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„Gehen ist des Menschen beste Medizin“ lautet das Hippokrates zugeschriebene Zitat, das diesem Dokumentarfilm vorangestellt ist. Um ihre Trauer zu verarbeiten, machen sich sechs Pilger*innen auf einen Weg, der vielen im Publikum vertraut sein dürfte.

Himmel über dem Camino - Der Jakobsweg ist Leben! (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Schweres Gepäck

Die Beliebtheit dieser Pilgerstraße reißt nicht ab. Vermutlich kennt jeder jemanden, der den Jakobsweg schon gegangen ist oder zumindest gern einmal gehen möchte. Dass die Strecke zwischen den Pyrenäen und Santiago de Compostela in aller Munde ist, hat auch viel mit ihrer Medienpräsenz zu tun. Schon 1969 nahm Luis Buñuel in seinem Spielfilm „Die Milchstraße“ das Pilgern, vor allem aber die katholische Kirche auf die Schippe. Inzwischen geht es in Büchern und Filmen über den Camino de Santiago meist um eine Sinnsuche. So auch im Dokumentarfilm von Fergus Grady und Noel Smyth.

Die Regisseure kommen aus Neuseeland und Australien. Dass sich die europäische Pilgerfahrt längst bis ans Ende der Welt herumgesprochen hat, zeigt sich nicht nur an den Filmemachern selbst, sondern auch an der Gruppe, die sie mit der Kamera begleiten. Die vier Frauen und zwei Männer stammen ebenfalls aus den Ländern Down Under. Ihre Beweggründe sind nicht von vornherein klar. Denn das Regieduo hält die Hintergrundgeschichten dramaturgisch geschickt zurück. Schnell ist aber offensichtlich, dass schweres Gepäck durch die Gegend geschleppt wird.

Los geht es mit der rüstigen Sue, die nicht mehr weiterkann. Am Ende ihrer Kräfte sackt sie in einer Herberge in sich zusammen. Dem Rest der Gruppe dient die Älteste in dieser Zufallsgemeinschaft als großes Vorbild. Denn Sue lässt sich von ihren körperlichen Gebrechen nicht aufhalten. Sie trat den Jakobsweg trotz ihrer degenerativen Arthritis an, wie ein Sprung zurück an den Anfang des Wegs offenbart. Nach und nach vervollständigen die übrigen Reisenden das Bild.

Terry wandert mit seinem Schwiegersohn Mark, die um Marks Tochter und Terrys Enkelin Maddy trauern. Cheryl ist in Gedanken bei der Liebe ihres Lebens und bei ihrem Vater, die beide bereits gestorben sind. Und auch Julie schleppt gleich zwei Trauerfälle mit sich herum, die allerdings so plötzlich kamen und so kurz aufeinanderfolgten, dass es einem beim Zusehen die Sprache verschlägt. Einzig Claudes Motivation bleibt bis zuletzt nebulös. Mit ihrer dominanten Art, sich ungefragt aufzudrängen, geht sie den anderen schnell auf die Nerven.

Es ist erstaunlich, wie sehr dieser Dokumentarfilm Spielfilmen über den Jakobsweg gleicht. Dass die Wegmarken dieselben sind, liegt auf der Hand. Doch selbst die Gruppendynamik aus Trauernden, Sinnsuchenden und Nervensägen ähnelt verblüffend Tragikomödien wie Dein Weg (2010) oder dem auf Hape Kerkelings gleichnamigem Reisebericht basierenden Ich bin dann mal weg (2015). Imitiert hier die Kunst das Leben oder das Leben die Kunst? Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn Grady und Smyth in einer kleinen Montagesequenz all die amüsanten, am Wegesrand gesammelten Anekdoten witzig zusammenschneiden. Trotz aller Trauer schwingt auf diese Weise auch immer ein wenig Humor mit. Zum Glück, denn der Film ist nicht immer einfach zu ertragen, was zu großen Teilen an seinen technischen Mängeln liegt.

Im Gegensatz zur erzählerischen Ebene überzeugt die formale nur in Ansätzen. Das Filmteam war auf ein Minimum beschränkt. Neben Grady, der den Ton besorgte, und Smyth, der die Kamera führte, war nur noch die Produktionskoordinatorin Phoebe Curran mit auf der Strecke. Smyths Kamera wog fast fünf, sein Rucksack zusätzliche 17 Kilogramm. Anscheinend deutlich zu viel Gepäck. Denn das Ergebnis ist mehr als durchwachsen.

„Wir entschieden uns für den energiegeladenen Stil einer Handkamera, um den physischen Kampf unserer Pilger zu filmen“, haben die Regisseure über ihre Herangehensweise gesagt. Das Wörtchen „energiegeladen“ dient hier allerdings zur Beschönigung einer Kameraführung, die schlicht fahrig und mitunter konfus ist und im Vorfeld wohl weder durchdacht noch erprobt wurde. Selbst einige der an und für sich toll eingefangenen Landschaftsaufnahmen sind verwackelt. Und um ja nichts zu verpassen, schwenkt und zoomt die Handkamera so nervös, dass das Wandern viel hektischer aussieht, als es eigentlich ist.

Auch das Ende, wenn die Reisenden von Santiago de Compostela noch ein Stück weiter bis an die Atlantikküste von Muxía gegangen sind, ähnelt so vielen Erzählungen über diesen berühmten Weg. Unterwegs hat das Kinopublikum einige mehr und einige weniger interessante Menschen getroffen und etwas über ihren Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer erfahren. Wirklich Neues hat es dabei nicht erfahren.

Himmel über dem Camino - Der Jakobsweg ist Leben! (2019)

Dokumentarfilm über sechs Pilger*innen aus Australien und Neuseeland, die zwischen 50 und 80 Jahre alt sind und die gemeinsam den Jakobsweg begehen, um auf diese Weise mit persönlichen Verlusten und Niederlagen umgehen zu lernen. 

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