Die Tränen meiner Mutter

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Erinnerungen an das Exil

Berlin ist Mitte der Achtziger eine „Insel der gestrandeten Seelen“, wie es an einer Stelle des Films Die Tränen meiner Mutter heißt. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese Insel nicht von einem Meer umgeben ist, sondern von einer Mauer. So zumindest sieht es der aus Argentinien stammende Carlos (Rafael Ferro), der sich zusammen mit seiner Frau Lizzie (Erica Rivas) und dem Sohn Alex (Adrian Gössel) vor dem Zugriff der Militärjunta in seiner Heimat auf diese Insel rettete. Sie landen in einer Berliner Fabriketage und finden sich inmitten einer bunten Hausgemeinschaft wieder, die nebem dem Kameramann Micha (Kristian Kiehling), dem Fotografen Jürgen (Joachim Paul Assböck), der jungen Punkerin Sik (Alice Dwyer) noch den behinderten Ex-Betrüger Günther (Volkmar Kleinert) sowie dessen Pfleger Andreas (Roman Russo) beherbergt – ein Querschnitt durch die bunte Westberliner Szene jener Zeit also. Und einige Zeit später stößt noch Jürgens aus Spanien stammende Freundin Anita (Toni Gomis Chaparro) zu der zusammengewürfelten WG.
In dem ungewohnten Umfeld gehen die drei Flüchtlinge aus Argentinien ganz unterschiedlich mit ihrem Schicksal um: Während Lizzie schon bald kaum mehr an die alte Heimat denkt und sich mit Feuereifer auf die neue Herausforderung als Journalistin stürzt, hadert Carlos mit seinem Geschick, nimmt Gelegenheitsjobs an und denkt an eine Rückkehr, auch wenn zuhause immer noch die Generäle das Sagen haben. Und Alex entdeckt an sich eine erstaunliche Gabe: Allein mit Hilfe seiner Gedanken vermag er es, Gegenstände zu bewegen, was freilich in der Schule nur teilweise auf Begeisterung stößt. Und leider gehorchen nur leblose Gegenstände Alex’ Willen, seine Eltern hingegen entfernen sich in der Fremde immer mehr voneinander…

Es ist auch seine eigene Geschichte, die der aus Peru stammende Alejandro Cardenas Amelio in seinem Debüt-Spielfilm erzählt. Wie sein kleiner Protagonist, so kam auch der Regisseur zusammen mit seinen Eltern nach Deutschland, seine aus Argentinien stammende Mutter wurde von der Militärjunta gejagt, sein Stiefvater war wie Carlos Illustrator und versuchte sich mit dem Verkauf seiner Zeichnungen auf der Straße über Wasser zu halten. Und selbst die WG-Mitbewohner sind jenen Menschen nachgezeichnet, mit denen der Filmemacher und seine Eltern einige Jahre ihres Lebens in einer gemeinsamen Wohnung teilten. Vielleicht ist das ja der Grund, warum Die Tränen meiner Mutter ein außerordentlich gefühlvoller und sehr stimmiger Film geworden ist, der aus der Perspektive von Alex über Fremdheit und Entfremdung erzählt, ohne dabei larmoyant oder peinlich zu werden.

Der Blick des Kindes auf die Welt, seine Verträumtheit und die spielerischen, gelegentlich auch heiteren Elemente, sie geben dem Film eine manchmal beinahe schwebende Note, so dass das eigentlich recht schwere Thema niemals als erdrückend empfunden wird. Und man spürt, wie befreiend die Kraft der Phantasie für ein Kind sein kann, wenn es den Sorgen und Nöten der Realität entfliehen will. Wunderbar ist es auch anzuschauen, wie der Film immer wieder zwischen den Zeitebenen hin- und herwechselt und so Vergangenes und die Gegenwart, in der Fabian Busch als erwachsener Alex Abschied vom Gestern nehmen muss, miteinander verschmelzen. Der eigentliche Star des Films aber ist ohne Zweifel der kleine Adrian Gössel, der uns sehr überzeugend durch Alex’ Welt führt. Ein überzeugender Blick auf den Mikrokosmos Berlin in den Achtzigern, gesehen mit den Augen eines Kindes. Nicht das ganz große Kino, schließlich steht der Regisseur ja erst am Anfang seiner Karriere. Doch ein sehenswertes Debüt ist ihm mit diesem Film allemal gelungen.

Die Tränen meiner Mutter

Berlin ist Mitte der Achtziger eine „Insel der gestrandeten Seelen“, wie es an einer Stelle des Films Die Tränen meiner Mutter heißt. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese Insel nicht von einem Meer umgeben ist, sondern von einer Mauer.
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