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„Wir beten das Chaos an, weil wir es lieben, Ordnung zu schaffen“. Schon aus diesem hintersinnigen Bonmot schimmert M.C. Eschers paradoxe Gedankenwelt hervor. Der weltberühmte Grafiker versuchte nichts weniger als die Unendlichkeit einzufangen. Wie kann man diesem Genius filmisch gerecht werden?

M.C. Escher - Reise in die Unendlichkeit (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Popstar wider Willen

„Escher, Sie sind ein vollkommen Verrückter: Ein Geisteskranker!“, heißt es einmal in einer unwillkommenen Fanpost aus San Francisco, die der niederländische Grafiker und Lithograph M.C. Escher (1898-1972) im Zuge des rauschhaften summer of love aus dem Nichts erhielt. Seit mehreren Jahren schon wurden in psychedelisch-berauschten Hippie-Kommunen hundertausendfach Raubdrucke seiner Werke hergestellt, die zeitgleich zu ikonischen Zeichen der amerikanischen counterculture der späten 1960er Jahre avancierten: ohne dass Escher je sein Einverständnis gegeben hätte. Mit der plötzlich überbordenden Sympathie jener Revoluzzer- und Aussteiger-Jugend ihm und seinem Oeuvre gegenüber konnte der zeitlebens zurückgezogen lebende Niederländer im Grunde bis zu seinem Tod 1972 herzlich wenig anfangen.

„Ich bin kein Künstler!“, entgegnete der niederländische Kauz überaus schroff und mit arroganter Schärfe in der Stimme oft genug Freunden wie Kritikern seiner Werke. Der 1898 in Leeuwarden (Provinz Freisland) geborene Holländer verstand sich sowieso nie als Impulsgeber für neue Stilrichtungen in der Kunst nach 1945, was Regisseur Robin Lutz in seinem erstklassigen Dokumentarfilmportrait M.C Escher –  Reise in die Unendlichkeit hervorragend herausarbeitet. Denn bis ins Alter hinein war der meisterhaft Portraitierte in erster Linie mit der stetig präziser werdenden Genese seiner Drucktechnik beschäftigt, wenn er sich nicht um seine mental instabile Muse und Ehefrau Jetta kümmern oder der politischen Umstände wegen wieder einmal neu aufbrechen und umziehen musste.

So verfolgte M.C. Escher beispielsweise den Aufstieg Mussolinis in seiner italienischen Periode anfänglich aus nächster Nähe, da er sich nach Stationen in Holland und in der Schweiz zu Beginn der 1920er Jahre für längere Zeit in Monteverde in der Nähe Roms niedergelassen hatte. Später erlebte er in Brüssel die brutale Okkupation Belgiens durch Nazi-Deutschland. Außerdem verlor er durch den Holocaust einige jüdische Freunde und Förderer, was in Lutz’ galant geschnittenem Bildfluss eher en passant erzählt und von Matthias Brandt in der deutschen Verleihfassung mit großer Aufrichtigkeit und samtenem Timbre durchgängig überzeugend vorgetragen wird.

Regisseur Robin Lutz durfte für sein wunderbar kurzweiliges, abwechslungsreich inszeniertes und ästhetisch bestechend in Szene gesetztes Künstlerporträt von vornherein aus dem Vollen schöpfen: Durch enge Kooperationen mit der niederländischen M.C. Escher Foundation sowie dem M.C. Escher Museum in Den Haag ist es dem kunstversierten Dokumentarfilmer beispielsweise gelungen, weitgehend unbekannte Schwarzweißfotografien aus dem Nachlass Eschers durch Moek de Groot kunstvoll in seinen bezaubernden Dokumentarfilm hinein zu montieren. Zusammen mit einer Reihe überaus gelungener 3D-Animationen atmet Lutz’ Hommage auf diese Weise von der ersten Sequenz an sehr viel vom mindestens ebenso faszinierenden wie kauzigen Geist Eschers, der gegen die Rolle des Solitärs öffentlich nie aufbegehrte.

Frei von hochtrabenden Experten-Ö-Tönen und ausschließlich durch persönliche Notizen oder Tagebucheinträge Eschers erzählt Robin Lutz in reihenweise aufregenden Bild-Ton-Montagen vom Leben des friesischen Eigenbrötlers. Selbst als er bereits in Kreisen der „Op-Art“ oder der musikalisch wie filmisch voll durchstartenden Pop-Kultur der 1960er Jahre als Genie gefeiert wurde, fremdelte M.C. Escher immer noch und immer wieder mit dem zunehmenden Kult um seine Persona, was Lutz, der auch die Bildgestaltung verantwortet, in einer fulminanten Schlussmontage noch einmal sehr treffend auf den Punkt bringt.

Viele seiner paradox gestalteten Werke wie „Wasserfall“, Metamorphose I“, „Tag und Nacht“ oder „Relativität“ sind weiterhin weltbekannt und wurden seither millionenfach auf Schulbücher, Kalender, Notizbücher, T-Shirts oder Poster gedruckt. Hollywoods Filmarchitekten bedienten sich nach dessen Tod oft genug seiner Form- und Bildsprache und Mathematiker- wie Grafikerverbände rund um den Globus ehren ihn nach wie vor in großer Regelmäßigkeit.

Robin Lutz’ M.C. Escher – Reise in die Unendlichkeit ist zweifellos eine der gelungensten filmischen Hommagen der letzten Jahre. Denn Spaß und Anspruch, intellektuelle Neugier und zeithistorisches Kolorit verbinden sich in Lutz’ sinnlich-farbenfroher Regie sehr rasch zu einer soghaften Melange, die Kunstbegeisterte genauso wie Kunstexperten aufs Beste unterhält und große Lust schürt, sich auch abseits des Kinosaals von Neuem mit jenem rätselhaften Mann zu beschäftigen, der einst sogar Mick Jagger einen Korb gab und sich gegen die Verwendung eines seiner Motive als Plattencover für die Rolling Stones aussprach. Respekt. M.C. Escher war eben wirklich in jeder Hinsicht eine unmögliche Figur.

M.C. Escher - Reise in die Unendlichkeit (2018)

M. C. Escher ist eine Ikone der Kunstwelt. Der niederländische Grafiker, der vor allem durch seine Darstellungen unmöglicher Figuren und paradoxer Metamorphosen berühmt wurde, gehört zu den bekanntesten Künstlern überhaupt. Die ihm gewidmete Dokumentation lässt ihn anhand von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Vorträgen selbst zu Wort kommen. Ein faszinierendes Erlebnis und ein Einblick in die Arbeit eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts

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