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Anfangs wollte die syrische Filmemacherin Waad al-Khateab eigentlich nur das Leben in Aleppo von Anbeginn der Revolution an dokumentieren, doch als der Krieg über die Stadt hereinbrach, wurden ihre Aufzeichnungen zu einem Dokument des eigentlich Unvorstellbaren.

Für Sama (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Innenansichten aus dem Krieg um Aleppo

Wenn die Bomben fallen auf Aleppo, dann sieht man im Gesicht von Sama keinerlei erschreckte Reaktion auf den ohrenbetäubenden Lärm, während die Erwachsenen um sie herum bei jedem Einschlag sichtbar zusammenzucken. Für das Mädchen, das noch kein Jahr alt ist, sind die Geräusche aber so normal, dass sie schlicht nicht reagiert.

In dem Dokumentarfilm Für Sama, den die syrische Journalistin Waad al-Khateab gemeinsam mit Edward Watts realisierte, gibt es viele schreckliche Bilder und noch viel mehr, das gar nicht erst Eingang in den Film fand. Doch der Schrecken lauert manchmal eben auch in der Nicht-Reaktion eines Kindes wie Sama, die in die Belagerung von Aleppo hineingeboren wurde. Und viel liegt hierin, sogar fast so etwas wie eine gewisse Tröstlichkeit: Dass ein Kind überhaupt in diesen Bedingungen beinahe „normal“ aufwachsen und so etwas ausblenden kann. Wobei, wenn man es recht bedenkt, ist dies nur ein schwacher Trost und eigentlich keiner, der ernst zu nehmen ist.

Seit dem Beginn des Aufstandes gegen das syrische Regime im Jahre 2011 hat die heute 28 Jahre alte Waad al-Khateab mit ihrer Kamera das Geschehen in ihrer Heimatstadt Aleppo dokumentiert — ohne dass sie anfangs die Intention gehabt hätte, aus dem Material, das sie unermüdlich sammelte, einen Film zu montieren: “When I was first filming there was no plan at all, except to survive. I just shot daily life.” Mit der Zeit sammelte sie neben den Berichten, die sie für verschiedene internationale Fernsehanstalten während der Belagerung von Aleppo realisierte, rund 300 Stunden Material, bis sie gemeinsam mit ihrem Mann Hamza, einem Arzt und ihrer Tochter Sama im Dezember 2016 bei der Einnahme durch Regierungstruppen die Stadt verlassen konnte. Allein dass die beiden nicht sofort von den Militärs verhaftet wurden, ist schon ein kleines Wunder, denn beide haben sich durch ihre Arbeit in Aleppo als Gegner des Regimes exponiert. 

Hamza betrieb gemeinsam mit einem Kollektiv das letzte noch funktionierende Krankenhaus der Stadt, nachdem die russische Luftwaffe zuvor die anderen acht in Grund und Boden gebombt hatte. Und Waads Arbeit für ausländische Sender reflektierten die Sicht der belagerten Bevölkerung und die Kriegsverbrechen, die Baschar al-Assad gegen sein eigenes Volk mit äußerster Brutalität beging. Im Exil in London traf Waad dann auf Vermittlung des Senders Channel 4 Edward Watts, der ihr bei der Durchsicht des Materials und der Montage half.

Herausgekommen ist dabei ein sehr persönliches Tagebuch, mit dem sich Waad an ihre Tochter Sama wendet, die der Film immer wieder ins Zentrum rückt. In Zeitsprüngen zeigt der Film die ganze Spanne der Gefühle vom berauschenden Gefühl der anfangs erfolgreichen Revolution gegen das verhasste Regime bis hin zu völliger Verzweiflung, vieltausendfachem Tod und der Gewissheit, von der Weltöffentlichkeit ignoriert und im Stich gelassen zu worden sein.

Für Sama ist ein ungemein emotionaler Film geworden: Was er in aller Deutlichkeit zeigt, ist das Leben unter unvorstellbaren Lebensumständen und angesichts einer himmelschreienden Unmenschlichkeit, die sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielte und der niemand Einhalt gebot. Der Film ist eine Hymne an die tapferen Menschen von Aleppo, die sich gegen das Regime von Bashar al-Assad erhoben und die deshalb von ihm und den russischen Militärs in Grund und Boden gebombt wurden. Und zugleich erinnert er daran, dass zwar das Sterben im Bombenhagel von Aleppo endete, doch das anderswo genau das Gleiche geschieht. Den verzweifelten Müttern und ihren Kindern, die in diesen Kriegen Unvorstellbares erdulden müssen, hat Waad al-Khateab mit ihrem Film eine Stimme gegeben.

Für Sama (2019)

„Für Sama“ erzählt die Geschichte der Reise einer jungen Frau durch Liebe, Krieg und Mutterschaft während der fünf Jahre seit dem Aufstand gegen Assad in Aleppo, Syrien.

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Meinungen

Olaf Bartels · 21.10.2020

Ich fand es halt schade, dass "Islamisten haben die Revolution gekapert" quasi nur mit einem Nebensatz gesagt wurde - das war alles ... Wie sich DAS auf das Alltagsleben auswirkte, dazu nichts. Ich meine, man sah manchmal vollverschleierte Frauen im Alltagsbild - das hat es zu des alten Assads Zeiten in Syrien (war 2003 dort) nie gegeben. Womit ich mit keiner Silbe das Assad-Regime schönreden möchte. Aber Differenziertheit à la Michael Lüders gab es im Film in der Tat nicht. Die hochprofessionellen, gestochen scharfen Drohnenaufnahmen passten auch nicht zu den "spontanen" Handkamera- bzw. Handybildern - dazu hätte ich in einem Making-of gern mehr erfahren ...
Dennoch würde ich den Streifen nicht als reinen "Propagandafilm" bezeichnen - bewegt hat er mich schon. Aber Syrien ist leider hochkompliziert ...

Super traurig · 11.02.2020

Super traurig. Unversch'mt ist unsere Welt

Ina Blume · 18.02.2020

Danke.
Wenigstens eine Stimme der Vernunft.
Mich macht dieser (persönliche Propaganda-) Film - bzw. alles, was ich bisher davon kenne und darüber höre - ziemlich ärgerlich.