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In „Concerned Citizen“ stürzt Idan Haguel seine Hauptfigur in ein moralisches Dilemma – und kratzt gekonnt an deren (und unserer) Weltsicht.

Concerned Citizen (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Check your privilege

Die Belcanto-Arie Casta Diva von Vincenzo Bellini durchdringt ganz sanft die Räume einer schick renovierten Eigentumswohnung. Ben (Shlomi Bertonov) gießt die Pflanzen – und rückt die Gießkanne beim Abstellen nachträglich gerade, damit sich auch wirklich alles in perfekter Symmetrie befindet. Während Raz (Ariel Wolf) noch im Doppelbett schlummert, mixt Ben schon mal einen grünen Smoothie, um frisch und gesund in den Tag zu starten.

Der Kosmos, den Idan Haguel zu Beginn seines Films Concerned Citizen entwirft, ist der eines hippen schwulen Paares, das sich in seiner Bubble hübsch und modern eingerichtet hat. Ein harter Cut vermittelt uns jedoch rasch den Kontrast zwischen innen und außen: Heulende Alarmanlagen sowie der Lärm und Schmutz der Straße deuten darauf hin, dass das Stadtviertel von Tel Aviv, in dem das junge Paar lebt, nicht ganz mit dem Idyll mithalten kann, das sich die beiden Männer in den eigenen vier Wänden, abgeschottet durch einen Tür-Code, geschaffen haben. Aber: „Das Viertel verändert sich“, heißt es zuversichtlich. Die Gentrifizierung wird kommen.

Von Multikulturalität und Diversität ist die Rede. Ben, Raz und ihr näheres Umfeld verstehen sich als liberale Menschen. Auf einer kleinen Privatparty verkündet das Paar, nachdem ausgelassen getanzt und über anregende Reisen geplaudert wurde, den Plan, durch eine Leihmutter ein Kind zu bekommen. Ein Bäumchen, das Ben vor dem Wohnhaus gepflanzt hat, soll als Sinnbild für das neue, erfüllte Leben stehen, das sich die beiden hier aufbauen möchten.

Wie fragil dieses Dasein und vor allem das eigene Welt- und Selbstbild ist, wird erkennbar, als Ben zwei aus Eritrea stammende Männer beobachtet, die an seinem Bäumchen lehnen und rütteln. Als seine Bitte, dies zu unterlassen, keine Wirkung zeigt, verständigt er die Behörden, um als „besorgter Bürger“ die „Sachbeschädigung öffentlichen Eigentums“ zu melden. Wenig später rückt die Polizei an – und geht gegen einen der Männer mit einer derartigen Gewalt vor, dass dieser auf der Straße stirbt. Ben sieht die Geschehnisse vom Fenster aus, unternimmt aber nichts dagegen. Der Vorfall lässt ihn indes nicht mehr los.

„Die Charaktere im Film sind schwul, weil ich es auch bin, und weil sie auf diese Weise automatisch als liberal und ‚woke‘ angesehen werden, sowohl von sich selbst als auch von den Zuschauer:innen“, erklärt Haguel in einem Regiestatement. Sein Protagonist Ben gehört selbst einer gesellschaftlichen Minderheit an; er hat eigene Diskriminierungserfahrungen gemacht und ist sich deshalb womöglich gar nicht bewusst, welche Privilegien er in dem migrantisch geprägten Stadtteil genießt – und welche Xenophobie bei aller zur Schau gestellten Progressivität in ihm steckt. Concerned Citizen zwingt uns, unsere vermeintlich gesicherte Wahrnehmung von anderen und insbesondere von uns selbst zu hinterfragen.

Der 1980 in der israelischen Stadt Cholon geborene Autor und Regisseur arbeitet in der Ausstattung seiner Figuren und im Setdesign mit einer feinen satirischen Überzeichnung, die allerdings nie die Glaubwürdigkeit dieser Welt beschädigt. Die Darsteller von Ben und Raz sind auch im echten Leben ein Paar; ebenso sind die Personen, die hier als eritreische Geflüchtete zu sehen sind, tatsächlich Geflüchtete aus einem Auffanglager für Asylsuchende aus dem Sudan und Eritrea. In dieser Kombination von Authentizität und Zuspitzung gelingt Haguel ein unbequemer, im besten Sinne hinterhältiger Film über die Durchkreuzung von Denkmustern.

Concerned Citizen (2022)

Ben hält sich für einen liberalen schwulen Mann. Er hat einen gut bezahlten Job und wohnt mit seinem Partner Raz in einem schicken Apartment in einem migrantisch geprägten Stadtteil Tel Avivs. Zum Glück fehlt dem Paar nur noch ein Kind. Um ihre Wohngegend zu verschönern, pflanzt Ben einen Baum auf der anderen Straßenseite. Doch seine gut gemeinte Tat löst eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende ein Geflüchteter aus Eritrea brutal von Polizisten zusammengeschlagen wird. Bens Bild von sich selbst, seiner Beziehung, ja der ganzen Gesellschaft gerät aus den Fugen. (Quelle: Salzgeber)

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