The Future

Eine Filmkritik von Lida Bach

Im Zeichen der Katze

Ungeduldig trippeln die weichen Pfoten auf der Stelle, während die merkwürdig verzerrte, irgendwie schmeichelnde Stimme des Tieres, dessen Gesicht wir nie zu sehen bekommen, als Erzähler fungiert. Eine Katze, die denkt, die fühlt und die vor allen Dingen zum Zuschauer spricht? Dies ist nur eine von zahlreichen Merkwürdigkeiten, mit denen die Multimedia-Künstlerin und Regisseurin Miranda July ihren zweiten Film The Future ausgestattet hat. Wie bereits bei ihrem Erstling Ich und Du und alle, die wir kennen hat sie abermals neben der Regie auch die weibliche Hauptrolle übernommen. Und wie in ihrem Debüt, so geht es auch bei diesem Film über die seltsame Welt der „Thirtysomethings“, um Beziehungen, Missverständnisse, um die Liebe, die Hoffnungen und Ängste einer ganzen Generation – kurzum um das ganz normale Leben.
Wobei: Ob das, was Sophie (Miranda July) und Jason (Hamish Linklater) führen, wirklich eine ganz normale Beziehung ist, daran kann man schon zweifeln. Seit vier Jahren sind die beiden Hipster-Geeks nun schon ein Paar und bereits die erste Szene, die sie zusammen zeigt, deutet an, dass trotz der offensichtlichen Geistesverwandtschaft die Luft längst raus ist. In ihre Laptops vertieft sitzen sie sich gegenüber und starren auf die Bildschirme, um kurz danach darüber zu diskutieren, wer denn nun aufsteht, um ein Glas Wasser zu holen oder wie man das Aufstehen überhaupt vermeiden könnte. Dann hebt Jason die Hand, nachdem er behauptet hat, allein durch die Kraft seiner Gedanken die Zeit in ihrem Lauf anhalten zu können und selbstverständlich geht Sophie auf das Spiel ein und erstarrt förmlich in ihrer Bewegung – natürlich nur zum Schein. Gewohnheit, Routine, Langeweile, Erstarrung und ebenso großes wie stilles Einverständnis mit dem anderen – das alles und noch vieles andere mehr, was unausgesprochen über den Köpfen der beiden schwebt, wird in dieser Szene greifbar.

Während Sophie kleinen Kindern Tanzunterricht erteilt und dabei selbst die meiste Zeit wie ein vielleicht sechsjähriges Mädchen wirkt, das sich immer wieder in Tagträume, verrückte Projekte und schließlich sogar in eine Affäre stürzt, erledigt Jason mehr oder minder ohne Enthusiasmus seinen Job als Hotline-Supporter, um später als Klinkenputzer für eine Naturschutzorganisation das Baumsterben quasi im Alleingang zu verhindern oder es zumindest zu versuchen. Es sind kleine Fluchten aus dem Beziehungseinerlei, aus einem Alltag, der beiläufig drückend schwer geworden ist.

Um doch noch einmal etwas gemeinsam in Angriff zu nehmen, haben sich die beiden dazu entschlossen, eine kranke Katze aus dem Tierheim – eben jene Erzählstimme, mit der der Film beginnt – zu adoptieren. Doch „Pfötchen“, so der Name der Katze, muss noch dreißig Tage im Tierheim bleiben, bis die verletzte Pfote wieder verheilt ist. Dann aber, so sagt die Tierärztin, könne das Tier gut und gerne noch fünf Jahre vor sich haben. Was eigentlich eine gute Nachricht für die werdenden Katzeneltern sein sollte, ruft bei diesen jedoch ein unbestimmte Panikgefühl hervor, denn: „In fünf Jahren, da sind wir 40. Und 40, das ist fast 50. Was danach kommt, ist nur noch das Kleingeld im Leben.“

Unter der einerseits drohenden und andererseits herbeigesehnten Verantwortung für das Kätzchen, das die Lücke, das Vakuum zwischen den beiden ausfüllen soll, beginnen die beiden, ihr Leben noch einmal neu zu überdenken und versuchen, sich neu zu definieren. Doch wie werden sich diese Veränderungen auf ihre Beziehung auswirken, haben sie überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft? Stehen Sophie und Jason erst am Anfang ihrer Beziehung, wie ein alter Mann es behauptet, oder ist das Ende bereits in Sicht?

Trotz aller Poesie und Zärtlichkeit, trotz bizarrer Einfälle und hinreißender Episoden ist Miranda Julys neuer Film The Future kein Werk, das in erster Linie unterhalten will. Zwar muss man dank vieler schräger Einfälle und liebenswert skurril gezeichneter Figuren desöfteren schmunzeln, doch der Fokus der Regisseurin liegt weniger auf der vermeintlichen Lächerlichkeit eines Lebensentwurfs, sondern vielmehr auf dessen Fragilität. Die Sperrigkeit, die The Future umgibt und die den Charme dieses Films ausmacht, liegt vor allem an Julys Collage-Technik, die unterschiedslos Banales und Tiefsinniges, Albernheiten und Einsichten von beinahe schon philosophischer Tragweite, Surreales, das an manchen Stellen ein wenig an David Lynch erinnert, und Neurosen, die man in solcher Intensität zuletzt vor Ewigkeiten in Woody Allens Filmen der 1970er besichtigen konnte, zusammenbringt. Auf diese Weise entsteht ein Flickenteppich, eine gewaltige Collage in ebenso quietschbunten wie düsteren Farben, die die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert. Ob sich am Ende aus diesem verrückten Werk ein stimmiges Gesamtbild entwickelt, liegt nicht zuletzt auch am Rezipienten selbst und dessen Bereitschaft, sich auf die magisch-poetische, die banal-bizarre Welt der Miranda July einzulassen — und gegebenenfalls über sich selbst zu lachen. Denn als Generationsporträt der internetaffinen Hipster entwickelt der Film neben seiner verträumten Dekonstruktion einer Liebesbeziehung einen Subtext, der durchaus auf der Höhe ist und der zugleich ein Schreckensbild auf die Leinwand zaubert: Als Sophie und Jason an einer Stelle des Films beschließen, bei sich zuhause in einer Stunde das Internet für immer auszuschalten und sich zuvor beeilen, alles Wissenswerte, das man nur im Netz finden kann, noch einmal auf ihre Laptops zu laden, sind sie bereits nach wenigen Minuten fertig mit der Recherche und schließen frustriert ihre MacBooks. Nun, so ahnt man, könnte das wahre Leben beginnen — wenn sie nur wüssten, was das sein soll.

(Joachim Kurz)
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Sophie (Miranda July) und Jason (Hamish Linklater) sind vielleichte das perfekte Paar, aber ihre Beziehung ist es nicht. Sie sind im gleichen Alter, gefangen in der gleichen Arbeits- und Beziehungsroutine. Das Paar will Schluss machen mit seinem starren Dasein und dem starren Sitzen vor dem Laptop, um nicht Schluss machen zu müssen miteinander, um überhaupt etwas zu haben wie eine Zukunft, The Future in Miranda Julys surrealem Charakterspiel. Sie wünschen sich einen Lebenssinn und eine Katze. Die kranke Katze wird Aufmerksamkeit, Zuneigung und Fürsorge fordern — all die Dinge, zu denen Sophie und Jason am wenigsten fähig sind. Einen Namen hat Paw Paw schon, nur kein Zuhause. Im Tierheim tapsen zwei schwarze Pfötchen, deren Besitzerin sich das Leben mit den neuen Besitzern ausmalt, die vor ihrer Verantwortung flüchten.

Sophie und Jason leiden unter ihrer Unfähigkeit, die Leere ihrer Existenz als solche zu empfinden. Weil sie intelligente Menschen sind, erkennen sie das Nichts, das sich vor ihnen auftut. Weil sie gebildet sind, wissen sie, dass sie darüber unglücklich sein sollten. Tatsächlich jedoch sind sie nicht unglücklich. Ihre emotionale Abstumpfung erstickt ihre Trauer und führt ihnen so die eigene Gefühllosigkeit noch deutlicher vor Augen. Auf ähnliche Weise zeigen die Aktionen, zu denen sie sich in einer ungelenken Nachahmung von Spontanität entschließen, ihre innere Leere noch unverkennbarer. Bei der Entwicklung eiens Tanzprojekts treten sie im doppelten Sinne auf der Stelle. Die misslungenen Choreografien bescheinigen ihre Unfähigkeit zur Kreativität..

Die Katze, dies deutet The Future an, könnte eines Tages auch ein Kind sein. Ein Kind, das ohne je Mangel zu leiden oder aufrichtige Zuneigung zu erfahren, aufwächst. Ein Kind, geboren als kleiner Erwachsener, das nie einen Entwicklungsprozess durchmacht. Ein Kind wie Sophie und Jason. Das Nichts lässt sich nicht austricksen, sondern besitzt die erschreckende Fähigkeit zu absorbieren. Was Sophie und Jason ihm entgegensetzen absorbiert es, um es zu einem Teil seiner selbst zu machen. Bis in die öde Vorstadtwelt ihres weit älteren Zufallsbekannten Marshall (David Warshofsky) flieht Sophie vor dem Stillstand, dem sie sich hier — identitätslos und entrückt von jedem Entscheidungsdruck — erst recht opfert. Der heimtückische doppelte Boden, mit dem July die scheinbar oberflächliche Erzählung unterwandert, lässt am Ende die gesamte Dramaturgie zusammenstürzen. Die Dekonstruktion des Beziehungsalltags als vertrackte kleine Hölle ist das sinnigste Motiv der Filmemacherin Miranda July.

Doch July ergibt sich ihm so exzessiv, dass es den Film ad absurdum führt. Indem sie der filmischen Realität in eine symbolistische Fantasiewelt aus surrealen Topoi entflieht, beraubt sie das unausgegorene Beziehungsdrama seiner Ernsthaftigkeit. Die Tragödie von The Future ist im Grunde, dass es keine Tragödie gibt. Dies gilt für die Protagonisten ebenso wie für Miranda Julys Beziehungsdrama. Ein Abgrund aus Bedeutungslosigkeit klafft in The Future wie in der Zukunft der Protagonisten. Die Katze ist ihr verzweifelter Versuch, die Leere mit etwas zu füllen. Die menschliche Stimme, die July ihr verleiht, ist ihr eigener Versucht, die dramaturgische Leere zu füllen.

The Future

Ungeduldig trippeln die weichen Pfoten auf der Stelle, während die merkwürdig verzerrte, irgendwie schmeichelnde Stimme des Tieres, dessen Gesicht wir nie zu sehen bekommen, als Erzähler fungiert. Eine Katze, die denkt, die fühlt und die vor allen Dingen zum Zuschauer spricht? Dies ist nur eine von zahlreichen Merkwürdigkeiten, mit denen die Multimedia-Künstlerin und Regisseurin Miranda July ihren zweiten Film „The Future“ ausgestattet hat.
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Meinungen

Harald · 08.01.2012

Schräg, aber großartig.

kim · 01.11.2011

Einzigartiger Film. Die großen Fragen: Wie soll man, wie kann man leben?

Eine weibliche Hauptfigur, die Sex hat, aber nicht sexy ist.

Gibt es sonst nicht oft in Filmen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Große Kunst, feministisch und humanistisch!

juergen04 · 30.09.2011

Eher enttäuschend. Wenn die dargestellte Beziehung typisch für die amerikanische Mittdreißiger-Generation sein soll, kann man sich nur freuen, in Mitteleuropa zu leben. Irgendwie blutleer und deprimierend - sowohl die Beziehung der Figuren, als auch der Film. Schade, daß aus den vielversprechenden surrealen Ideen (sprechende Katze, tanzendes T-Shirt, angehaltene Zeit) nicht mehr gemacht wurde.