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Einer uralten orthodoxen Tradition folgend springen Männer — und zwar nur Männer — in die Fluten eines mazedonischen Flusses, um ein Kreuz herauszufischen, das ein Priester dort hineingeworfen hat. Bis eines Tages eine Frau das Kreuz ergattert. Von da an ist der Teufel los in Stip.

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Sprung ins kalte Wasser

Manchmal genügt eine kleine Unüberlegtheit, um eine Revolution in Gang zu setzen: Ein unbedachtes Wort, eine spontane und rein intuitive Geste, eine Handlung, deren Folgen man weder bedacht noch intendiert hatte, und schon steht die Welt in Flammen. Ganz so gravierend sind die Folgen nicht, die Petrunija, eine 32-jährige arbeitslose Historikerin aus dem mazedonischen Kleinstädtchen Stip auslöst. Doch für sie und alle in ihrer Umgebung fühlt es sich immerhin beinahe so an, als stünde die Welt in Flammen. Denn der Horizont der Menschen von Stip reicht kaum über die Stadt und sowieso nicht über die Landesgrenzen Mazedoniens hinaus. Dieses Land befindet sich, wie eine kämpferische Reporterin am Ende des Film direkt in die Kamera spricht, immer noch mit (mindestens) einem Bein im tiefsten Mittelalter.

Petrunija (exzellent gespielt von Zorica Nusheva) hat wahrlich keinen guten Tag, als ihr das „Missgeschick“ passiert. Ein Vorstellungsgespräch als Sekretärin endet mit einer plumpen Anmache, etlichen Unverschämtheiten und Beleidigungen („Sie würde ich nicht mal ficken!“) Sie hat natürlich keinerlei Aussicht, den dringend benötigten Job zu erhalten. Dann gerät sie zufällig in die Prozession, die in ganz Mazedonien zu den unverbrüchlichen kirchlichen Traditionen zählt. Das vom Priester gesegnete Kreuz verspricht demjenigen, der es aus den Fluten des eiskalten Flusses herausfischt, ein Jahr voller Glück und die Bewunderung der Gemeinde. Und es gehört zu den ungeschriebenen, aber gleichfalls niemals hinterfragten Regeln dieses Brauchs, dass nur Männer sich an ihm beteiligen.

Als sich die zufällig anwesende Pertunija auf dem Rückweg von dem missglückten Vorstellungsgespräch mit den Männern ins Wasser stürzt, ist dies also kein Akt der offenen Rebellion, sondern eine spontane Unüberlegtheit, die ziemlich sicher ohne Folgen geblieben wäre, wenn sie das Kreuz nicht als erste in die Höhe gereckt hätte. Doch weil sie es war und dies trotz des anschließenden Diebstahls nicht abgestritten werden kann, kocht die (vor allem männliche) Volksseele hoch, so dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden und die glückliche Siegerin aufs Polizeirevier abführen. Nur: Wie lautet eigentlich die Anklage, wenn gegen kein Gesetz verstoßen wurde? Während draußen der Mob tobt und eine Reporterin eine Sensation wittert, zerbrechen sich drinnen die Exekutive und der Klerus den Kopf, wie die alte Ordnung wiederhergestellt werden kann.Und Petrunija steht plötzlich im Mittelpunkt des Interesses, bleibt ruhig, obwohl sich selbst ihre Mutter gegen sie wendet, und wird vom Schaf zur Wölfin, zur Störenfriedin der göttlichen Ordnung. Und ihr spontaner Entschluss wird gegen ihren Willen ein Fanal des Aufbruchs in einem Land, das sich noch fest im Würgegriff patriarchaler und autoritärer Strukturen befindet.

Angesiedelt an einem einzigen Tages fokussiert Teona Strugar Mitevska in ihrem Spielfilm, der zwischen Tragikomödie und Satire angesiedelt ist, die Probleme und Rückständigkeiten der mazedonischen Gesellschaft wie unter einem Brennglas und prangert Misogynie, Obrigkeitshörigkeit und die unheilige Allianz zwischen Staat und Kirche schonungslos an. Doch es gibt Hoffnung, wie ihr Film zeigt.

God Exists, Her Name Is Petrunija hat das Zeug, zum Publikumsliebling bei der diesjährigen Berlinale zu werden. Mit Sicherheit ist er kein perfekter Film: Die Unkonventionalität, die er eingangs mit seinem rohen und schnellen Punk-Score verspricht, kann er nicht einhalten, sondern fügt sich schlussendlich ein wenig unter das Joch der Arthouse-Formeln, ist zu versöhnlich und zu gefällig, baut ohne jede Not ein Love Interest in Gestalt des schüchternen Polizisten Darko ein, den eine wie Petrunija bestimmt nicht nötig hätte. Dennoch hat der Film etwas geschafft, was bislang mit Ausnahme von Nora Fingscheidts Systemsprenger noch kein Film hier geschafft hat: Er hat sein Publikum begeistert.

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya (2019)

An jedem 19. Januar wirft ein Priester ein Kreuz in das eiskalte Wasser und Hunderte von Männern springen hinterher, um der Glückliche zu sein. Denn wer das Kreuz findet, der ist nicht nur eine Art lokaler Held, sondern dem winkt auch Segen und Glück für das kommende Jahr. Doch in diesem Jahr ist alles anders, weil die alleinstehende Petrunija sich daran beteiligt und das Kreuz tatsächlich findet. Doch damit beginnen die Schwierigkeiten erst … 

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Meinungen

Martin Zopick · 05.08.2021

Ein Mädels Film der anspruchsvollen Art. Petrunya (Zorica Nusheva) ist arbeitslos und nicht mehr die Jüngste. Sie hat ein Diplom als Historikerin, ist aber ohne Berufserfahrung und wohnt immer noch im Hotel Mama. Jedes Jahr am Dreikönigstag wirft der Pope (Suad Begovski) ein Kreuz in den eiskalten Fluss des nordmazedonischen Ortes und nur die jungen Burschen dürfen hinterherspringen. Wer es rausholt hat das ganze Jahr sehr viel Glück. Einmal springt Petrunya spontan ins Wasser und ergattert das Kreuz. Sie verschwindet unerkannt und tritt eine Lawine los, in deren Verlauf sich Staat und Kirche aber auch die Machos eine handfeste Auseinandersetzung liefern. Zwei Lager stehen sich gegenüber: die Traditionalisten und die Emanzen. Die Aktionen reichen von Schlägereien mit Bespuckungseinlage bis zu den übelsten Beschimpfungen.
Hat Petrunya das Kreuz gestohlen? Ihre Tat ist eine Provokation, eine ‘blasphemische Entweihung des Kreuzes‘. Eine überregionale Reporterin (Labina Mitevska) macht Interviews fürs Fernsehen. Die patriarchalische Ordnung wankt. Petrunya wird aufs Polizeirevier gebracht. Das Verhör ähnelt einem Inquisitionsverfahren. ‘Sind sie gläubig?‘
Die Regisseurin Teona Stragar Mitevka handelt das Problem dialogmäßig umfassend ab ohne eine Antwort zu geben. ‘Gut, dass wir drüber geredet haben…‘, kann sie für sich ins Feld führen. Petrunya geht wieder nach Hause.