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Peter Cattaneo kehrt auf die große Leinwand zurück. Der neue Film des britischen Regisseurs knüpft an seinen größten Erfolg „Ganz oder gar nicht“ an. Dieses Mal liefern sich Kristin Scott Thomas und Sharon Horgan ein musikalisches Duell.

Mrs. Taylor's Singing Club (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die Kunst der schiefen Töne

Was tun, wenn die Männer fernab der Heimat ihr Leben riskieren? Für die Frauen in einer britischen Kaserne kehrt mit jedem neuen Marschbefehl der Soldaten eine gewisse Routine ein. Dieses Mal ist die von Sharon Horgan gespielte Lisa für die Zerstreuung verantwortlich. Doch weil ihre Ablenkungsmanöver lediglich alkoholgetränkte Abende vorsehen, wird ihr Zuständigkeitsbereich unversehens von der Frau des Colonels gekapert. Die heißt Kate Taylor und ist mit Kristin Scott Thomas vorzüglich besetzt. Von Saufgelagen hält Kate wenig, von Disziplin und Struktur sehr viel. Mit angespannter Akribie geht sie schließlich auch den von ihr ins Leben gerufenen Chor an. Die Misstöne lassen nicht lange auf sich warten.

Schon die erste Probe geht gehörig daneben. Schräge Stimmen, verlegene Blicke, bissige Kommentare. Die Frauen singen so schief, dass die eigenen Kinder vor ihnen Reißaus nehmen. Lisa, die den Chor erst gar nicht gründen wollte, vergleicht das Ergebnis, das man beim besten Willen nicht als Gesang bezeichnen kann, mit den Beschwörungsformeln eines Hexenhaufens. Dass sich Kate wie eine allwissende Oberlehrerin aufführt, macht die Sache nicht einfacher. Die Positionen für einen passiv-aggressiven Schlagabtausch sind abgesteckt.

Auf der einen Seite steht die penible Kate, die es nicht ertragen kann, Verantwortung abzutreten und die den Laien Musiktheorie um die Ohren haut. Auf der anderen Seite versucht Lisa, die nicht einmal Noten lesen kann, mit einem spielerischen Ansatz zum Erfolg zu gelangen. Dazwischen spannen die Drehbuchautorinnen Rosanne Flynn und Rachel Tunnard ein Panorama ganz unterschiedlicher Frauen, Befindlichkeiten und Lebensmodelle – von der nassforschen Ruby (Lara Rossi), die um ihre Ehegattin zittert, über Neuankömmling Sarah (Amy James-Kelly), die alsbald um ihren gefallenen Mann trauert, bis zur schüchternen Jess (Gaby French), die sich als wahres Goldkehlchen herausstellt.

Egal ob ihm Berufs- oder im Privatleben, oft hat es den Anschein, als werde man die Rollen aus der Schulzeit nie wieder los. Kate und Lisa beschwören geradezu das Bild der Streberin und der Klassencoolen herauf. Die eine nimmt alles im Leben zu ernst, die andere (zumindest augenscheinlich) zu locker. Familiäre Probleme haben beide. Kate trauert um ihren verstorbenen Sohn, Lisa verzweifelt an ihrer pubertierenden Tochter. Am Ende müssen sie sich zusammenraufen, um etwas zu erreichen. Ganz konkret: einen Auftritt meistern in der altehrwürdigen Royal Albert Hall, in der der Chor am Remembrance Day in Gedenken der gefallenen Soldaten singen darf.

Regisseur Peter Cattaneo kennt sich mit solchen Geschichten bestens aus. Gegen Ende des vergangenen Jahrtausends reüssierte er mit Ganz oder gar nicht (1997), in dem sich sechs arbeitslose Stahlarbeiter als Stripper ihr verlorenes Selbstwertgefühl zurückholen. Auch Cattaneos jüngster Film erzählt von der therapeutischen Wirkung der Gemeinschaft. Im Chor singen sich die Frauen auch immer ihren Frust von der Seele. Der Gesang verbindet und tröstet. Vor allem aber gibt er ihnen eine Stimme.

Zu kreativen Höhenflügen setzt der Regisseur dabei nicht an, ganz im Gegensatz zu den Schreibstuben, in denen deutsche Verleihtitel erdacht werden. Cattaneos Film ist bodenständiges Wohlfühlkino, das deutlich mehr von der Boshaftigkeit vertragen hätte, wie sie Sharon Horgan in der von ihr miterdachten, -geschriebenen und -produzierten Serie Catastrophe (2015-2019) an den Tag legen durfte.

Wie der Titel zustande kam, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Zwar bringt Horgans Figur kurz ins Spiel, dass, wenn schon gesungen werden müsse, die Gruppe wenigstens „singing club“ heißen sollte. Doch bis zuletzt bleiben die Frauen ein „choir“, also ein Chor. Nur ist das Wörtchen „choir“ hierzulande halt nicht so allgemeinverständlich wie ein „singing club“. Wer darin den Ton angibt, darüber lässt sich trefflich streiten. Immerhin lebt der Film von den amüsanten Reibereien der zwei Protagonistinnen. Weil Lisas Nachname im Film allerdings nicht fällt, musste wohl Kate als Namensgeberin herhalten. Dumm nur, dass die Frau des Colonels im englischsprachigen Original gar nicht Taylor, sondern Barclay heißt. Auch hier dürfte der Klang für die Änderung ausschlaggebend gewesen sein. Die wohl schrägste Note in einer tragikomischen Komposition.

Mrs. Taylor's Singing Club (2019)

Während ihrer Partner in Afghanistan dienen, formt eine Gruppe von Frauen einen Chor und wird zu einer Mediensensation, die sich schließlich zu einer weltweiten Bewegung ausweitet.

 

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