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In „Drifter“ folgt Hannes Hirsch seinem Protagonisten auf der Suche nach sich selbst in der queeren Subkultur Berlins.

Drifter (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wohin gehst du?

„Schön, dass du nach Berlin gezogen bist!“, sagt Jonas (Gustav Schmidt) zu Beginn von „Drifter“ zu seinem Freund Moritz (Lorenz Hochhuth), nachdem dieser ihm im Wohnzimmer einen Blowjob gegeben hat. Der 22-jährige Neuankömmling weiß noch nicht so recht, was er in der Großstadt vorhat. Vielleicht Kunstgeschichte studieren? Aber es scheint auch keine große Eile zu bestehen: Mama sagt, er könne sich Zeit lassen. Und jetzt wohnt Moritz bei Jonas. Bis diesem dann plötzlich auffällt, dass er ja eigentlich „nicht so der WG-Typ“ ist. Ach, ungünstig. Prompt ist die Beziehung dahin und Moritz wird zum titelgebenden Herumtreiber, zum Orientierungslosen.

Als „beautiful place with beautiful people“ wird Berlin an einer Stelle von einer anderen Zugezogenen bezeichnet – und tatsächlich zeigt der Film, wie anziehend die Stadt mit ihren Clubs und Bars, mit ihren Partys am See und an ungewöhnlichen Locations, mit ihren Kunstaustellungen und Kino-Events und nicht zuletzt mit ihrer Offenheit für sexuelle Fetische sein kann, für Partywütige und Kulturinteressierte im Allgemeinen und für queere Personen im Besonderen. Menschen verknüpfen sich auf Instagram, führen Smalltalk, haben Hookups, besuchen das Fitnessstudio und experimentieren mit Drogen.

Der Regisseur Hannes Hirsch, der zusammen mit River Matzke auch das Drehbuch geschrieben hat, fängt diesen Lebensstil, auch in dessen exzessiver Form, ein, ohne uns eine eindeutige Wertung vorzugeben. Drifter ist kein oberflächlicher Partyfilm, der die wilde Feierei und den grenzenlosen Sex unhinterfragt zum Nonplusultra erklärt, aber auch kein reißerisches Drama, das vor dem Absturz in den Hedonismus, in die verwerfliche Dekadenz warnt. In einem Interview nennt Hirsch den Huffington-Post-Artikel Together Alone: The Epidemic of Gay Loneliness als wichtigen Bezugspunkt. Darin wird geschildert, dass schwule Männer auch in (vermeintlich) liberalen Umgebungen noch immer überdurchschnittlich häufig an Depressionen und Einsamkeit leiden.

Ohne die Community zu diskreditieren, gibt der Film einen Einblick in die Diskriminierungen, die auch innerhalb der Szene durch verinnerlichte Homophobie und durch bestimmte Körperideale stattfinden. Das queere Umfeld in Berlin ist nicht zwangsläufig durch und durch tolerant, sondern ebenfalls von Normen beeinflusst. Moritz lässt etwa einen Bekannten abblitzen, weil dieser schlichtweg „zu klein“ sei. Während im queeren Kino lange Zeit das Coming-out als Erzählziel formuliert wurde, stehen Werke wie Nevrland (2019) von Gregor Schmidinger und Drifter für ein Post-Gay-Zeitalter, in dem die Reise nach dem Coming-out noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern die Identitätssuche und Selbstfindung in die nächste, nicht weniger schwierige Runde gehen.

Drifter lässt seinen Protagonisten, der bewusst eine recht leere Projektionsfläche ist, diverse Lebensmodelle ausprobieren. So lernt Moritz den 36-jährigen Noah (Cino Djavid) kennen, der Teil einer kleinen Patchwork-Familie ist und einen überwiegend heterosexuellen Kreis an Freund:innen hat. Beim Waldspaziergang und beim gemeinsamen Zähneputzen im Bad entstehen eine Intimität und eine Romantik, die das Happy End bedeuten könnten – und doch ahnen wir, dass die Hauptfigur hier noch nicht angekommen ist.

Der Film arbeitet mit dramaturgischen Sprüngen und wendet sich damit geschickt von dem Gedanken ab, dass sich jede Handlung und jede Entwicklung ganz logisch erklären lässt, dass jede Entscheidung, die wir treffen, immer absolut Sinn ergeben und sich nachvollziehbar aus dem unmittelbar vorher Geschehenen herleiten lassen muss. Drifter ist ein moderner queerer Gegenentwurf zum formelhaften Coming-of-Age- und Coming-out-Narrativ.

In dem Song, der am Ende des Films auf einer Party läuft, ist die Frage „Where do I go?“ zu hören. Dass weder die Hauptfigur noch wir eine klare Antwort darauf geben können, zeigt, wie gut, lebensnah, echt und ehrlich Drifter ist.

Drifter (2023)

Moritz ist 22 und gerade von seinem Freund Jonas verlassen worden, für den er eigentlich nach Berlin gezogen war. Eine Zeit lang findet er Geborgenheit bei dem älteren Noah, bis es ihm zu eng wird. Moritz ändert sein Aussehen und taucht ein in die Berliner Partyszene. Er lebt seine unterdrückten Sehnsüchte und sexuellen Fetische aus, verliert sich aber auch zunehmend in Drogenexzessen und emotionaler Entfremdung. Erst mit Hilfe seiner queeren Freunde findet er heraus, wer er wirklich sein möchte.

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Meinungen

Andre · 24.02.2023

Sorry, aber da muss ich voll wiedersprechen. Gesehen auf der Berlinale. Amateurhafte Darstellung aller Beteiligten. Ohne tiefere Story, ohne Plot, plätschert dieser Schwachsinn dahin. Laienhafte Kamera, schwache Musik, geradezu ein Verschnitt an zusammengereihten Szenen. Schaut "Le Paradis", das ist Können. Lief ebenfalls auf der Berlinale. Schade hier um die Zeit! O-Ton Produzent: Wir stellten den Penis an den Anfang damit der Film interessanter ist. Ah ha. Der ganze Film ist leider stümperhaft und völlig sinnfrei. Schauspielerisch auch einfach nur entfremdend und zum fremdschämen. Schade drum! Story hätte richtig gut werden können wenn man nicht einfach drauflosfilmt.