Das Summen der Insekten - Bericht einer Mumie

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Chronik eines freiwilligen Sterbens

Der Film beginnt beinahe wie ein Fernsehkrimi, wie man ihn hundertfach kennt. Im hellen Licht des Winters ist eine mumifizierte Leiche gefunden worden. Wie der Off-Sprecher berichtet, handelt es sich um einen unbekannten Mann um die Vierzig, der von einem Hasenjäger per Zufall entdeckt wurde. Wir sehen aus der Ferne, wie die Leiche abtransportiert wird und erfahren, dass bei dem Leichnam Aufzeichnungen in einer Art Tagebuch gefunden wurden. Hiermit endet der Prolog – und damit auch das Vertraute an diesem Film. Denn was von nun an folgt, ist die Inszenierung eines gewagten filmischen Experiments, wie man es in dieser Radikalität selten bis nie zu sehen bekommt. Oder anders ausgedrückt: Peter Liechtis Film ist ein Meisterwerk voller Schönheit und Grausamkeit, das sich zwischen allen Stühlen und Genres bewegt – ein schlichtweg unerhörter, noch nie gesehener Film, eine Grenzerfahrung von unglaublichem Ausmaß.
In knapper präziser Sprache schildert der Off-Sprecher (offensichtlich liest er aus den Aufzeichnungen der Leiche aus dem Wald vor), wie der Unbekannte einen ungeheuren Entschluss fasst. Er will sich zu Tode hungern. Tag für Tag beschreibt er nun seinen schleichenden Tod, registriert den Verfall seines Körpers mit grausamer Neutralität, schildert seine Empfindungen und den Lauf der Natur in dem selbstgebauten Sterbehospiz im Wald. In stilisierten Bildern liefert die Kamera den dazugehörigen „stream of consciousness“, zeigt Details der Natur des Waldes, schwarzweiße Impressionen des Lebens da draußen. Peter Liechtis Film kombiniert Bilder von hoher Symbolkraft, die an die frühen Meister des Kinos wie Carl Theodor Dreyer und an diverse Regisseure des filmischen deutschen Expressionismus erinnern, mit dokumentarisch-nüchternen Fragmenten zu einem collagenartigen Bilderteppich, der von einem ebenso diffus gewebten Soundgebilde voller Düsternis kongenial ergänzt wird.

Obwohl der Film die Inszenierung eines literarischen Textes von Shimada Masahiko ist, erhielt Peter Liechti für seinen Film den Europäischen Dokumentarfilmpreis 2009, was zeigt, wie groß die Verunsicherung über dieses filmisches Essay ist, das sich konsequent jeder Zuschreibung und Bezeichnung entziehen mag. Das Summen der Insekten – Bericht einer Mumie ist Wahn, Rausch, Dokumentation eines Sterbens, vielleicht sogar des Sterbens schlechthin, ein gewaltiger und gnadenlos subjektiver, gleichsam körperloser Essay über eine radikale Weltverweigerung, das von der ersten bis zur letzten Minuten fesselt, fasziniert und verstört und sich dem Gehirn des Zuschauers förmlich einbrennt. Die Fragen, die er aufwirft nach dem Sinn des Lebens, nach dem Tod und der eigenen Haltung beidem gegenüber, sie wirken lange nach und lassen einen nicht mehr so schnell los.

Dass dieser Film sämtliche Preise und alle Aufmerksamkeit verdient hat, die ihm bereits teilweise zugesprochen wurden, steht außer Zweifel. Ob er nun allerdings ausgerechnet einen Dokumentarfilmpreis verdient hat, das steht wiederum auf einem ganz anderen Blatt. Wie dem auch sei und wie man ihn auch benennen mag: Er ist und bleibt ein Meisterwerk.

Das Summen der Insekten - Bericht einer Mumie

Der Film beginnt beinahe wie ein Fernsehkrimi, wie man ihn hundertfach kennt. Im hellen Licht des Winters ist eine mumifizierte Leiche gefunden worden. Wie der Off-Sprecher berichtet, handelt es sich um einen unbekannten Mann um die Vierzig, der von einem Hasenjäger per Zufall entdeckt wurde. Wir sehen aus der Ferne, wie die Leiche abtransportiert wird und erfahren, dass bei dem Leichnam Aufzeichnungen in einer Art Tagebuch gefunden wurden. Hiermit endet der Prolog – und damit auch das Vertraute an diesem Film.
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Meinungen

Sylvia · 01.06.2011

Faszinierend. Dieser Film hat mich sofort gefesselt und bis heute nicht mehr losgelassen. Ganz hervorragend - ich vergebe volle Punktzahl !

Jojo · 12.05.2011

Ich war gebannt von diesem Film. Es war spannend, wie ein Thriller, unheimlich und stimmte mich sehr nachdenklich. Wieviel der menschliche Körper aushält und wie stark im Geiste jemand ist, der diesen "unkonventipnellen" Suizid bis zum Ende führt, ohne, dass der Körper ihn zum Aufgeben bringt.. Wichtiges Thema, sehr guter Film