Neon Bull

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

The Lusty Men

In rotes Licht getaucht, tanzt eine nur äußerst spärlich bekleidete Frau mit einer Pferdekopfmaske zur treibenden Musik, während sie ihre zu Hufen umtransformierten Füße unter den gierigen Blicken von Männern in den staubigen Boden drückt. In Neon Bull, dem zweiten fiktionalen Spielfilm des Brasilianers Gabriel Mascaro, verschwimmen beständig die Grenzen zwischen Menschen und Tieren sowie Männern und Frauen.
Der Film ist angesiedelt im Vaquejadas-Milieu, einem Rodeosport, der im Norden Brasiliens populär ist, und erzählt von Iremar, einem Cowhand, der Teil einer reisenden Truppe ist. Zwar ist er äußerst souverän in seinem Umgang mit den Tieren, aber seine wahre Leidenschaft ist die Mode. So entwirft er das Kostüm für Galega, jene in rot getauchte Tänzerin, die zusammen mit ihrer Tochter und zwei anderen Arbeitern Teil der kleinen Crew ist. Mit dieser Ausgangsposition findet Neon Bull allerhand spannende Konflikte, die weniger narrativ als konzeptuell arbeiten. Wie in seinem August Winds verwendet Mascaro dokumentarische und fiktionale Techniken und komponiert ein Bild der Spontanität und des Lebens. Dass er dieses Mal größtenteils mit bekannten brasilianischen Schauspielern arbeitete, tut der Lebensnähe keinen Abbruch.

Mascaro zieht einen sofort mitten hinein in dieses spannende Milieu. Seine dokumentarischen Wurzeln und sein sozioökonomisches Interesse liefern schon nach wenigen Szenen ein spannendes Bild einer Außenseiterwelt. Iremar pflegt die Bullen und präperiert deren Schwänze unmittelbar vor dem Wettkampf, der daraus besteht, dass ein Bulle von zwei Reitern innerhalb einer durch Linien markierten Grenze am Schwanz gezogen und so zu Fall gebracht wird. Diversen Quellen zur Folge ist dieser „Sport“ hinter Fußball tatsächlich der gewinnbringendste der Region. Statt sich in kleinen Dramen und einer möglichen Romantisierung dieser Welt und Figuren zu verlieren, nutzt Mascaro das allegorische Potenzial dieser testosterongeladenen Welt und stellt sie in Frage. Das bedeutet in diesem Fall vor allem, dass er Vorurteile bezüglich des Männerbildes dieser scheinbaren Machowelt hinterfragt.

Immer wieder dreht er das Verhältnis von Mann und Frau um. So bekommt die Frau hier einen Blowjob von einem Neuankömmling, der äußersten Wert auf seine Haarpracht legt; die junge Tochter will viel lieber bei den Männern mithelfen, und die Männer diskutieren über Parfum und Mode. Männer kümmern sich um ihre Haare, die Frauen nicht. Ähnliches gilt für die Beziehung zwischen Mensch und Tier, die Mascaro hier betrachtet, ohne dass er behaupten würde, dass Menschen wie Tiere seien oder Tiere wie Menschen. Vielmehr schält sich aus dem realistischen Setting schon bald ein surrealistischer Sog, der sogar an David Lynch erinnert. Das Fleisch und die Sinnlichkeit wagen einen Tanz.

Manches davon klingt zunächst wie aus einer überspitzten Komödie, wird aber tatsächlich mit einem feinen Gefühl für das Begehren der Figuren vermittelt. Allerdings übertreibt es Mascaro auch hier und da mit der Deutlichkeit seines Vorhabens. Er scheint doppelt unterstreichen zu wollen, dass sein Film Genderkonstruktionen aufhebt. So erscheinen manche Figuren nurmehr Teil eines Konzepts zu sein und der Film raubt sich nach und nach sein eigenes Leben. So hat man das Gefühl, dass Iremar nur näht, weil der Filmemacher das so wollte. Das ist vor allem deshalb etwas bizarr, weil viele Cowboys im Vaquejadas ihre Kostüme tatsächlich selbst entwerfen.

In einer langen Sexszene mit einer schwangeren Securityfrau auf dem Nähtisch geht Mascaro dann aufs Ganze. Das Problem ist, dass man merkt, dass er genau das will. Natürlich ist sein Anliegen nobel, und der offensive Versuch, mit Vorurteilen und Tabus zu brechen, ist durchaus ehrenwert. Aber im Endeffekt wirft der Film sein grandioses Auge für das Milieu und die Arbeit aufgrund eines zu forcierten Konzepts über den Haufen. Was ein spannender Gegenpol zu Nicholas Rays fantastischem The Lusty Men (der die Romantik der Reiter statt die Realität der Cowhands filmte) hätte sein können, lebt letztlich im Gefängnis seines Konzepts.

Allerdings gilt das hauptsächlich für die Dramaturgie und Figurenzeichnung des Films. Die Bildsprache und der bereits angesprochene surrealistische Sog sind dagegen auf einem extrem hohen Niveau. Man spürt eine große Kontrolle über Bilder und Bewegungen. Kameramann Diego Garcia (der auch Apichatpong Weerasethakuls Cemetery of Splendor fotografierte) fügt den körperlichen und farbigen Welten von Mascaro, die man schon in dessen August Winds bewundern konnte, faszinierende Konturen hinzu. So rennen tatsächlich mit Neonlicht beleuchtete Bullen durch die Arena und die Sinnlichkeit der männlichen, weiblichen und tierischen Körper wird jederzeit greifbar. Zudem deutet der Film seinen Bruch mit Tabus nicht nur an, er vollzieht ihn wirklich. Immer wieder vermag Neon Bull Sexualität als etwas Fließendes darzustellen. Man treibt wie durch einen Traum von Körpern. Aus dieser Unsicherheit heraus gelingt es dem Kino von Mascaro, Gefährlichkeit und Freiheit zu entwickeln, die viele Versprechen in sich tragen. Und letztlich entwickelt sich daraus eine Lust an der Sinnlichkeit von Körpern, die Begehren von sich selbst ausstrahlen statt durch die Blicke, die auf sie geworfen werden.

Neon Bull

In rotes Licht getaucht tanzt eine nur äußerst spärlich bekleidete Frau mit einer Pferdekopfmaske zur treibenden Musik, während sie ihre zu Hufen umtransformierten Füße in den staubigen Boden vor gierigen Männern drückt. In „Neon Bull“, dem zweiten fiktionalen Spielfilm des Brasilianers Gabriel Mascaro, verschwimmen beständig die Grenzen zwischen Menschen und Tieren sowie Männern und Frauen.
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