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Im März 2019 wird ein Urteil gesprochen in dem Fall, von dem François Ozon in seinem neuen Film erzählt. Es geht um Jungen, einen pädophilen Priester und die katholische Kirche. 

Gelobt sei Gott (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Macht des Schweigens

Alexandre (Melvil Poupaud) hat beschlossen, nicht länger zu schweigen. Also schreibt er einen Brief, dessen Inhalt zu Beginn von François Ozons Gelobt sei Gott (Grâce à Dieu) aus dem Off erklingt: Er schreibt an Kardinal Barbarin (François Marthouret), der nun für die Erzdiözese Lyon zuständig ist. 

Zunächst betont er, wie wichtig der katholische Glaube für ihn ist. Seine Kinder gehen auf eine katholische Schule, seine Frau unterrichtet dort. Dann schreibt er, wie er als Kind Mitglied bei den Pfadfindern war und dort von dem Priester Bernard Preyat (Bernard Verley) missbraucht wurde. Der Kardinal reagiert ebenfalls mit einem Brief, er vermittelt Alexandre ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin. Es folgen weitere Briefe, ein Treffen mit seiner Mitarbeiterin Régine Maire (Martine Erhel) – und wieder Briefe. 

Die Bildsprache, die symmetrischen, langen Einstellungen spiegeln die Zähigkeit dieses Prozesses ebenso wieder wie die vielen Briefe, die immer wieder aus dem Off vorgelesen werden. Alexandre nimmt den Kardinal und auch den Papst beim Wort: Sie verurteilen öffentlich Pädophilie, also folgert er daraus, dass auch sie ein Interesse daran haben, den Priester zu bestrafen oder zumindest in den Laienstand zu versetzen. Alexandre weiß, dass er nicht der einzige ist, ein Bekannter hat ihn erst darauf angesprochen, ob er damals auch „betatscht“ wurde. Dennoch vertraut er anfangs der Kirche, vertraut ihr, den Fall aufzuarbeiten. Erst nach und nach bröckelt dieser und sein Glaube, er findet einen Mann, der ebenfalls missbraucht wurde, sein Fall ist nicht wie Alexandres verjährt. Doch dieser Mann führt anders als Alexandre kein bürgerliches Leben, er hat keine Familie, keinen Beruf – und er will sich nicht erinnern. Dennoch geht Alexandre zur Polizei und setzt damit Ermittlungen in Gang.

Diese Ermittlungen zeigen nun nicht nur das gesamte Ausmaß der Übergriffe, sondern führen zu Alexandre noch weitere Hauptfiguren ein. Das ist eine kluge Entscheidung von Ozon, der damit nicht nur zeigt, dass Missbrauch kein Einzelfall ist, sondern auch erkennen lässt, wie unterschiedlich die Männer mit dem Missbrauch umgehen. 

Leider verändert sich indes die Bildsprache mit dem Wechsel der Protagonisten nur wenig, dabei ist beispielsweise François (Denis Ménochet) viel wütender als Alexandre, viel direkter in seiner Verarbeitung. Sicherlich geht die Strenge, die Ruhe ein wenig zurück. Aber hier wäre deutlich mehr möglich gewesen. François ist es dann, der den Verein „La Parole Libérée“ gründet, der weitere Opfer sucht und medialen Druck aufbaut – aber auch Zusammenhalt schafft. Hier hat Ozon während seiner Recherchen seine Story gefunden, hier hat er die Menschen gefunden, die in diesem Film, der auf wahren Ereignissen basiert, den Figuren zugrunde liegen. 

Es ist also fraglos eine erschütternde Geschichte, dennoch stellen sich in dem Film bisweilen Irritationen ein: Die meisten Betroffenen, denen man im Verlauf des Films begegnet, haben Familie, Berufe, sie gehören zumeist wenigstens zur oberen Mittelschicht. Das sei typisch für die Pfadfinder, bemerkt Emmanuel (Swann Arlaud) einmal – auch ein Betroffener. Er ist nicht wohlhabend – und ihn haben die Vorfälle völlig aus der Bahn geworfen. Er geht viel direkter, viel roher mit diesen Erfahrungen um und unweigerlich stellt sich die Frage, inwieweit es hier einen Zusammenhang mit seinem sozialen Hintergrund gibt. Auch wird im ersten Teil die Familie Alexandres nachgerade bilderbuchhaft inszeniert: Fünf wohlgeratene Kinder, die alle stolz auf den Vater sind, eine verständnisvolle Frau. Womöglich ist es nur mit einem so unterstützenden Umfeld möglich, diesen Kampf durchzustehen. Aber in diesem Film geht es vielmehr um den Kampf als um seine Begleiterscheinungen. 

Unnötig sind indes die Rückblenden in die Zeit der Pfadfinderlager. Wenn erwachsene Männer erzählen, dass sie damals missbraucht wurden, dann kann sich das Publikum durchaus vorstellen, wie ein Pfadfinderlager aussieht. The Kindness of Strangers und Systemsprenger liefen auf der Berlinale vor diesem Film – und habe beide bewiesen, wie kraftvoll es ist, nicht für alles Bilder zu liefern. Zumal Gelobt sei Gott insgesamt ohnehin zu lang ist und zu vielen Nebenklängen Raum lässt, den Rückblenden, den privaten Konflikten einiger Figuren beispielsweise. 

Spannendere Fragen werden stattdessen nur angedeutet: Der Priester gibt zu, was er getan hat. Er sagt, seine Oberen wussten Bescheid – und weil die nichts gemacht haben, wusste er nicht, was er tun soll. Hier verweist Ozon sehr deutlich auf das Schweigen in der katholischen Kirche. Auch deutet sich immer wieder an, wie eng gerade das Großbürgertum in Lyon mit der Kirche verbunden ist. Womöglich schweigen deshalb weitere Opfer, weil sie es sich nicht leisten können, es sich mit der Kirche und den Gläubigen, die finden, man solle daraus keine große Sache machen, verderben. 

Hier zeigt sich eine interessante Parallele: Im Presseheft ist zu lesen, dass Ozon erst an einen Dokumentarfilm dachte, aber dann den Eindruck hatte, die Opfer von damals seien enttäuscht, weil sie schon so viele Interviews gegeben haben und nun auf einen fiktionalen Film wie Spotlight gehofft haben. Tatsächlich aber geht es bei Spotlight ja gerade nicht um die Betroffenen, sondern um das System, das dahintersteckt – und zwischen den Ereignissen und dem fiktionalen Film liegt über ein Jahrzehnt. Hier fehlen wichtige Zwischenschritte für eine Aufarbeitung des Systemischen; hier scheint aber auch die nötige Distanz zu den realen Vorbildern und dem tatsächlichen Fall zu fehlen.

Gelobt sei Gott (2019)

In seinem neuen Film, den François Ozon unter größtmöglicher Geheimhaltung realisierte, erzählt er basierend auf wahren Ereignissen die Geschichte dreier Männer, die alle in ihrer Kindheit von einem Priester sexuell missbraucht wurden. Als sie mitbekommen, dass der Pfarrer immer noch Umgang mit Kindern und Jugendlichen hat, brechen sie ihr Schweigen … 

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Meinungen

Heinz-Peter Kröll · 11.03.2020

Großes Kino - die Kritik ist Schwachfug