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In ihrer Literaturverfilmung „Un Amor“ fängt Isabel Coixet die Erfahrungen einer jungen Frau als Neue in einem kleinen spanischen Dorf ein – mit Laia Costa („Victoria“) in der Hauptrolle.

Un amor (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Aufs Land

In ihren Dramen „Das geheime Leben der Worte“ (2005) und „Elegy oder Die Kunst zu lieben“ (2008) befasste sich die aus Barcelona stammende Regisseurin Isabel Coixet (Jahrgang 1960) mit komplizierten Beziehungen. In „Der Buchladen der Florence Green“ (2017) wiederum erzählte sie von einer eigenwilligen Frau, die versucht, sich allen Widerständen zum Trotz zu verwirklichen. Der 2020 veröffentlichte Roman Eine Liebe von Sara Mesa, der in Spanien zum Bestseller wurde, vereint diese Themen auf spannende Weise – weshalb es beinahe zwingend erscheint, dass Coixet diese Geschichte nun adaptiert hat.

Im Zentrum steht die junge Dolmetscherin und Übersetzerin Natalia (Laia Costa), die sich ins Ländliche zurückziehen will und deshalb ungesehen ein renovierungsbedürftiges Haus in einem Dorf im spanischen Nirgendwo gemietet hat. Aus den Wasserhähnen sprudelt schwarzer Dreck heraus; im Obergeschoss tropft und zieht es – und nachts bellen die Hunde in der Nachbarschaft. Landhausromantik kommt in diesem Ambiente nicht unbedingt auf. Obendrein verhält sich Natalias Vermieter (Luis Bermejo) ausgesprochen feindselig und wenig hilfsbereit. Er überlässt ihr allerdings einen seiner vielen Hunde, dem Natalia einen Namen gibt, der zu Deutsch etwa „mürrisch“ bedeutet.

Wie sich Natalia und das tatsächlich ziemlich mürrische, vor allem aber traumatisierte und vernarbte Tier annähern, fangen Coixet und ihre Kamerafrau Bet Rourich in schönen Bildern ein. Und auch die Irritation, die die Protagonistin in der neuen Umgebung einzig durch die Tatsache auslöst, dass sie als Frau allein in einem Haus lebt, vermittelt sich glaubhaft, ohne dass dies allzu klar formuliert werden muss. Natalia lernt den Glaser Píter (Hugo Silva) kennen, der sich als Künstler versteht und rasch Interesse an ihr zeigt. Die Leute wirken freundlich – dennoch bleiben keine Zweifel daran, dass Natalia hier an einem Ort gelandet ist, an dem alles an ihrer Person genau beäugt wird.

Und dann ist da noch „Der Deutsche“ (Hovik Keuchkerian), der eigentlich Andreas heißt und gar nicht aus Deutschland stammt, wie sich später herausstellen wird. Er bietet Natalia an, das Dach, durch das es seit ihrem Einzug reinregnet, zu reparieren, verlangt dafür indes ganz sachlich und ungerührt eine sexuelle Gegenleistung. Natalia lässt sich darauf ein – und steckt bald in einer obsessiven Beziehung, die sie zwar nicht einordnen kann, ihr aber vorübergehend große Lust und ein positives Gefühl bereitet.

Wenn Natalia nach Andreas’ Angebot zum ersten Mal bei diesem auftaucht, um mit ihm Sex zu haben, sehen wir sie nicht nur mit dem massigen Mann im Bett liegen, sondern zusätzlich allein und vollständig bekleidet nebendran als Zuschauerin auf einem Sessel sitzen. Der weibliche Blick wird somit zu einem sichtbaren Teil des Aktes. Ebenso geht die Initiative in der zweiten sexuellen Begegnung von Natalia aus. Laia Costa und der ehemalige Profiboxer Hovik Keuchkerian interagieren in diesen Sequenzen sehr stimmig miteinander.

Er habe ein Gesicht wie ein Berg, wenn er komme, meint Natalia zu Andreas – und irgendwie können wir verstehen, was die beiden aneinander finden. Sie könne auch einfach eine andere Frau sein und er ein anderer Mann, erklärt Andreas völlig nüchtern. Es ist gewiss keine Romantik, die hier erzeugt wird, jedoch eine absolut spürbare Anziehung. Andreas spricht in seiner kurz angebundenen Art zuweilen Wahrheiten aus, die verletzen können; Natalia wiederum bringt ihn dazu, sich mehr zu öffnen, als er es womöglich in seinem ganzen bisherigen Leben getan hat.

Das Lied Es wird wieder gut von Max Raabe wird zu einer Art Leitmotiv für Natalia – zunächst im Verhältnis zu Andreas, letztlich aber insbesondere für sich selbst. Am Anfang von Sebastian Schippers One-Take-Experiment Victoria (2015) brachte Costa als Titelheldin in einem energiegeladenen Tanz die Lust auf Party und Abenteuer zum Ausdruck; in Un Amor bildet ein Solotanz der Spanierin nun den Abschluss der (inneren) Reise. In beiden Fällen erleben wir eine Figur, der wir gerne auch auf kräftezehrende Trips folgen.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Un amor (2023)

Der Film erzählt die Geschichte einer jungen Spanierin (Laia Costa), die vor dem hektischen Stadtleben aufs Land flieht. Dort entwickelt sich zwischen ihr und ihrem Nachbarn (Hovik Keuchkerian) eine sexuelle Obsession, die ihr bisheriges Leben und ihr Verständnis von Geschlechterrollen auf den Kopf stellt.

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