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Bewegend und ohne den Versuch einseitiger Schuldzuweisungen erzählt Arash T. Riahi in seinem neuen Film von einer tschetschenischen Familie, die in Wien lebt. Mit der Abschiebung und dem Selbstmordversuch der Mutter beginnt für die beiden Kinder eine Odyssee, die auch magische Elemente hat.

Ein bisschen bleiben wir noch (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Was zählt, sind die Kinder

Seit sechs Jahren schon leben die beiden aus Tschetschenien stammenden Kinder Oskar (Leopold Pallua) und Lilli (Rosa Zant) gemeinsam mit ihrer Mutter (Ines Miro) und ohne den als verschollen geltenden Vater in Wien, als plötzlich die Polizei vor der Tür steht und die Abschiebung erfolgen soll. An die Kinder denkt dabei niemand, denen ihre Heimat längst fremd geworden ist und die in Österreich eine neue gefunden haben. Ihre Mutter, psychisch ohnehin labil, flüchtet bei dem Zugriff ins Bad und versucht sich dort die Pulsadern aufzuschneiden. Zwar überlebt sie, und die Abschiebung wird vorerst ausgesetzt, doch da sie nun in eine Psychiatrie gebracht wird, werden die Geschwister bei verschiedenen Pflegefamilie untergebracht und sind vorerst voneinander getrennt. Heimlich aber halten sie Kontakt zueinander und träumen davon, eines Tages wieder gemeinsam mit ihrer Mutter friedlich und in Sicherheit leben zu können. Und dafür setzen sie einiges in Bewegung.

Basierend auf Monika Helfers 1994 erschienenem Buch Oskar und Lilli, das ursprünglich nicht mit der Flüchtlingsthematik verknüpft war, sondern sich auf die Situation von Kindern in Pflegefamilien konzentrierte, hat der aus dem Iran stammende und seit vielen Jahren in Österreich als Regisseur und erfolgreicher Produzent lebende Arash T. Riahi auch eigene Erfahrungen mit eingeflochten, die sich ganz natürlich und ohne den Eindruck einer aufgesetzten Betroffenheit in den lakonisch-zärtlichen Erzählton des Filmes einfügen. 

Immer wieder findet die Kamera von Enzo Brandner dabei berückende Bilder, die den Geist eines magischen Realismus widerspiegeln, um dann im nächsten Moment wieder schonungslos die grausame Realität einzufangen. Auf diese Wiese und durch das exzellente Spiel vor allem von Leopold Pallua und Rosa Zant gelingt eine fein ausgewogene Balance zwischen Traurigkeit und fast schon heiteren Elementen, zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Traum und Wirklichkeit.

Auch wenn Ein bisschen bleiben wir noch konsequent den Blickwinkel der beiden Kinder einnimmt (derjenige des achtjährigen Oskar ist überaus verspielt und sehr fantasievoll, während die Perspektive seiner älteren Schwester härter ist und nicht so sehr der Realität abgewandt), ist dies dennoch kein Kinderfilm, sondern einer, der durch deren Augen auf eine Welt blickt, die ebenso schrecklich ist wie fantastisch, ebenso grausam wie liebevoll. Diese Perspektive und diese Parteinahme für die Kleinen und Kleinsten ist selten geworden, wie es sich zur Zeit allen Beteuerungen zum Trotz zeigt — ganz gleich, ob es sich dabei um die Corona-Pandemie oder die Belange von Kinder handelt, die sich auf der Flucht befinden.

Zugleich aber ist der Film eben nicht nur (oder eher zu einem geringen Teil) eine wütende Anklage, sondern vielmehr der Versuch, durch eine Art radikaler Zärtlichkeit und detailverliebter Poesie die Augen zu öffnen für die Gefühlswelt seiner beiden Hauptpersonen. Und das tut der Film märchenhaft und dennoch auch mit scharfem Blick für die Härten der Realität, niemals kitschig, aber stets durchdrungen von großer Zärtlichkeit und immenser Anteilnahme. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis gab es dafür den Publikumspreis, und auch bei anderen Festivals folgten mehrere Auszeichnungen. Doch auch abseits von roten Teppichen und Filmfestivals hätte dieser Filme jede Aufmerksamkeit verdient.

Ein bisschen bleiben wir noch (2020)

Die Geschwister Oskar und Lilli werden von ihrer psychisch labilen Mutter getrennt und landen bei zwei unterschiedlichen Pflegefamilien. Die Hoffnung der Kinder, einander und ihre Mutter wieder zu sehen, ist gekennzeichnet von der unbändigen Kraft der Liebe zueinander, die jede bürokratische Hürde mit Leidenschaft und Phantasie zu entwaffnen versucht.

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