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In Xavier Legrands „Le successeur“ muss sich ein Mann um den Nachlass seines entfremdeten verstorbenen Vaters kümmern – und macht dabei eine schockierende Entdeckung.

The Successor (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Nach dem Tod

Für sein Langfilm-Regiedebüt „Nach dem Urteil“ (2017) hatte der 1979 geborene Xavier Legrand seinen Kurzfilm „Avant que de tout perdre“ aus dem Jahr 2013 ausgebaut. Die Inszenierung wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet. Legrand ließ seine Geschichte als ambivalent anmutendes Scheidungs- und Familiendrama beginnen, ehe sich das Geschehen allmählich in einen Thriller wandelte. Das Werk erzeugte dabei ein permanentes Gefühl des Unbehagens.

Während einige Momente in Nach dem Urteil beinahe etwas Dokumentarisches hatten, eröffnet Legrand seinen zweiten Spielfilm Le successeur in betont stilisierter Form. Wir befinden uns im Pariser Haute-Couture-Kosmos und sehen, wie die erste Kollektion des neuen Star-Designers Ellias Barnès (Marc-André Grondin) zu hart hämmernden Elektro-Beats auf dem Laufsteg dargeboten wird.

Mit seiner Kamerafrau Nathalie Durand fängt der Regisseur die Show teilweise in Top Shots ein, in denen wir miterleben, wie sich die Models auf dem weißen Catwalk durch die kurvenartig arrangierten Publikumsreihen bewegen. Die Aufnahmen verleihen dem Ganzen etwas verblüffend Surreales.

Hinter den Kulissen des kühl wirkenden Events herrscht derweil Hektik. Ellias scheint einen Schmerz in der Brust zu spüren. Wenn er sich kurz darauf den begeisterten Zuschauer:innen zeigt, läuft er jedoch wie ein triumphierender Marathonläufer durch den Raum. Das äußere Bild ist alles in dieser Welt – und Ellias, der eigentlich Sébastien heißt, ist nun einmal der aufsteigende Modeprinz und hat sich dementsprechend glorreich zu präsentieren. Seine Ärztin glaubt wiederum, dass Ellias unter Panikattacken leidet; möglich sei allerdings auch ein Herzproblem.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, soll Ellias Kontakt zu seinem seit langer Zeit entfremdeten Vater aufnehmen. Der hatte vor ein paar Jahren einen Schlaganfall, wie Ellias durch eine bis dato unbeantwortete E-Mail von ihm erfahren hatte. Dann erreicht den 30-Jährigen die Nachricht, dass sein Vater gestorben ist. Seine Mutter, die schon seit zwei Dekaden nichts mehr mit ihrem Ex-Gatten zu tun hatte und inzwischen mit dessen Bruder liiert ist, könnte das kaum weniger interessieren. Und so muss Ellias allein in seinen Heimatort in Québec reisen, um die Beisetzung zu organisieren und sich um das väterliche Haus zu kümmern.

Dieser Plot ist bis zu diesem Punkt ein typischer Stoff für eine Tragikomödie. Marc-André Grondin erinnert in der Hauptrolle als nach vielen Jahren in die Geburtsstadt zurückkehrender „verlorener Sohn“ etwa an Zach Braff in Garden State (2004) oder an Orlando Bloom in Elizabethtown (2005). Mit einer einstigen Kommilitonin von Ellias (verkörpert von Anne-Élisabeth Bossé), die im örtlichen Bestattungsinstitut tätig ist und offenbar eine Schwäche für ihn hat, gibt es sogar eine Frauenfigur mit Manic-Pixie-Dream-Girl-Anflügen, die bei einer solchen Story häufig anzutreffen ist. Der Film arbeitet mit Humor und spielt geschickt mit der Absurdität einiger Situationen.

Sein Vater sei liebenswert gewesen, bekommt Ellias von einer Frau, die gegenüber wohnt, zu hören. Und insbesondere ein Nachbar (Yves Jacques) scheint eine sehr enge Bindung zu dem Verstorbenen gehabt zu haben. Was folgen könnte, wäre eine posthume Annäherung zwischen Vater und Sohn, während dieser die Papiere und Gegenstände im Haus sortieren oder einen passenden Anzug für den Leichnam heraussuchen muss. Doch erneut lässt Legrand seinen Film, dessen Drehbuch diesmal von Alexandre Postel stammt, recht abrupt in ein anderes Genre kippen.

Was bei Nach dem Urteil noch überaus stimmig gelang, ist in Le successeur zwar durchaus auch wirksam und wuchtig, leidet allerdings zuweilen darunter, dass die Spannung und die Konflikte irgendwann nur noch daraus resultieren, dass sich der Protagonist unfassbar töricht verhält. Dass uns eine Extremsituation, noch dazu in einem ohnehin labilen Zustand, irrational handeln lässt, vermittelt der Film zum Teil überzeugend; ab einem gewissen Punkt überwiegt beim Zuschauen hingegen das ungläubige Kopfschütteln, wodurch ein Mitfiebern ziemlich erschwert wird.

Wir blicken mit Ellias in einen fremden, verstörenden Abgrund – und werden bald darauf Zeug:innen, wie sich in Ellias ein ganz eigener Abgrund auftut. Das überschreitet teilweise die Grenze des Nachvollziehbaren, wird von Marc-André Grondin aber durchweg mit Hingabe gespielt.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

The Successor (2023)

Ellias Barnès, 30, ist der neu ernannte künstlerische Leiter eines berühmten Pariser Modehauses. Da die Erwartungen jedoch hoch sind, verspürt er Schmerzen in der Brust. Aus heiterem Himmel wird er nach Montreal zurückgerufen, um die Beerdigung seines entfremdeten Vaters zu organisieren, und entdeckt, dass er möglicherweise noch viel Schlimmeres als das schwache Herz seines Vaters geerbt hat.

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