Circles

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die Kreisbewegungen der Schuld

Es ist ein kleines Detail, das die Geschichte von Circles ins Rollen bringt: Als sich der Soldat auf Wochenendurlaub, Marko, von seinem Vater verabschiedet, um seine Freundin besuchen zu gehen, lässt er sein Päckchen Zigaretten liegen. Sein Vater ruft ihm noch hinterher, aber Marko hört ihn schon nicht mehr. Und man ahnt: Das hat Folgen. Es ist ein solcher Moment, an den man im Laufe des Films immer wieder zurückdenkt: Hätte Marko nur die Zigaretten mitgenommen, dann wäre die Geschichte und der Lebenslauf so vieler Figuren ganz anders verlaufen.
Circles erzählt mehrere Geschichten, die alle in dem einen Ereignis in Trebinje 1993 ihren Ausgangspunkt finden und deshalb auch zusammenhängen. Marko (Vuk Kostic) hat Haris (Leon Lucev) das Leben gerettet, der daraufhin bald nach Deutschland ausgewandert ist. Er hat Arbeit und eine Ehefrau gefunden, mittlerweile einen guten Job bei BMW in Halle, eine kleine Wohnung in einem Hochhauskomplex und mit zwei Töchtern eine harmonische kleine Familie. Als ihn Markos ehemalige Freundin Nada (Hristina Popovic) zwölf Jahre später kontaktiert und seine Hilfe sucht, wird die familiäre Harmonie allerdings ernsthaft bedroht.

Mit Markos Tod ist Nadas Leben aus den Fugen geraten. Sie sagt selbst, dass sie nicht mehr wusste, was sie mit sich und ihrem Leben anfangen sollte. Sie ist dann ebenfalls nach Deutschland gegangen, hat einen Job in einer Bar angenommen und ihren Ehemann (Dejan Cukic) kennen gelernt. Sie haben zusammen einen Sohn bekommen, doch bald darauf hat sich die Ehe als Fehler erwiesen, Nada ist mit Sohn Dusan abgehauen und bis heute auf der Flucht vor ihrem Mann, dem jedes Mittel recht ist, um seinen Sohn wiederzufinden.

Markos Vater Ranko (Aleksandar Bercek) leidet ebenso wie Nada Jahre danach an Markos Tod. Er verbringt seine Tage damit, eine Kirche mitten in den trockenen Bergen wieder aufzubauen. Als der Sohn eines von Markos Mörders, Bogdan (Nikola Rakocevic), bei ihm Arbeit sucht, wird Ranko erneut mit den Fragen von Schuld und Vergebung konfrontiert. Und auch Markos damals bester Freund und Zeuge von dessen Tod, der Arzt Nebojsa (Nebojsa Glogovac), wird von der Vergangenheit eingeholt. Der damalige ‚Anführer‘ des Geschehens, Todor (Boris Isakovic), wird mit schweren Unfallfolgen in die Klinik eingeliefert, und es ist an Nebojsa, dessen Leben zu retten. Kann und soll er das tun?

Die Handlungen in Circles sind bewegend, vor allem auch deshalb, weil sie authentisch und überzeugend dargestellt und auf eine wunderbar zurückgenommene Weise erzählt werden. Das sind vor allem diese langen Einstellungen, die häufig in der Halbtotalen die Figuren ins Zentrum stellen vor einem kargen, fast ärmlichen Hintergrund — sei dies in einer tristen Wohnung oder entlang der grauen Häusermauern in Halle, sei dies im menschenleeren Krankenhaus während der Nachtschicht oder bei gleißender Sonne auf den öden Hügeln außerhalb jeder Zivilisation. Regisseur Srdan Golubovic hat einen stimmigen Stil für seinen Multiplot-Film gefunden.

Neben der dichten Handlung und der außergewöhnlichen Erzählweise kennzeichnet Circles außerdem eine abstrakte Herangehensweise, die beim doppeldeutigen Titel beginnt und in ganz menschlichen Fragen endet. Die Kreisbewegung ist Gesprächsinhalt innerhalb des Films und ebenso Bild für das filmische Geschehen wie für die Erzählweise. Der Film hört auf, wo er beginnt, und er erzählt von einem Ereignis, das — wie Ranko im Film feststellt — wie ein Stein im Wasser seine Kreise zieht. Diese Kreisbewegungen sind dabei immer von denselben Fragen bestimmt: Wer ist schuld, und wie kann man mit der eigenen Schuld leben, aber auch mit der anderer umgehen? Was ist Rache, wie geschieht Vergebung? Wie kann ich mit tragischen Ereignissen fertig werden, ab wann muss ich sie als Teil meiner Geschichte akzeptieren, oder kann ich nicht doch etwas tun? Diese Fragen lassen sich aus den großen dramatischen Geschehnissen im Film auf kleine Alltagssituationen übertragen. Und gerade durch die sensible Art des Erzählens schafft es der Film, sie dem Zuschauer immer wieder vor Augen zu halten. Und man denkt zurück an die Anfangsszene, in der Marko seine Zigaretten liegen lässt und fragt immer wieder: Warum hast du sie nicht einfach eingesteckt, warum hast du deinen Vater nicht gehört? Ein erstaunlicher Film, ein Filmjuwel des Jahres, der nicht umsonst schon zahlreiche Preise erhalten hat.

Circles

Es ist ein kleines Detail, das die Geschichte von „Circles“ ins Rollen bringt: Als sich der Soldat auf Wochenendurlaub, Marko, von seinem Vater verabschiedet, um seine Freundin besuchen zu gehen, lässt er sein Päckchen Zigaretten liegen. Sein Vater ruft ihm noch hinterher, aber Marko hört ihn schon nicht mehr. Und man ahnt: Das hat Folgen.
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