Our Day Will Come

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Der Kampf der Rotschöpfe

Man kennt Romain Gavras, den Sohn des griechischen Regisseurs Costa-Gravas, bisher vor allem von seinen Musikvideos und anderen sehr kurzen Arbeiten. Zuletzt hatte er einiges Aufsehen mit dem Video erregt, dass er zur Single Born Free der tamilisch-britischen Sängerin M.I.A. – bürgerlich Mathangi „Maya“ Arulpragasam – gedreht hatte. Darin zeigt er, was mit dem gesungenen Text nur wenig zu tun hat, wie junge rothaarige Männer und Kinder von Polizeikräften gewaltsam überwältigt und in einem Gefangenenbus deportiert werden; anschließend werden sie durch ein Minenfeld gejagt, die Überlebenden werden verprügelt oder, wie ein kleiner Junge in der grausamsten Szene des Films, durch Kopfschuss hingerichtet.
In Gavras’ Video, das implizit die Episode Ginger Kids der Fernsehserie South Park referenziert, stehen die Rothaarigen als im Grunde beliebige Stellvertreter für jede Minorität oder Bevölkerungsgruppe, die willkürlicher und gewaltsamer staatlicher Repression ausgesetzt ist. Dass der Widerstand einiger Rothaariger gegen den Transport ihrer Haargenossen in Bildern gezeigt wird, die an die palästinensische Intifada erinnern, dass ihr Slogan „Our Day Will Come“ auf den gleichlautenden Slogan der IRA erinnert, ist das eine Skandalon des kurzen Filmes, dass die gesamte Szenerie in einem klar erkennbar US-amerikanischen Kontext positioniert ist, das andere.

Wer das Video kennt, wird Notre jour viendra, Gavras’ erstem Langfilm, mit deutlich geprägten Erwartungen gegenübertreten. Der französische Originaltitel bedeutet genau das, was im Video zu lesen war; und der internationale Verleihtitel, Redheads, stellt die Verbindung zum Video ebenfalls her. Nur findet man im Film genau die Szenen des Videos eben nicht wieder, Gavras (das Drehbuch hat er gemeinsam mit Karim Boukercha verfasst) spielt mit unserer Wahrnehmung des Videos und seinem politischen Gewicht, um zwar ebenfalls von Rothaarigen zu erzählen – aber so sehr, wie die roten Haare im Video vor allem sichtbarer Platzhalter für jede beliebige Diskriminierung stehen, so sehr sind sie im Film arbiträres Merkmal dafür, sich subjektiv diskriminiert zu fühlen. Denn der Film findet keine bestätigenden Bilder dafür, dass die Unterdrückung real ist, vor der die beiden Protagonisten Patrick (Vincent Cassel) und Rémy (Olivier Barthelemy) fliehen – nur mühsam erhalten beide überhaupt eine gemeinsame Identität über ihre roten Haare aufrecht.

Einen viel stärkeren Identifikationsgrad gewinnen der gemeinsame Austritt aus der Gesellschaft, der gezielte Regelverstoß und die selbst gewählte Rolle als Außenseiter. So ist es auch kein Wunder, dass das Zusammentreffen mit anderen Rothaarigen – einem Reisebus entstiegen, der unterwegs nach Irland ist (ausgerechnet), für Rémy der Sehnsuchtsort schlechthin, an dem Rothaarige in Frieden leben könnten – ein Moment von großer Irritation für alle Beteiligten ist, in dem kein Wort fällt und keine Kommunikation stattfindet. Und wenn sich zum Schluss hin beide die Kopfhaut rasieren, weiß man eigentlich gar nicht mehr: Verbergen sie damit ihre Rothaarigkeit vor der Welt, oder brauchen sie nur das äußere Merkmal nicht mehr, um sich aneinander zu binden?

Da ist nämlich längst etwas anderes geschehen, von dem der Film eigentlich erzählt. Es beginnt alles in einer trostlosen Arbeiter-Backsteinsiedlung, irgendwo in der französischen Provinz, wo Rémy unter Hänseleien leidet und Patrick unter der condition humaine – dem Psychologen mit eigener Beratungspraxis gehen die Probleme seiner Patienten (und ihr Selbstmitleid) derartig auf die Nerven, dass er während seiner Sitzungen Kartoffelchips mampft. Patrick ist ein rechter Misanthrop, der den unbedarften, deutlich jüngeren Rémy unter seine Fittiche nimmt, manipuliert und, wenn nicht nach seinem Bilde, so doch nach seinen Vorstellungen formt.

Er führt Rémy kontinuierlich zunächst ungefährliche moralische Grenzüberschreitungen vor – nächtliche Streifzüge, sexuelle Annäherungen an junge Frauen (die er schließlich grob beleidigend davonjagt) – bis dieser sich, vom Älteren erniedrigt, gelobt und vor allem: manipuliert, die Transgression als Lebensmaxime zu Eigen macht und seinem Lehrer das Heft aus der Hand nimmt. Die Handlung setzt sich dann logisch zwingend in wahllose Aggression und physische Gewalt fort, die aus den eingebildeten Unterdrückten (für die französische Zeitung Le Monde ein „Tandem der Apokalypse“) tatsächlich Verfolgte macht, die ihr Heil im Exil suchen.

Notre jour viendra ist aber eben all dies nicht in voller Eindeutigkeit und Schlichtheit: Vielmehr sind die Rollen der beiden Protagonisten stets fragil und unklar, in der Handlung wirken sie oft eher mitgerissen und von sich selbst überrascht denn planvoll agierend. Und Gavras’ Inszenierung gibt dem ganzen noch deutliche Kontrapunkte: Denn der Film ist als Roadmovie gedreht, in seinem Breitbildformat gelegentlich auch den Western evozierend – aber die Reise ist fragmentiert, immer wieder unterbrochen, und die Landschaftsaufnahmen sind zwar wunderschön, aber eben doch Bilder des französischen Nordens, die in aller ihrer Weite keinen Ausweg, keine Hoffnung bieten.

Our Day Will Come

Man kennt Romain Gavras, den Sohn des griechischen Regisseurs Costa-Gravas, bisher vor allem von seinen Musikvideos und anderen sehr kurzen Arbeiten. Zuletzt hatte er einiges Aufsehen mit dem Video erregt, dass er zur Single „Born Free“ der tamilisch-britischen Sängerin M.I.A. – bürgerlich Mathangi „Maya“ Arulpragasam – gedreht hatte.
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