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Ein älteres, wohlsituiertes Ehepaar trifft auf einen Mann, der sich als verlorener Sohn im Haus einnistet. Wie kann das sein? Was ist hier los? Und was macht der Film daraus?

Nicht ohne Eltern (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Was bedeutet Familie?

Das ist natürlich ärgerlich: Als André Prioux (Christian Clavier) gemeinsam mit seiner Ehefrau Laurence (Catherine Frot) im Supermarkt den Großeinkauf erledigen will, versucht ihn ein undeutlich sprechender Mann (Sébastien Thiery) erst dazu zu bringen, die Maxi-Packung Schoko-Flakes in seinen Einkaufswagen zu legen – ehe der eigentümliche Fremde ihm wütend den Wagen entreißt und damit verschwindet.

Noch seltsamer wird es, als der Matratzen-Experte und die Personalchefin, die beide kurz vor dem Ruhestand stehen, in ihr geschmackvoll eingerichtetes Vorstadt-Heim zurückkehren und dort nicht nur sämtliche Einkäufe vorfinden, sondern auch den offenbar gehörlosen Mann, der im Haus des Prioux-Paares erst einmal eine Dusche genommen hat und nun erklärt, dass er – Patrick – der Sohn der beiden sei. Im Gegensatz zu André kann Laurence das meiste von dem, was Patrick sagt, verstehen – und baut rasch eine Bindung zu dem circa 40-Jährigen auf.

Die Prämisse von Nicht ohne Eltern ist überaus reizvoll – zumal sie den Weg in die unterschiedlichsten Genres ermöglicht. Dass ein Paar in gesetzterem Alter plötzlich mit einer Situation konfrontiert wird, die einfach alles im Leben von Grund auf verändert, kann zu einem Beziehungsdrama führen, aber auch zu einer absurden Komödie. Denn während es noch denkbar ist, dass André im Rahmen einer Affäre vor vielen Jahren unwissentlich ein Kind gezeugt hat, ist es recht schwer vorstellbar, dass Laurence ein Kind geboren hat, ohne es zu wissen beziehungsweise sich daran zu erinnern. „Hättest du ein Kind bekommen, das hättest du doch gemerkt“, meint André; noch pointierter und aberwitziger ist indes Laurences Überlegung: „Vielleicht waren wir sehr jung und haben ihn vergessen.“

Neben Tragik und Komik schwingen auch Mystery-Töne mit: Wieso hat dieser vermeintlich Fremde ein altes Foto von Laurence und André, auf dessen Rückseite in kindlicher Schrift „Maman & Papa“ geschrieben steht? Sieht er den beiden nicht tatsächlich irgendwie ähnlich? Oder ist Patrick womöglich doch nur ein Betrüger – vielleicht sogar nicht einmal wirklich gehörlos?

Im ersten Drittel lässt der Film, den der Patrick-Darsteller Sébastien Thiery zusammen mit Vincent Lobelle auf Basis des eigenen Theaterstücks in Szene gesetzt hat, großes dramaturgisches Potenzial erkennen. Bedauerlicherweise begibt sich Nicht ohne Eltern im Mittelteil allerdings in allzu boulevardeske Gefilde, die nicht immer zu funktionieren vermögen. Dies betrifft zum einen die Versuche, dem Rätsel auf die Spur zu kommen – wenn André und Laurence zum Beispiel die deutlich ältere Jacqueline (Claudine Vincent) aufsuchen, mit welcher André vor 4 Dekaden einen One-Night-Stand hatte; und zum anderen die überraschend auftauchende, blinde Gattin von Patrick, die einen Deutschen Schäferhund ins Haus bringt und ein Kind erwartet. Zwar ist das Werk erfreulicherweise weit von unlustig-rohen Komödien wie Hereinspaziert! (2017) entfernt, doch auch hier zielen einige Gags – insbesondere in Verbindung mit der blinden Sarah (Pascale Arbillot) – auf eine politische Unkorrektheit, die stets forciert und niemals clever-subtil anmutet.

Interessanter ist hingegen, wie das Overacting von Christian Clavier, welches man etwa aus dem Publikums-Hit Monsieur Claude und seine Töchter (2014) kennt, auf die entschieden nuanciertere Interpretation von Catherine Frot trifft. Nicht immer finden diese unterschiedlichen Schauspielstile stimmig zueinander, ebenso wie die einzelnen Teile dieser Geschichte kein ausgewogenes und emotional durchweg nachvollziehbares Ganzes bilden. Dennoch bleibt eine ausreichende Spannung, um Nicht ohne Eltern über den Durchschnitt der zahllosen französischen Komödien hinauszuheben, da es dem Film gelingt, vermeintliche Gewissheiten wie Familie, Vater- und Mutterschaft infrage zu stellen – wenngleich der Stoff noch sehr viel mehr zu bieten hätte, als Thiery und Lobelle in ihrem Werk letztlich erzählen.

Nicht ohne Eltern (2017)

Eltern werden ist nicht einfach — vor allem dann, wenn es einen ganz unerwartet trifft. Wie etwa im Fall des älteren Ehepaares Monsieur und Madame Prioux, bei denen plötzlich ein junger Mann vor der Haustür steht, der felsenfest davon überzeugt ist, ihr Sohn zu sein. Und der hat auch noch seine künftige Ehefrau mitgebracht, um sie seinen Eltern vorzustellen. Nur: Die Prioux’ haben gar keinen Sohn. Oder vielleicht doch?

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Meinungen

Ich · 29.06.2018

Ich finde es immer mehr bedenklich, wie sehr sich die Filmindustrie an bereits erfolgreiche Filme, und das heißt für diese Industrie extrem finanziell erfolgrich, immer wieder orientiert und keinerlei mehr von dem Gespühr und der Liebe zum Film und dem Kino leiten läßt. Hier haben nur autistische Manager das Sagen und das spürt man. Immer wieder Cliche um Cliche, wobei die Schauspielkunst in Frankreich altmodisch und effektiert daher kommt: die Schauspieler feiern sich in jeder Minute selbst und stolzieren durch Ihre Filme mit der Attentüde hach, da habt ihr mal was, ich arbeite und gebe Euch von oben ein wenig Kultur. Dieses gestackte Intermezzo von stolzierenden Narcissten, die sich selbst darstellen, wie sie darstellen, paßt vielleicht in die Schauspielkunst des Barock aber nicht mehr in die Neuzeit. Leider feiert sich Frankreich arogant nur sich selbst und will Erfolge am Fließband prodzieren, was das französische Kino leider zu Tode erwürgt. Und das ist für den Zuschauer am Ende unerträglich anzusehen und bleiern bleibt man gelangweilt am Sessel kleben. Schade. Ich habe das französische Kino einmal wahnsinnig geliebt. Aber das hier. Nein danke.