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Jede dritte Frau hat Schwierigkeiten, zum Orgasmus zu kommen. Was das mit einer lückenhaften sexuellen Aufklärung und der Tabuisierung weiblicher Lust zu tun hat, erschließt sich aus diesem Dokumentarfilm aus Belgien. Junge Frauen sprechen darin über die Entdeckung der eigenen Sexualität.

Mein Name ist Klitoris (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Wenn Frauen über Lust reden

Im Schulunterricht sei nie über die Klitoris gesprochen worden, erzählt eine junge Frau. Die sexuelle Aufklärung sei so technisch gewesen, sagt eine andere. Um das Thema Lust sei es bei der Erklärung des Geschlechtsakts nicht gegangen. Eine der 12 jungen Frauen, die in diesem belgischen Dokumentarfilm über ihre Sexualität und vorenthaltene Informationen sprechen, erinnert sich aber, dass im Sexualkundeunterricht auch von masturbierenden Jungen die Rede war. Als sie fragte, wie sich Mädchen selbst befriedigen könnten, sei sie von der Lehrerin schroff abgewimmelt worden. Jede vierte Jugendliche, verrät ein am Schluss des Films eingeblendeter Text, weiß nicht, dass sie eine Klitoris hat.

Die beiden Regisseurinnen Lisa Billuart Monet und Daphné Leblond verstehen ihr Langfilmdebüt als einen Betrag zur Aufklärung, den sie in ihrer Jugend nicht hatten. Obwohl es darin auch um Wissensvermittlung geht – wie groß ist die Klitoris, wie sieht sie aus -, liegt der thematische Schwerpunkt ein wenig anders. Die jungen Frauen werden in ihren Zimmern, genauer auf ihren Betten, interviewt. In diesem sehr privaten Rahmen sprechen sie frei über ihre Erfahrungen, die sich oft auch auf einengende, hinderliche soziale Normen beziehen. So wie es das Setting signalisiert, geht es in diesen Gesprächen um das Bei-sich-Sein, um Selbstermächtigung und Abgrenzung von einer traditionellen Auffassung der weiblichen Sexualität, die stark an männlicher Lustbefriedigung orientiert ist.

Indem sie die jungen Frauen selbst erzählen lassen, verweigern sich die Regisseurinnen zum einen einer didaktischen Aufklärung, die wie Frontalunterricht oder ein nüchterner Vortrag aus der Warte der Allwissenheit aussehen würde. Mit den Protagonistinnen kann sich das Zielpublikum im jugendlichen Alter identifizieren, es hört, dass andere Mädchen und Frauen ähnliche Fragen und Probleme haben, aber auch, dass es große individuelle Unterschiede im sexuellen Erleben gibt. So demonstrieren die Regisseurinnen ihrer Zielgruppe zum anderen ganz bewusst, dass über die eigene Sexualität geredet werden darf, und zwar sehr subjektiv. Der Verleih hat zum Film auch pädagogisches Begleitmaterial für die Verwendung an Schulen herausgegeben.

Der Gesprächsbedarf erscheint tatsächlich riesig, wie die Interviews mit ihrer thematischen Bandbreite beweisen. Der Verlust der Jungfräulichkeit sei für sie im Teenageralter wichtig gewesen, erzählt eine der Frauen. Einige sagen, sie hätten sich dazu gedrängt gefühlt wie unter einem sozialen Druck. Manche der Interviewten stellen dann auch das Konzept der Jungfräulichkeit infrage, die mit dem Akt der Penetration enden soll. Manche erzählen von ihren früheren Erwartungen, dass der Freund für den sexuellen Spaß zuständig sei und den Enttäuschungen, die aus fehlender Kenntnis des eigenen Körpers und der eigenen Wünsche resultierten. Es geht in den Gesprächen um Selbstbefriedigung und die Scham, darüber mit Freundinnen zu reden, aber auch um die Notwendigkeit, den Partner*innen zu sagen, was Lust bereitet. Und wo die eigenen Grenzen sind.

Besonders spannend wird es beim Stichwort weiblicher Orgasmus. Zu oft bringen sich Frauen nämlich noch, wie die Gespräche zeigen, mit der Erwartung eines vaginalen Orgasmus um den Höhepunkt. Dieser ist nämlich mit der Stimulierung der Klitoris verbunden und wird nur verhältnismäßig selten über den G-Punkt in der Vagina ausgelöst, der wiederum mit dem inneren Teil der Klitoris zusammenhängt. Für einige witzige, freche Montagesequenzen verlässt die Inszenierung die Interviewsituation. Einmal geht es um die Korrektur von Sexualkundebüchern: Mit rotem Stift wird in die Abbildungen der weiblichen Geschlechtsorgane die entweder ganz fehlende oder nur als „erbsengroß“ bezeichnete Klitoris hineinmarkiert.

Auch parodieren die Filmemacherinnen Fernsehnachrichten um zu demonstrieren, wie spät, wenn überhaupt, das Thema weibliche Sexualität und Lust in der Gesellschaft angekommen ist. Wäre es beispielsweise 1998 nicht an der Zeit gewesen, die Publikation der kompletten Anatomie der Klitoris durch die Forscherin Helen O’Connell medial so zu feiern, wie den französischen Sieg der Fußball-Weltmeisterschaft? Eine satirische Verfremdung, die das simuliert, zeigt zugleich die Leerstelle im öffentlichen Diskurs. Frauen setzen darin immer noch zu selten Themen und die fatale Gewohnheit, sie als abweichend von der Norm zu betrachten, ist keineswegs nur noch Schnee von gestern. Diesem Dokumentarfilm gelingt es, Mädchen und jungen Frauen mit seinem Humor und offen sprechenden Protagonistinnen vorzuführen, wie gut und wichtig es ist, die eigene Sexualität aus dem Korsett von Unkenntnis, falschen Vorstellungen und sozialer Tabuisierung zu befreien.

Mein Name ist Klitoris (2019)

Die Klitoris, das unbekannte Wesen: Man(n) weiß, sie ist bei Frauen „irgendwo da unten“, aber wie es da genau aussieht, können zum Teil nicht mal ihre Trägerinnen genau sagen. Es tun sich oft Wissenslücken bei der eigenen Körperlichkeit auf – aus Scham, aus Unsicherheit oder aus der Grauzone gesellschaftlich tabuisierter Themen heraus. „Mein Name ist Klitoris“ ist nur den Auftakt zu einer Reise in das Lustzentrum des weiblichen Körpers, in dessen Verlauf sich die Hoffnung auf Erkenntnis breitmacht und etliche Vorurteile darauf harren, endlich über Bord geworfen zu werden…

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