Medianeras

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Zwischenräume und die Unwahrscheinlichkeiten der Liebe

Als medianeras werden die nutzlosen und damit überflüssigen Seitenwände von Gebäuden bezeichnet, die sichtbar werden, wenn ein Haus innerhalb einer Häuserzeile abgerissen wird. Sie sind ohne Fenster, ohne Balkone und warten nur darauf, dass neue Gebäude gebaut werden, an die sie dann angrenzen würden. Eine solche Wand habe in Buenos Aires jedes Hochhaus, registriert die Protagonistin Mariana und stellt fest: „Die Seitenwände zeigen unsere schlechteste Seite; sie spiegeln die Unbeständigkeit[:] Übergangslösungen.“ Dennoch gibt es immer wieder einzelne Versuche, diese Seitenwände von den Hausbewohnern aufzubrechen und mit einem Fenster zu versehen, was optisch – wenn die Wände als Werbeflächen oder Kunstleinwand genutzt werden – für Überraschungen sorgen kann. Der Debütfilm von Gustavo Taretto mit dem gleichnamigen Titel widmet sich einer solchen medianera, die zwischen Mariana und Martín liegt, und ist darüber hinaus eine poetische Reflexion nicht nur über Architektur und Schönheit, sondern über das Leben und das Lieben in der Großstadt.
Medianeras erzählt die Geschichte(n) von Mariana (Pilar López de Ayala) und Martín (Javier Drolas), zwei Singles in Buenos Aires, die in derselben Straße wohnen, sich nicht kennen, aber viele Gemeinsamkeiten haben. Martín hat Angst davor auf die Straße zu gehen, Mariana fürchtet Aufzüge und geht die acht Stockwerke bis zu ihrem „Schuhkarton“-Apartment stets zu Fuß. Beide verbringen viel Zeit alleine: Webdesigner Martín vor seinem Computer und Computerspielen, die arbeitslose Architektin und derzeitige Schaufensterdekorateurin Mariana mit ihren 27 Kisten, die sie nach und nach auspackt und immer wieder neu anordnet; ihre Lieblingsstücke sind eine männliche Schaufensterpuppe und das Wimmelbuch Wo ist Walter?. Und beide suchen nach der großen Liebe. Martín wurde von seiner Freundin verlassen, trauert dieser nach und verabredet sich nun im Cyberspace. Mariana versucht es mit einem Arbeitskollegen und mit einem Mann, den sie im Schwimmbad kennen lernt, und doch will alles nicht so recht klappen, so dass ihr nur der Plastikmann aus dem Schaufenster und Walter aus dem Bilderbuch bleiben, mit denen sie ihre Sehnsüchte zu stillen sucht. Und so schwebt über allen Szenen die Frage: Wie können sich zwei Menschen, die wie füreinander geschaffen scheinen, in einer Millionenstadt wie Buenos Aires treffen?

Immer wieder kreuzen sich die Wege von Mariana und Martín, mal sind es nur ihre Blicke, mal die virtuellen Wege. Und gerade in der Kombination des Mediums Film mit den Mechanismen der Neuen Medien gerät der Film zu einem erzählerischen Meisterwerk. Gekonnt verknüpft Taretto Off-Narration mit fotografierten Bildern und wunderschöner Filmmusik, er versieht ausgeklügelte Einstellungen mit Computeranimation und verleiht dem Film damit insgesamt eine kongeniale Erzählweise. Medianeras reiht sich ein in die herrlich kreativen Filmexperimente des jungen lateinamerikanischen Kinos – wie beispielsweise Play von Alicia Scherson oder auch Joven y alocada von Marialy Rivas. Solche Filme sind es, die das große Potenzial der jungen Filmemachergeneration in Lateinamerika darstellen. Denn ihre Macher haben gelernt, ihre ‚eigene‘ Handschrift zu entwickeln und nicht mehr nur dem politischen Kino der 60er und 70er Jahre nachzueifern oder lediglich das Mainstream-Kino aus Hollywood zu kopieren.

Medianeras besticht darüber hinaus vor allem durch seine wunderbare Geduld, Gedanken nicht nur anzureißen, sondern weit(er) zu denken. Sowohl Martíns als auch Marianas Gedanken zum Leben in der Stadt sind nicht klischeehafte Gedankenfetzen, die als Einleitung in einen ‚Stadtfilm‘ fungieren, sondern lange Reflexionen, die aus dem Off über unzählige und vielfältige fotografierte Stadtansichten gelegt werden. Diese alleine wären Grund genug, sich den Film nicht nur ein einziges Mal anzusehen. In ihnen steckt viel Poesie und viel Philosophie, was Medianeras zu einem bedeutenden ‚Stadtfilm‘ im zeitgenössischen Kino machen. Darüber hinaus zeigt der Film viel vom heutigen Buenos Aires, dem man die Jahre der Krise – nicht nur an der Häufigkeit der medianeras – ansieht, in dem sich jedoch auch sehr viel Charme und Schönheit finden lässt.

Medianeras

Als „medianeras“ werden die nutzlosen und damit überflüssigen Seitenwände von Gebäuden bezeichnet, die sichtbar werden, wenn ein Haus innerhalb einer Häuserzeile abgerissen wird. Sie sind ohne Fenster, ohne Balkone und warten nur darauf, dass neue Gebäude gebaut werden, an die sie dann angrenzen würden. Eine solche Wand habe in Buenos Aires jedes Hochhaus, registriert die Protagonistin Mariana und stellt fest: „Die Seitenwände zeigen unsere schlechteste Seite; sie spiegeln die Unbeständigkeit[:] Übergangslösungen.“
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Meinungen

haraldo · 19.04.2013

ein toller film, solche braucht es mehr...mit einem augenzwinkern...und doch sehr nachdenklich...ein spiegelbild unserer verrückten kommunikationswelt und doch sehr sehr positiv!!!!!
südamerika und europa schlägt hollywood um längen!!!!

Melanie · 31.05.2012

Ein ausgezeichneter Film allerdings bin ich nicht der Meinung dass es ein Drama ist.