Log Line

Der Protagonist und Autor dieses Dokumentarfilms stellt einen merkwürdigen Widerspruch in seinem Leben fest. Er wohnt in einem friedlichen Dorf, war nie im Krieg und steht dennoch in wiederkehrenden Albträumen als Soldat an der Front. Gibt es da eine unbewusste Verbindung zu seinen Großvätern?

Der Krieg in mir (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Was hat Großvater in Weißrussland getan?

Auch der Enkelgeneration kann die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte während der Nazizeit noch so manche Entdeckung bieten. Viele Deutsche wissen vermutlich nicht, was ihre Großväter im Zweiten Weltkrieg erlebt, was sie getan haben, allein schon weil auch ihre Eltern das nie in Erfahrung bringen konnten. Der Dokumentarfilmer Sebastian Heinzel (89 Millimeter), der sich fragt, ob Großvater Hans an der Ostfront in Weißrussland womöglich an Kriegsverbrechen beteiligt war, hat jedenfalls wiederkehrende Albträume. Darin kämpft er als Soldat in Russland, bis er schweißgebadet aufwacht.

Heinzel beschließt, sich genauer mit dem Erbe der beiden Großväter – denn auch Opa Fritz war an der Ostfront – zu befassen, das er offenbar unbewusst mit sich herumschleppt. Er packt das Thema von ganz verschiedenen Seiten an. Er redet mit seinem Vater Klaus Heinzel, der ein distanziertes Verhältnis zu seinem 1991 verstorbenen Vater Hans hatte. Nie habe dieser über seine Kriegserlebnisse reden wollen. Heinzel fährt mit dem Vater nach Weißrussland, dorthin, wo Großvater Hans mit seiner Einheit stationiert war. Und er informiert sich über wissenschaftliche Erkenntnisse der Epigenetik, wonach traumatische Ereignisse, Leid und Not das individuelle Erbgut verändern können, das dann an die nachfolgenden Generationen weitergereicht wird.

Der Dokumentarfilm pflegt einen leichten Tonfall, der die Neugier schürt, weil die Annäherung an das Thema so offen wirkt. Indem sich Sebastian Heinzel zum Untersuchungsobjekt in Sachen Unterbewusstsein, Trauma und Vererbung macht, nimmt er eine reflexive Haltung ein, in der des Öfteren auch eine Spur Selbstironie mitschwingt. Die visuelle Gestaltung weckt von Beginn an mit ihren kreativen Einfällen ebenfalls die Neugier. Heinzels Albträume vom Krieg tauchen als Animationen auf, die das reale Geschehen unterbrechen. Während er in Voice-Over über die merkwürdige Diskrepanz zwischen der idyllischen Außenwelt, in der er lebt – auf einem Biobauernhof im Schwarzwald –, und seinen nächtlichen Träumen spricht, nähert sich eine Drohnenkamera dem lieblichen Dorf. Dann senkt sie sich vertikal hinab, um ihn als einzelnen Menschen, der auf dem Rasen einen Schatten wirft, sichtbar werden zu lassen.

Heinzel besucht Isabelle Mansuy, die Leiterin des Züricher Instituts für Neuroepigenetik, die ihm erklärt, dass sich extremer Stress biologisch vererben kann und dann – zumindest bei ihren Versuchsmäusen – auch in der nächsten Generation zu Verhaltensänderungen führt. Weil aber Heinzel selbst so friedlich und wenig verhaltensauffällig wirkt, bleibt die Spekulation, ob er von den Kriegserfahrungen der Großväter genetisch betroffen ist, doch sehr theoretisch und weit hergeholt.

Ergiebiger gestaltet sich da schon die historische Spurensuche, die ihn und seinen Vater zunächst in die militärische Abteilung des Bundesarchivs führt. Dort erfahren sie zwar auch nichts Konkretes über die Aktivitäten von Großvater Hans in Weißrussland, allerdings bekommen sie zu hören, dass deutsche Soldaten in der Region Dörfer plünderten und zerstörten, mit der Absicht, die Zivilbevölkerung auszuhungern. In Weißrussland hören sie von 628 zerstörten Dörfern. Wenn Heinzel dort einer alten Frau, die als Kind ins Konzentrationslager verschleppt wurde, und alten Männern in dem ländlichen Gebiet, in dem der Großvater im Einsatz war, begegnet, entstehen irritierende Momente. Manche Gesprächspartner, denen er Fotografien des Großvaters in Uniform zeigt, fühlen sich offenbar bemüßigt, ihn mit versöhnlichen Worten und Gesten zu beschwichtigen oder gar zu trösten. Die alte Frau sagt, der Großvater sehe wie ein guter Mensch aus, er habe nur Befehle ausgeführt.

In einem Freiluft-Kriegsmuseum, das Stalin Line heißt, werden Schlachten vor Publikum nachgespielt. Heinzel darf in einer Uniform, wie sie auch der Großvater hatte, den deutschen Kommandeur spielen, der „Feuer!“, „Feuer!“ ruft, während seine Soldaten schießen. Das gemeinsame Kriegsspiel scheint eine positive Wirkung auf ihn zu haben. Oder vielleicht haben die Gespräche mit dem Vater und die ganze Reise nach Weißrussland dazu geführt, dass seine Albträume weniger werden.

Gestaltet sich diese Reise wegen der Begegnungen mit Menschen anderer Mentalität noch recht interessant, so sind es die Schlussfolgerungen, die Heinzel und sein Vater aus ihr ziehen, nicht mehr. Denn sie wirken sehr privat, auch weil die Frage der möglichen Schuld des Großvaters dann doch nicht vertiefend diskutiert wird. Auf einmal ist das ganze Thema abgehakt und die vermuteten epigenetischen Spuren haben irgendwie auch an Bedeutung verloren. So erscheint der Film trotz seiner ansprechenden visuellen Gestaltung und der interessant präsentierten Ausgangsfragen letztlich eher nur für eine Zielgruppe aus dem Umfeld des Autors relevant. Für ein öffentliches Publikum bietet er doch recht wenig Substanz.

Der Krieg in mir (2019)

„Schweissgebadet wache ich nachts auf. Immer wieder derselbe Traum. Ich sitze in einem Panzer und schieße auf Menschen. Alle sprechen russisch. Ich bin im Krieg.“ Ausgehend von seinen nächtlichen Kriegsträumen begibt sich der Filmemacher Sebastian Heinzel auf eine Spurensuche nach den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs in seiner Familie. Er folgt den geheimnisvollen Wegen seiner Großväter von Nordhessen bis nach Russland und entdeckt ungeahnte Verbindungen zu seiner eigenen Geschichte. Gibt es einen unsichtbaren Faden, der ihn selbst seit Jahren nach Osteuropa führt?

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Meinungen

Antonia · 31.05.2019

Toller Film!
Ich habe ihn bereits gesehen und bin sehr beeindruckt und berührt davon, wie bewusst Sebastian Heinzel an die Aufarbeitung seiner Familiengeschichte herangeht. Das Thema ist wahnsinnig wichtig für uns Menschen, da wir nur durch die Auseinandersetzung mit diesen Themen Traumata lösen und heilen können. Vielen Dank für diesen Film und eine große Empfehlung an alle, die ein Interesse daran haben, mehr darüber zu erfahren und sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Die Filmkritik - vor allem das Fazit am Ende - ist für mich allerdings ein Hinweis darauf, dass ein bewusster Umgang und Offenheit mit diesem Thema wichtig sind.
Dieser Film ist sehr relevant für die Öffentlichkeit!