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Wenige Stunden vor der Jahrtausendwende kapert ein bewaffneter junger Mann ein Fernsehstudio und verlangt Sendezeit für eine wichtige Botschaft. Was folgt, ist ein Geiselnahmethriller, der mehr als bloßen Nervenkitzel bieten will.

Prime Time (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Mit Gewalt auf Sendung

Aus einer Froschperspektive blicken wir auf einen jungen Mann (Bartosz Bielenia) mit Baseballkappe, der rauchend vor einem bedrohlich aufragenden Hochhaus steht. Ein konstantes Ticken ist zu hören und lässt umgehend ein Gefühl der Unruhe aufkommen. Als der Mützenträger aus dem Sichtfeld tritt, erscheint über dem Gebäude der Schriftzug „Prime Time“ in warnend roten Lettern. Mit diesem nicht sehr ausgeklügelten, aber ungemein effektiven Einstieg sichert sich der polnische Regisseur und Drehbuchautor Jakub Piątek in seinem Spielfilmdebüt sofort die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen. Anspannung liegt in der Luft. Irgendetwas Dramatisches wird passieren – daran lässt die Auftaktszene keinen Zweifel.

Nur wenig später marschiert der Raucher mitten hinein in die Livesendung einer Gameshow. Im Schlepptau hat er den überrumpelten Wachmann Grzegorz (Andrzej Kłak), dem er eine Waffe in den Rücken drückt. Panik bricht aus. Das Studio leert sich. Die Aufnahme wird abgebrochen. Und zurück bleibt der Geiselnehmer mit dem konsternierten Sicherheitsmitarbeiter und der Moderatorin Mira Kryle (Magdalena Popławska). Im Gespräch mit der im Regieraum sitzenden Produzentin (Małgorzata Hajewska-Krzysztofik) verlangt Sebastian, so der Name des pistolenschwingenden Eindringlings, schnellstmöglich wieder auf Sendung zu gehen, da er eine wichtige Botschaft loswerden wolle. Nach dem Eintreffen der Polizei bemüht sich allerdings erst einmal ein Verhandlungsexperte (Cezary Kosiński) darum, Sebastians Vertrauen zu gewinnen und ihn zur Aufgabe zu bewegen.

Regisseur Piątek und Koautor Łukasz Czapski verorten ihre kammerspielartige Erzählung zeitlich ganz bewusst am Silvesterabend des Jahres 1999. Der Millenniumswechsel, der zahlreiche, wie wir heute wissen, unbegründete Ängste schürte, aber auch mit vielen Hoffnungen verbunden war, bildet einen Hintergrund, der die in den ersten Momenten bereits entfachte Knisterstimmung zusätzlich befeuert. Die diffuse, über dem Geschehen schwebende Nervosität äußert sich vor allem dann, wenn der Film in der Regiekabine ausschnittartig eine Wand mit mehreren Bildschirmen in den Blick nimmt. Zu sehen sind hier unterschiedliche Sendungen, die sich teilweise mit dem Jahrtausendumschwung und seinen möglichen Gefahren auseinandersetzen.

Die Grundkonstellation von Prime Time gleicht der Prämisse des 2016 veröffentlichten Thrillers Money Monster von Jodie Foster, der Hollywood-Charmebolzen George Clooney als zynischen, plötzlich in die Enge getriebenen Moderator einer Börsenshow zeigt. Gemeinsamkeiten tun sich auch bei manchen Plotbausteinen auf. Sowohl der polnische Film als auch die US-Produktion bringen die Figur des Geiselnehmers durch das Auftauchen eines Menschen aus dem nahen Umfeld ins Schwitzen. Und in beiden Fällen nimmt die Konfrontation eine eher überraschende Wendung. Der Austausch zwischen Sebastian und seinem Vater (Juliusz Chrząstowski) entwickelt von Sekunde zu Sekunde mehr Intensität und gehört zu den Passagen, die am stärksten nachhallen, weil alter Schmerz und erlittene Erniedrigungen mit voller Wucht zu Tage treten.

Anders als Money Monster hält Prime Time jedoch mit Erklärungen hinter dem Berg. Welche auf ein paar Zetteln niedergeschriebene Botschaft der junge Mann in die Welt hinaussenden möchte, wird nicht explizit ausgesprochen, was nach einer Weile schon etwas bemüht erscheint. Immer wieder zögern Piątek und Czapski eine Enthüllung der Motive hinaus, wobei sie sehr wohl kleine Andeutungen – zum Beispiel ein Telefonat und eine Äußerung von Sebastians Vater – in ihre Geschichte einbauen.

Die aus dem Geiselszenario entspringende Spannung kann der mit pseudodokumentarischen Interviewszenen angereicherte Film, der regelmäßig die Überlegungen und das Vorgehen des Krisenbewältigungsteams beleuchtet, nicht durchgängig halten. Ein wenig unausgereift bleiben auch die Versuche, die Thriller-Handlung um sozialkritische Aussagen zu erweitern. Sebastians Aufbegehren richtet sich vermutlich gegen das Konservative und Repressive innerhalb der polnischen Gesellschaft. Zwischendurch klingen die fehlenden Zukunftsperspektiven der jungen Leute an. Und zudem will Prime Time die Sensationslust der Medien ins Visier nehmen. Insgesamt greifen die Einwürfe aber zu kurz, womit sich der Film dann doch wieder dem in seiner Kapitalismusschelte recht oberflächlichen Money Monster annähert.

Piąteks Regiedebüt kann man allerdings schon deshalb nicht als Enttäuschung abtun, weil Bartosz Bielenia nach seinem charismatischen Auftritt im preisgekrönten Drama Corpus Christi erneut eine Kostprobe seines beeindruckenden Könnens abliefert. Auch wenn seine Performance dieses Mal nicht ganz so eindringlich ausfällt, arbeitet der junge Mime mit dem stechenden Blick Sebastians Verzweiflung, seine Getriebenheit überzeugend heraus. So viel ist sicher: Bielenia wird uns in Zukunft noch einige erinnerungswürdige Darbietungen schenken.

Prime Time (2021)

Am Silvesterabend 1999 verschanzt sich der 20-jährige Sebastian in einem Fernsehstudio. Er hat ein Gewehr dabei, nimmt einen berühmten Fernsehmoderator und einen Wachmann als Geiseln und hat eine wichtige Botschaft für die Welt. Im Laufe der Nacht verbinden sich Sebastian und die Geiseln auf unerwartete Weise, während die Machthaber versuchen, die Ordnung wiederherzustellen.

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