Log Line

Ein Labyrinth der Gleichförmigkeit: Ein Mann verliert sich an Konsum, Medien, Kapitalismus, an sich selbst. Ein surrealer Trip an den Rand des Nervenzusammenbruchs: Ein Film konstruiert sich aus Doppelungen, Assoziationen, Unorten.

8:30 (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Nowhere Man

Gleichförmigkeit. Züge rattern. Ein Kreisverkehr. Reihenhäuser, Lagerhallen. Ödland. Mittendrin: Eine Gruppe Handelsvertreter. Unverständliches englischsprachiges Gemurmel im Headset. Zuklappende Türen. Züge. Ein Bahnhof. Ein Wartehäuschen, aus Beton hingegossen in vager Waggonform. Ein rennender Handelsvertreter. Ein Zug. Einer bleibt zurück.

8:30 ist ein Experimentalfilm. Eine Collage. Ein non-linearer, non-verbaler Kunst-Essay. Low Budget, offensichtlich. Das Schlimme sind ja immer wieder Filme, die collagenhafte Experimentalessays sein wollen mit ganz, ganz vielen Intentionen, sich aber überheben. Weil sie mehr wollen, als das Budget hergibt. Oder weil sie mehr wollen, als die Gedanken hergeben. Laura Nasmyth und ihr Ko-Regisseur Philip Leitner wissen genau, was sie wie zustande bringen wollen. Und offenbar wissen sie auch, was man sich nehmen muss, wenn man kein Geld hat: nämlich Zeit. Zeit, um sich Locations zu suchen. Und um Lösungen zu finden, um genau die Art von völlig abgedrehter Kunstwelt zu erschaffen, die als Extension der Wirklichkeit dahin führt, wo wir alle vielleicht irgendwann irgendwie hingeführt werden.

Eine globalisierte, digitalisierte, durchorganisierte, durchkapitalisierte, durchmedialisierte Welt: Unser Protagonist ist gestrandet in der Neubau-Gegend, findet Unterschlupf bei einer verzweifelt-geilen Hausfrau, in einem Café, sucht Ablenkung im Fernsehen. Und rennt immer wieder zum Bahnhof. Immer wieder Züge, immer wieder Waggons, immer wieder Pendler. Immer wieder kehrt der Protagonist zurück, steht auf dem Kreisverkehr, läuft durch die Straßen, verfolgt Bewohner. Einmal fährt ein Traktor vorbei mit blitzsauberem Pflug. Einmal geht er in ein Möbelcenter, baut sich eine kleine Nische auf, um ein Büro zu simulieren: er führt per Skype ein Bewerbungsgespräch, vermutlich ins Nirgendwo.

Immer wieder Fernsehsendungen, Shoppingshows und Nachrichten: Irgendwo ist ein Straußenvogel ausgebrochen … Dazwischen pseudodokumentarische Interview-Einschübe: Eine Spanierin berichtet von ihrem Faible für Nachrufe in Zeitungen. Eine Österreicherin redet von ihrem Ex. Ein englischsprechender Osteuropäer fasst Filmhandlungen zusammen – als wären es Ereignisse aus seinem Leben. Und mehr und mehr vermischen sich die Ebenen zwischen Handelsvertreter-Realität und Medien-Realität, und der Film tut so, als spiele er im weiten Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Google Street View-Ansichten dienen als Hintergrund für einen vor sich hin laufenden Handelsvertreter, die schwups von Phoenix, Arizona, nach Los Angeles, Kalifornien, wechseln. Und aus dem Soundtrack (oder aus dem Handy) ertönt billigste Synthesizer-Musik, die sich dann wundersamerweise zu einer seltsamen Variante von Ghost Riders in the Sky wandelt …

Nasmyth und Leitner versetzen den Zuschauer für eine starke Stunde in einen transzendentalen Un-Ort; verwoben zwischen den Realitäten erfährt er eine merkwürdige Reise in eine unvorstellbare Welt, in der nichts zusammenpassen will, sich aber alles ins andere fügt. Auf faszinierende Weise konsistent ist dieser Film – irgendwie ahnt man etwas, ohne sich festlegen zu wollen, man assoziiert, man sucht Spuren, was die Filmemacher vorhatten. Vielleicht findet man die falschen – aber immerhin führen die irgendwo hin, gedanklich.

8:30 (2017)

Eine Gruppe von Handelsvertretern landet in einer mysteriösen Vorstadt. Einer von ihnen befindet sich plötzlich in einer abstrusen Raum-/Zeitschleife. Immer wieder ist er an der selben Haltestelle.

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