Schlafkrankheit

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der müde Kontinent

Ulrich Köhlers Film Schlafkrankheit beginnt als Familiengeschichte: Seit vielen Jahren ist der Arzt Ebbo Velten (Pierre Brokma) im Kamerun tätig und bekämpft dort in einem von verschiedenen Institutionen geförderten Programm, die zwar selten gewordene, aber niemals ganz ausgestorbene Schlafkrankheit, die auch heute noch mit Methoden und Medikamenten behandelt wird die aus den 1950er Jahren stammen. Auch wenn die Krankheit rein statistisch keine große Rolle mehr spielt, kann sie jedoch bei nachlassender medizinischer Betreuung jederzeit wieder epidemieartig ausbrechen. Veltens Zeit im Kamerun neigt sich nun dem Ende entgegen, auf Wunsch seiner Frau Vera (Jenny Schily) soll er nun wieder nach Deutschland zurückkehren, um dort als ganz normaler Arzt zu arbeiten — die gemeinsame 14-jährige Tochter Helen, die bislang in einem Internat lebt, soll endlich wieder ein Zuhause haben.
Velten allerdings scheint von den Plänen nicht begeistert zu sein, er fürchtet sich vor der Rückkehr nach Deutschland, auch wenn er nach außen hin den Anschein erweckt, alle Vorbereitungen für seine Heimkehr zu treffen. Erst als seine Familie schon vorgereist ist, erschließt sich ihm das ganze Ausmaß seiner Verbundenheit zu dem magischen Ort, an dem er sich befindet und den er nun für immer verlassen soll.

Unvermittelt wechselt der Film nun nach rund der Hälfte der Zeit seine Perspektive und die Zeitebene und springt rund fünf Jahre in die Zukunft. Im Mittelpunkt dieses Handlungsstrangs steht nun der Arzt Alex Nzila (Jean-Christophe Folly), den wir zuerst bei einer Vorlesung über Perspektiven der Entwicklungshilfe sehen. Alex ist in gewisser Weise der Gegenpart zu Velten. Obwohl Alex‘ Eltern aus Afrika stammen, ist er in Paris aufgewachsen und denkt und fühlt vor allem wie ein Europäer. Von der WHO wird Alex zu Velten geschickt, um dessen Programm zu evaluieren. Doch der Doktor ist nicht in seinem Zuhause, von den Angestellten wird Alex immer wieder vertröstet. Velten, so wird langsam deutlich, hat den Absprung nach Deutschland damals nicht geschafft, er lebt mit einer Afrikanerin zusammen, die ein Kind von ihm erwartet, das just in dem Moment auf die Welt kommt, als Alex als einziger Arzt greifbar ist. Dann taucht Velten plötzlich doch auf und sieht sich den unangenehmen Fragen des Rapporteurs der WHO ausgesetzt, der alle Details über den Umfang des Programms zur Schlafkrankheit in Erfahrung bringen will. Der folgende Ausflug in ein Dorf, in dem die Epidemie den Angaben zufolge besonders stark wütet, stellt sich schlussendlich als Reise ins Ungewisse, ins Herz der Finsternis eines zutiefst zerrissenen und gespaltenen Lebens heraus.

So zweispältig, rätselhaft und auf schmerzhafte Weise offen wie sein Protagonist ist auch Ulrich Köhlers Film selbst, der mit klaren und präzisen und dann wieder symbolhaft zugespitzten Bildern eine Menge zu erzählen weiß. Neben der Krankheit, deren Bezeichnung eine wunderbare Metapher bildet für die Probleme Afrikas, stehen vor allem die Schwierigkeiten von Menschen wie Ebbo Velten im Mittelpunkt: Menschen die lange im Ausland gelebt und in der Entwicklungshilfe gearbeitet haben und die irgendwann an den Anschluss verpassen an das „normale“ Leben in der alten Heimat. Köhler weiß genau um deren Gefühle, schließlich waren seine eigenen Eltern ebenfalls lange in Zaire und im Kamerun tätig; die Buschklinik, in der Teile von Schlafkrankheit gedreht wurden, ist exakt jene, in der einst seine Eltern arbeiteten.

Mit dem Afrikabild diverser Fernsehschmonzetten hat Schlafkrankheit trotz aller Sehnsucht und Sympathie für den schlummernden Kontinent dennoch nichts zu tun — seine Beschreibungen des Dschungels und der verwirrenden Kräfte, die hier wirksam werden, erinnern eher an die Filme Apichatpong Weerasethakul. Keine leichte Kost also, aber ein Film, der enorm viel wagt.

Schlafkrankheit

Ulrich Köhlers Film „Schlafkrankheit“ beginnt als Familiengeschichte: Seit vielen Jahren ist der Arzt Ebbo Velten (Pierre Brokma) im Kamerun tätig und bekämpft dort in einem von verschiedenen Institutionen geförderten Programm, die zwar selten gewordene, aber niemals ganz ausgestorbene Schlafkrankheit, die auch heute noch mit Methoden und Medikamenten behandelt wird die aus den 1950er Jahren stammen.
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