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Ein Pärchen, verliebt und frei und ohne Sorgen. Ein Sommer. Und eine Frau, die sie aufnehmen in ihre Beziehung. Eine Liebe zu dritt – in „Heute oder morgen“ von Thomas Moritz Helm wird ein solches Liebesdreieck in allen Facetten aufgefächert.

Heute oder morgen (2019)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Aller guten Dinge sind drei?

Sie sind jung, sie sind frei, und es ist Sommer. Niels und Maria ziehen bis Ende August in die Wohnung von Niels‘ Onkel, mietfrei – und das heißt sorgenfrei. Sie leben ihr Leben, sie lieben ihre Liebe. Unbekümmert leben sie in den Tag – „Heute oder morgen“ ist der passende Filmtitel von Thomas Moritz Helms Debütfilm, der diese Beziehung detailliert und ausgiebig betrachtet.

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Die erste Szene: Maria flirtet mit einem Mann; trinkt von seinem Bier, bietet ihres zum Tausch an. „Wie kommt es, dass das Bier des anderen immer besser schmeckt?“, fragt sie verführerisch, „Ich habe reingespuckt“, kommt die schlagfertige Antwort. Aufgenommen ist das in einer einzigen Einstellung, das wirkt unmittelbar, auch wenn Handkameranutzung seit ca. 2005 als ausgestorben gelten kann. Die Szene geht noch weiter. Maria stellt ihren Freund Niels vor. Und der streichelt alsbald das Knie des Fremden. Maria und Niels sind ein eingespieltes Team im Anmachen, das merkt man – es ist ein Spiel, aus dem nicht zwingend etwas Verrücktes für die Nacht werden muss, aber die Fantasie regt es an, und Spaß macht es auch.

Nur, dass Niels – als der Fremde einen Rückzieher macht – Maria liebevoll, aber bestimmt beschuldigt, sie sei es halt zu schnell angegangen. Ein Schlaglicht auf Niels: Der, bei aller ausgestellter Offenheit, bei aller fantasievollen Freizügigkeit eben doch die Oberhand behalten will. Maria fügt sich. Sie ist stark, selbstbewusst, sie geht frei um mit sich, mit ihrer Sexualität. Aber sie fügt sich. Immer wieder. Und das ist die große Stärke des Films: Wie genau er seine Protagonisten charakterisiert, ohne dabei zu werten, ohne selbst eine Position einzunehmen. Dass Niels immer mehr als Arschloch erscheint – der Zuschauer kann das sehen, muss es aber nicht. Dass Maria sich Selbstbestimmung holt, ohne es selbst zu merken – das wird andeutend gezeigt, eine wirkliche Pygmalion-Story aber verweigert der Film.

Maria steht im Mittelpunkt des Films. Aber sie ist immer im Verhältnis zu Niels zu sehen; der redet viel, redet auch viel Unsinn, aber er bindet sie an sich, beispielsweise, indem er ihr auf der Parkbank eine erregende „Flotter Dreier“-Fantasie ins Ohr flüstert und sie dabei zum Orgsamus fingert. Oder indem er sie dazu bringt, sich nach jeder kleinen Missstimmung zu entschuldigen. Sie macht das mit. Es ist ja alles ein Spiel, eines ohne Gewinnen oder Verlieren.

In der Bahn macht Niels Maria auf eine andere, „geil aussehende“ Frau aufmerksam. Sprich sie doch mal an! Oder traust du dich nicht? Maria zögert. Dann geht sie hin zu dieser Frau. Die trägt eine Kiste Radieschen mit sich, und beim Knabbern an den roten runden Wurzeln spürt man das Knistern zwischen den beiden. Später werden sie sich wiedersehen. Und sie werden knutschen – und mehr. Niels hat sie aufeinander gebracht – und ist nun sauer. Bis er auch anfängt, mit Chloe zu knutschen …

Diese Story einer sommerlichen Ménage à trois ist eine Geschichte der Freiheit – und die Freiheit ist dabei immer relativ. Niels und Maria: Sie sind frei, aber was damit anfangen? Für Niels ist Freiheit, die Kontrolle zu behalten. Maria tastet sich spielerisch immer weiter. Beide leben narzisstisch-hedonistisch, eine Beziehung im fragilen Gleichgewicht, immer unbefangen, aber auch immer ein bisschen zu unverbindlich. Chloe: Das ist ein weiterer spielerischer Spaß. Oder mehr? Und kommt in einer Beziehung, in einer Dreifachbeziehung zumal, nicht irgendwann der Punkt, an dem man Verantwortung übernehmen muss?

Helm stellt seine Protagonisten nicht aus. Er nimmt mit ihnen am Leben teil. Ein Leben, das auf den ersten Blick verführerisch ist in seinen unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Und dahinter, das wird subtil deutlich, ist die Zukunft doch nie vorgesehen.

Heute oder morgen (2019)

In dem Film geht es um drei junge Menschen in Berlin, die sich einen Sommer lang treiben lassen und sich in ein/zwei/drei Liebesabenteuer stürzen. In Opposition zu gängigen Moralvorstellungen fragen sie nicht nach dem Morgen und geben dem Leben die Peitsche.

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Meinungen

Lisa · 07.07.2022

Der Film strotzt vor toxischer Männlichkeit, die nie die Oberhand verliert oder aufgelöst wird. Es ist wirklich schwer auszuhalten - und hat nichts mit Freiheit zu tun (oder gelungenen offenen/polyamorösen Beziehungen)! Harald Mühlbeyer beschreibt es sogar: "der Zuschauer kann das sehen, muss es aber nicht" - doch, das muss man sehr wohl: sehen, benennen und nicht unkommentiert stehen lassen! Schwierig bleibt auch, die Interpretation "er [Niels] bindet sie [Maria] an sich" - einfach so stehen zu lassen. Wer in einer solchen Beziehung steckt, sollte sich dringend Hilfe holen. Oder vielleicht würde es in diesem Fall auch eine weibliche (Co-)Regisseurin tun...

Die Figuren und deren Alltag entspringen einem Berlin des Tourismus: RAW-Gelände, Minigolf in Kreuzberg, Bier trinken am Kanal, Kaffee trinken in Friedrichshain. Ein Film der den anscheinend immer noch traurigen Zustand der deutschen Kinoszene deutlich macht. Nicht empfehlenswert!