.

Neben den drei Hauptdarstellern, einem jungen Mann, einer jungen Frau und einem kleinen Jungen, wird im ersten Teil des Filmes der Fokus stark auf einen Hafenbagger gelegt, der damals den Kanal ausweitete, um Hochseefrachten den Zugang zum Hafen von Los Angeles zu ermöglichen. Bislang lief der Gütertransport zwischen Hafen und Stadt über den „Almeda Corridor“, was der Besonderheit geschuldet war, dass Innenstadtkern und Hafen ungewöhnlich weit auseinanderlagen. Auf diesem Bagger lernt sich das ungleiche Trio auch kennen. Das, was sie vereint, ist, dass sie alle mittel-, arbeits- und hoffnungslos sind.

Die scheinbare Rettung kommt in Form einer zwielichtigen Gestalt daher, die den Dreien kostenlos eine Wohnung anbietet. Wie sich aber schnell herausstellt, handelt es sich bei dieser zwielichtigen Gestalt um einen Zuhälter, der es auf die junge Frau abgesehen hat. Auch wenn der Stolz und die Moral ihr eine Arbeit als Prostituierte eigentlich verbietet, kommt der Punkt, wo der Hunger einfach unerträglich ist, sodass die junge Frau in ihrer Not dann doch zum Lippenstift und zu einem abgebrannten Streichholz greift, mit dem sie ihre Augenbrauen nachzieht — und dadurch symbolisch ihren Körper feilbietet. Alsbald findet sich auch ein zahlungswilliger Kunde. Glücklicherweise löst sich die Situation aber in Wohlgefallen auf, denn der Freier hat ein Nachsehen und die junge Frau muss ihren Körper nicht verkaufen.

Stattdessen entscheidet der Zuhälter, dass alle aufs Land fahren sollen, natürlich auch das nicht ohne Hintergedanken. Eine Werbetafel wirbt mit den Worten „Hier werden Ihre Träume wahr“! Der Traum aber wird zum Albtraum – jedenfalls für einen von ihnen … Es soll noch der Schlusssatz des Filmes verraten werden: „Nicht die Umstände, nicht das Umfeld — unser Glaube steuert unser Leben!“ Welch symbolische Aussage – und das im Jahr 1925!

Mit lediglich 4.500 Dollar Produktionskosten gilt The Salvation Hunters als einer der ersten Low-Budget- und Independent-Filme. Das Geld war damals noch knapp bei von Sternberg, sodass ein großer Teil des Filmes auch von Hauptdarsteller George K. Arthur finanziert wurde. Aus der Not machte der Regisseur dann eine Tugend, denn er drehte überwiegend Außenaufnahmen, wodurch nicht nur die Produktionskosten immens gesenkt wurden, da eine kostspielige Beleuchtung wegfiel, sondern auch die Künstlichkeit von anderen Stummfilmen weggewischt wird. Der Zuschauer wird dadurch hautnah in die 1920er Jahre transportiert, wird mit einem lebendigen Hintergrund konfrontiert und sieht natürliche Menschen statt glamouröser Hollywood-Stars. Und nicht nur das, sondern statt bekannter Schauspieler hat von Sternberg Statisten engagiert (was vermutlich auch dem kleinen Budget geschuldet war) und hat gleichzeitig einen Star der damaligen Zeit für eine Statistenrolle eingesetzt (Stuart Holmes, eigentlich Joseph Liebchen). Genau so, wie er mit den Geschlechterrollen gebrochen hat – eines seiner Markenzeichen -, so hat er also auch mit den gängigen Besetzungsmustern gebrochen. Genial und aufrührerisch!

Von der Kritik wurde er damals als „zupackender Ausnahme-Regisseur“ betitelt, aber es gab auch negative Kritik. Die Überschrift in einer Filmzeitschrift lautete „They’re Cheaters“ – sie sind Betrüger, denn für einige Journalisten galt der Film als Mogelpackung, weil, so argumentierten sie, dem Zuschauer suggeriert würde, dass der Film in Los Angeles spielt, der größte Teil der Dreharbeiten jedoch in San Pedro stattfand. Diese Kritik ist jedoch an sich irrwitzig, denn Film war und ist doch immer die Erschaffung einer künstlichen Welt – wenn es sich nicht um einen Dokumentarfilm handelt.

Josef von Sternberg inszeniert seine Bilder sehr kunstvoll, die für die 1920er Jahre atemberaubend gewesen sein müssen, und es heute noch sind. Jede dieser Aufnahmen könnte auch als Kunst-Fotografie durchgehen und weckt Erinnerungen an den Fotografen Man Ray. Auch wenn von Sternberg weniger impressionistisch als Man Ray auftritt, so teilen beide doch eine Leidenschaft für den Industrial-Charme. Nicht ohne Grund betitelt von Sternberg den Hafen-Bagger als den eigentlichen Hauptdarsteller des Filmes, der im ersten Teil eine herausragende Rolle spielt.

Bei der neuen restaurierten Fassung von The Salvation Hunters kommt man auch in den Genuss einer maßgeschneiderten Filmmusik. Denn neben der klassischen Klavieruntermalung (Siegfried Friedrich) — die zum Stummfilm genauso dazu gehört wie das zu schnelle Abspielen der Filmstreifen – bewirkt vor allem der Einsatz des Saxophons (Thomas Gansch) die poetische Unterstreichung der genialen Bilder von Josef von Sternberg. Ein weiteres Highlight ist der Filmkommentar von Janet Bergstrom, Professorin an der University of California, die erhellende Einblicke in die Vita von Sternbergs und die Entstehungsgeschichte von The Salvation Hunters gibt. Zudem erwartet den Zuschauer auch noch ein vierminütiges Fragment von „The Case of Lena Smith“ aus dem Jahr 1929. Dieser Schnipsel der Filmgeschichte ist aber wohl nur etwas für absolute Von-Sternberg-Fans – denn im Vergleich zu The Salvation Hunters wirkt er eher nichtssagend.

Die Filmkritik der damaligen Zeit betitelte The Salvation Hunters als „genial“ und unterstrich die emotionale Wirkung des Filmes. Selbst knapp hundert Jahre später kann man sich dieses Urteils nur schwer entziehen. Für heutige Augen sieht der Film sehr modern aus – wie mag es erst den damaligen Filmzuschauern gegangen sein? Sternberg selbst hat seinen Film als „eine Mischung aus visueller Poesie und dokumentarischen Realismus“ bezeichnet. Damit trifft er es auf den Punkt!

The Salvation Hunters

Josef von Sternbergs Regie-Debüt aus dem Jahr 1925 galt als avantgardistisch und für die damaligen Zeitgenossen schwer fassbare Kost. Sie hatten so etwas noch nie gesehen, aber die Filmkritiker (jedenfalls ein Teil von ihnen) bejubelten den damaligen „No Name“ von Sternberg und nannten den Film ein „visuelles Gedicht“.
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