Dein Weg

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

"Man entscheidet sich nicht für ein Leben – man lebt eins!"

Spätestens seit Hape Kerkeling seine Pilgerfahrt in einem Bestseller festgehalten hat, ist der Jakobsweg wieder ins Bewusstsein der Allgemeinheit zurückgekehrt. So war es wohl auch nur eine Frage der Zeit bis sich auch das amerikanische Kino diesem Thema widmen würde. Im Falle von Emilio Estevez’ Film Dein Weg handelt es sich jedoch nicht nur um eine Modeerscheinung, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit den spanischen Wurzeln seiner Familie. Passend dazu übernimmt Martin Sheen im Werk seines Sohnes die Hauptrolle.
Er verkörpert den verwitweten Tom Avery, dessen Sohn Daniel – gespielt von Estevez selbst – zum Ärger seines Vaters alle beruflichen Pläne über Bord wirft um die Welt zu bereisen. Sie trennen sich im Streit. Zu einer Versöhnung wird es niemals kommen, denn Daniel verunglückt tödlich auf der ersten Etappe des Jakobswegs. Eigentlich will Tom nur den Leichnam in die USA überführen, stattdessen begibt er sich mit der Ausrüstung und der Asche seines Sohnes selbst auf die Pilgerfahrt.

Für die meisten Wanderer ist der Weg nach Santiago de Compostela vor allem eine Selbsterfahrung. Dementsprechend geht es in Dein Weg insbesondere um die Persönlichkeitsentwicklung der Charaktere. Hierbei ist Tom Avery nicht die einzige Figur, deren Geschichte der Zuschauer mitverfolgen kann. Auf seinem Weg trifft der trauernde Vater weitere Personen, die sich aus vollkommen unterschiedlichen Gründen auf den Weg gemacht haben. Auch wenn jeder eine individuelle Motivation mit sich trägt, so ziehen sich doch die Themen Familie, Schuld und Vergebung thematisch durch den gesamten Film.

Emilio Estevez erzählt Dein Weg erfrischend nüchtern. Statt als Hochglanzversion der spanischen Landschaft, kommt das Baskenland gelegentlich durchaus bewölkt und stürmisch daher. Auch wenn ein wenig Sentimentalität auf Grund der Thematik nicht ausbleibt, verzichtet der Regisseur auf einen unnötigen Druck auf die Tränendrüse und beschränkt sich auf einige wenige Szenen, die – der Thematik des Films entsprechend – mit den Emotionen der Zuschauer spielen. Wenn es um (spirituelle) Selbsterfahrung und den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen geht, lassen sich kleine Prisen Drama und Pathos durchaus verschmerzen. Auch die Filmmusik wird mit Bedacht eingesetzt und dient nicht dazu, dem Publikum mit aller Macht Tränen abzuringen, sondern untermalt und unterstützt die Atmosphäre der Szenen.

Martin Sheen verleiht der Figur des Tom Avery eine enorme Verletzlichkeit und macht den Schmerz des Verlustes für das Publikum spürbar. Doch es ist gerade diese sensible Darstellung, die manchmal nicht zu der Figur des verhärmten Arztes passen will, dessen fehlende Empathie schließlich zum Bruch mit seinem Sohn geführt hat. So kann der initiale Vater-Sohn-Konflikt nicht ganz überzeugen und sich das daraus entwickelnde Drama um den Tod Daniels nicht voll entfalten. Auch die Nebencharaktere können nicht immer überzeugen: Während Deborah Kara Unger mit Sarah gekonnt eine gebrochene Frau auf der Suche nach Vergebung portraitiert, schießt James Nesbitt in seiner Darstellung des überdrehten Schriftstellers Jack manchmal etwas über das Ziel hinaus.

Obwohl die Geschichte weniger von einer dicht erzählten Handlung und mehr von der Entwicklung ihrer Charaktere lebt, trägt die Dramaturgie Dein Weg recht souverän über die zweistündige Laufzeit. Durch emotionale Berg- und Talfahrten sowie mal amüsante, mal spannende Handlungssequenzen soll die Wanderung auch dem Publikum nicht langweilig werden. Das gelingt Emilio Estevez, der das Drehbuch zum Film verfasst hat, größtenteils, auch wenn einzelne Episoden dann doch etwas konstruiert wirken und zu offensichtlich Toms Verarbeitungsprozess untermalen sollen.

Trotz kleiner Wermutstropfen präsentiert Emilio Estevez mit Dein Weg einen gelungenen Film. Durch das Ensemble der Wanderer beschränkt er sich nicht nur auf eine einzelne Geschichte, sondern zeigt unterschiedliche Motivationen und Interpretationen der Pilgerfahrt: Spiritualität bekommt hier ebenso ihren Platz wie die weltlichen Probleme Zigarettensucht und Fettleibigkeit. Mit dem Konzept „weniger ist mehr“ verhindert er schließlich, dass Dein Weg ins amerikanische Wohlfühlkino abrutscht. Das Ergebnis ist ein Film, der zwar rührend, keineswegs aber rührselig ist.

Dein Weg

Spätestens seit Hape Kerkeling seine Pilgerfahrt in einem Bestseller festgehalten hat, ist der Jakobsweg wieder ins Bewusstsein der Allgemeinheit zurückgekehrt. So war es wohl auch nur eine Frage der Zeit bis sich auch das amerikanische Kino diesem Thema widmen würde. Im Falle von Emilio Estevez’ Film „Dein Weg“ handelt es sich jedoch nicht nur um eine Modeerscheinung, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit den spanischen Wurzeln seiner Familie.
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Meinungen

hb · 13.08.2012

ja, es ist nett zu sehen, wie die handelnden charaktere sich nach und nach ein bisschen aneinander abschleifen, ein bisschen großzügiger und nachsichtiger werden den eigenen schwächen und denen der mitstreiter gegenüber, ein bisschen sich einander öffnen. und ja, die landschaft ist nicht nur idyllisch, sondern es schaut oft kühl und zugig aus, die nebelschwaden kriechen. man trägt dicke anoraks und mützen oder fellkapuzen. dafür regnet es niemals, man findet immer eine herberge (auch, wenn das dann meist schlafsaalmäßig aussieht), man hat kein kopfweh nach wachgelegenen nächten in diesen unterkünften, die pilger verirren sich nicht, es drücken keine schuhe, man läuft sich, wiewohl völlig untrainiert, nicht eine (erwähnte) blase - im gegenteil: es wird sogar stramm marschiert. und nein, die fiesen autoträchtigen strecken sind natürlich nicht einmal angedeutet. man geht auf netten kleinen wegen ... ein einziges mal am schluss wird übrigens wäsche gewaschen, eine plastiktüte voll von vier personen *lach*, dabei geht es über mehrere hundert kilometer (geschätzte gehzeit in den aussagen der protagonisten im film: rund drei monate!!).

da kann also der hauptdarsteller auch seinem ins wasser gefallenen rucksack in voller montur samt anorak und anbehaltenen trekkingschuhen hinterherschwimmen, pitschenass mit triefenden utensilien herauskommen - um dann im nassen?! trockenen?! schlafsack am ufer einzuschlafen und am nächsten morgen völlig unbeeindruckt und offensichtlich trocken weiterzuwandern (kälte und nebel zum trotz!) ... - kein handy geht dabei kaputt, und weder hier noch sonstwann im film kränkelt irgendeiner wegen irgendetwas. vermutlich hätte das von der mageren handlung abgelenkt.

nein, besonders wirklichkeitsnah kann man den film nicht nennen - im vergleich dazu hat harpe kerkeling eine regelrechte dokumentation erstellt ...

es ist ein bisschen ein märchen, das nicht viel mehr will, als ein paar personen in groben zügen zu "entwickeln" auf basis einer allseits bekannten und ganz dekorativen kulisse.

an diesem film ist "ein bisschen" die treffendste charakterisierung. viel mehr ist nicht zu sehen als ein bisschen von allem: landschaft, charaktere, handlung, melodram, amüsement, überzeugungskraft.

für einen durchschnittlichen kinoabend jetzt nicht unnett - die vier pilger sind ja durchaus sympathisch, und ab und an ist es lustig. aber sehr viel mehr sollte man sich auch nicht erwarten an tiefgang und feinheiten.

die vier punkte, die ich dafür gebe, sind also eher gut gemeint ...