Die Stunde des Wolfs

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Abgründe des Zwielichts

Sieben Jahre bereits leben der Maler Johan Borg (Max von Sydow) und seine Frau Alma (Liv Ullmann) überwiegend in einer kleinen Hütte auf einer kaum besiedelten Insel. Erfordern es die existentiellen Notwendigkeiten, arbeitet Alma für eine Weile auf dem Festland, um dann zu Johan in die Abgeschiedenheit der Insel zurückzukehren. Über die liebevolle, stille Zweisamkeit des Paares wachsen bedrohliche Schatten, als Johan von massiven Ängsten geplagt wird, vor allem vor der Dunkelheit, so dass er gemeinsam mit Alma die Nächte durchwacht und sich erst mit der dumpfen Müdigkeit des Morgengrauens dem Schlaf ergibt.
In einem Schloss auf der anderen Seite der Insel residiert der undurchsichtige Baron von Merkens (Erland Josephson) mit einem Kreis mondäner Besucher, der sich als Bewunderer Johans ausgibt und ihn gemeinsam mit Alma zu einem kleinen Fest auf dem Schloss einlädt. Der Maler und seine Frau fühlen sich sichtbar deplatziert innerhalb dieser gelangweilten, exaltierten und zynischen Gesellschaft mit der Gier nach geschmackloser Abwechslung. Immer wieder lassen die Anwesenden anzügliche Bemerkungen über Johans einstige Geliebte Veronica Vogler (Ingrid Thulin) fallen, was das Unwohlsein des Malers und auch Almas noch beträchtlich steigert. Selbst die Aufführung eines Ausschnitts aus Mozarts Zauberflöte mit der Sequenz “ ewige Nacht! Wann wirst du schwinden?“scheint die Qualen des Malers zu verspotten.

Das nächtliche Schweigen der Borgs weicht schwerlastigen Erzählungen und Geständnissen Johans aus einer bedrückenden Vergangenheit, die ihn nun verstärkt in Form von feindseligen Dämonen einholt, die durch die skurrile Gesellschaft im Schloss repräsentiert werden. Wahn und Wirklichkeit verbinden sich zu einem bösartigen Bollwerk, das zunehmend auch Almas Wahrnehmung beherrscht, die inzwischen auf Anraten einer geheimnisvollen alten Dame mit Hut (Naima Wifstrand) das Tagebuch ihres Mannes gelesen hat und angstvoll das Ausmaß der Abgründe zu ahnen beginnt, bis es in der kleinen Hütte zur gewaltsamen Eskalation kommt …

Selbst der Rahmenhandlung des Films, innerhalb welcher Alma einem Filmteam retrospektiv von den alptraumartigen Entwicklungen erzählt, die offensichtlich zum rätselhaften Verschwinden ihres Mannes Johan führten, gelingt eine elegante Verwebung von vielschichtigen Ebenen der so genannten Realität. Ingmar Bergman entwirft mit Die Stunde des Wolfs ein geschickt inszeniertes Schreckenszenario über die Verzweiflungen der menschlichen Existenz, das mit Elementen des Horrors, einem verwirrenden Surrealimus sowie mit einem dichten psychologischen Symbolismus immer wieder erneut zu schockieren vermag. Wenn dem komplett konfusen Künstler am Ende auf dem Schloss die Botschaft „Sie werden sehen, was Sie sehen wollen“ mit auf den Weg in seine pathologischen Imaginationen gegeben wird, erinnert dies unweigerlich an das „Magische Theater“ aus Hermann Hesses Steppenwolf, ebenso wie einige der zutiefst bewegenden und verstörenden Schwarzweißbilder wie literarische oder filmische Zitate erscheinen, Letztere vor allem aus dem gigantischen Werk des schwedischen Filmemachers selbst.

Ernsthaft und aufwühlend ist hier innerhalb der Reflexionen Almas – der guten, aufopferungsvollen Seele – auch von Liebe die Rede. Schwelende, tiefgründige Fragen über die Fähigkeit des korruptesten aller Gefühle, Wahn zu lindern oder aber in allzu großer Nähe gar zu fördern, umtreiben die sorgenvolle Gattin bei dem Gedanken, ob stärkere Distanz ihrerseits eine Rettung für Johan hätte sein können. Der titelgebenden Stunde zwischen Nacht und Morgengrauen wird hier die Magie der Verzweiflung verliehen, deren beißende Melancholie an der Schwelle zur Nichtexistenz nur wahrhaft verstehen kann, wer sie erlebt hat. Der schwermütige Filmemacher Ingmar Bergman, der zeitlebens mit ohnmächtigen Ängsten zu kämpfen hatte, hat mit Die Stunde des Wolfs ein dichtes, beunruhigendes und sehr persönliches Stück inszeniert, das bei Zeiten durch sparsam eingesetzte Zynismen besticht, wenn beispielsweise ein von Eifersucht gepeinigter Mann im konkreten Sinnes des Wortes die Wände hochgeht. Das ist schwerlastige, gewagte Filmkunst, die unter die Haut geht und auch noch lange nach der Sichtung dort verbleibt.

Die Stunde des Wolfs

Sieben Jahre bereits leben der Maler Johan Borg (Max von Sydow) und seine Frau Alma (Liv Ullmann) überwiegend in einer kleinen Hütte auf einer kaum besiedelten Insel. Erfordern es die existentiellen Notwendigkeiten, arbeitet Alma für eine Weile auf dem Festland, um dann zu Johan in die Abgeschiedenheit der Insel zurückzukehren.
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