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Auf empathische Art und Weise folgt Kateryna Gornostai in ihrem improvisierten Jugendfilm „Stop-Zemlia“ einer Gruppe von Schüler:innen durch das Abschlussjahr.

Stop-Zemlia (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Kaugummi und Laufmaschen

Lachen, Heulen und Langeweile, großes Glück, tiefer Schmerz und seltsame Leere: Das emotionale Auf und Ab des Erwachsenwerdens führt dazu, dass Coming-of-Age-Filme oft auf dramaturgische Zuspitzungen setzen, um die Intensität spürbar zu machen. Einigen Werken gelingt es jedoch, auch ohne Übertreibungen und zudem ohne die gängigen Klischees in der Darstellung des Milieus und in der Zeichnung der Figuren vom Jungsein zu erzählen. So etwa „Stop-Zemlia“, dem Spielfilmdebüt der ukrainischen Drehbuchautorin und Regisseurin Kateryna Gornostai (Jahrgang 1989).

Der Film zeigt eine Abschlussklasse in einer ukrainischen Stadt. Zu den Schüler:innen, die von Gornostai in den Fokus genommen werden, gehört die eher introvertierte Masha (Maria Fedorchenko), die zusammen mit Yana (Yana Isaienko) und Senia (Arsenii Markov) ein freundschaftliches Trio bildet und heimlich für Sasha (Oleksandr Ivanov) schwärmt. Über ein soziales Netzwerk tritt Masha mit einem Unbekannten in Kontakt – und hofft, dass es sich dabei um Sasha handelt. Auch dieser erhält im Laufe der Inszenierung den nötigen Raum zur Entfaltung – so sehen wir beispielsweise, wie er mit der überbeschützenden Art seiner Mutter umzugehen versucht.

Gornostai erweist sich als äußerst feinfühlige Beobachterin, die sich gemeinsam mit ihrem adoleszenten Personal treiben lässt. Kurze Interviewpassagen, die an Cameron Crowes Generation-X-Porträt Singles (1992) denken lassen, aber deutlich weniger an gezielten Pointen interessiert sind, geben uns Einblicke in die Gedanken und Gefühle von Masha und deren Mitschüler:innen – und vermitteln uns, welche Pläne und Hoffnungen für die ungewisse Zeit nach der Schule gehegt werden. Dass der Film in einem Land spielt, das (nachdem Stop-Zemlia bereits abgedreht war) seit inzwischen fast einem Jahr unter dem Angriffskrieg Russlands leidet, macht unfassbar traurig.

In seinem Tonfall mutet Stop-Zemlia mal melancholisch und ernst, mal fröhlich und heiter an. Konflikte mit den Eltern oder Mobbing unter Gleichaltrigen werden mit Sensibilität behandelt. In erster Linie geht es indes nicht darum, Probleme aufzuarbeiten, sondern stets aufmerksam hinzuschauen. Öde Unterrichtsstunden, angeregte Gespräche auf dem Schulflur, rauchen in der Kälte, Spaß auf einem Spielplatz, Kommunikation über soziale Netzwerke, eine Hausparty mit Flaschendrehen, ein Klassenausflug ins Museum, eine Tanzveranstaltung in der schulischen Sporthalle – Stop-Zemlia schafft es, dem Alltag der Heranwachsenden nahezukommen und uns in diese Welt mitzunehmen.

Die Improvisation des Ensembles verleiht dem Ganzen etwas ungemein Authentisches. Wenn die Kamera von Oleksandr Roshchyn einen Kaugummi einfängt, der an der Rückseite einer Stuhllehne in einem der Klassenzimmer klebt, oder die Laufmasche auf Mashas Strumpfhose erfasst, erwacht in diesem schönen Detailreichtum ein einnehmender Mikrokosmos zum Leben, an dem wir für rund zwei Stunden teilhaben dürfen.

Stop-Zemlia (2021)

Der Film folgt einer Gruppe Jugendlicher in Kiew und begleitet sie in der Schule, auf Partys, beim Abhängen und insgesamt auf ihrem Weg, den Start ins Leben zu meistern und sich selbst zu finden — so schwierig das auch immer sein mag. 

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