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Dieser Dokumentarfilm schildert eine Bergsteiger-Expedition im Himalaya aus der Sicht eines nepalesischen Lastenträgers. Der Sherpa gerät in Konflikt mit seinem Glauben, wonach der heilige Berg Kumbhakarna Menschen, die ihn betreten, bestrafen wird. Aber er braucht das Geld für seinen Sohn.

Die Wand der Schatten (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zwist am heiligen Berg der Sherpa

In einem nepalesischen Dorf am Fuße des 7710 Meter hohen Kumbhakarna wohnt Ngada Sherpa mit seiner Familie. Er arbeitet als Hochträger für Gipfelbesteigungen im Himalaya und hat unter anderem bereits neunmal den Everest und zweimal den Kanchenjunga bestiegen. Nur auf den Kumbhakarna oder Jannu würde Ngada nicht gerne gehen. Als er im Frühjahr 2019 dennoch den Auftrag der Agentur in Kathmandu annimmt, drei europäische Alpinisten zu begleiten, macht ihm seine Frau Jomdoe heftige Vorwürfe. Der Kumbhakarna gilt in Nepal als heiliger Berg, und wer das Haus Gottes besteigt, riskiert den Tod.

Gipfel-Expeditionen im Himalaya werden meistens als sportliche Höchstleistung gefeiert und aus der Perspektive der aus dem Ausland angereisten Alpinisten erzählt. Dass die größeren Helden der spektakulären Besteigungen oft die einheimischen Sherpa sind, wird gerne vergessen. Unter Lebensgefahr fixieren sie Seile, tragen die Lasten, die pro Person 50 Kilogramm oder mehr wiegen können, hoch zu den Camps. Sie kennen die Bergwelt und die Wetterbedingungen, begegnen den steinernen Riesen des Himalayas mit religiöser Ehrfurcht. Konflikte mit eingeflogenen Gipfelstürmern, die den Erfolg suchen und eine Befehlsmentalität mitbringen, weil sie ja für die Lastenträger zahlen, sind vorprogrammiert.

Die polnische Dokumentarfilmerin und Alpinistin Eliza Kubarska (K2 – Touching the Sky) schildert in diesem spannenden Film exemplarisch einen solchen Konfliktfall. Er wirft ein Schlaglicht auf zwei tendenziell unvereinbare Mentalitäten, die sich am Berg begegnen und auf die soziale Ungleichheit, die diesen Culture Clash noch verschärft. In diesem Film gehe es „nicht ums Bergsteigen, es geht um Menschen“, erkennt der Russe Dmitrij Golowtschenko, als die Expedition am Scheideweg steht.

Gemeinsam mit seinem Landsmann Sergej Nilow und dem Polen Marcin Tomaszewski hat Golowtschenko die Erstbesteigung der 3000 Meter hohen Ostflanke des Kumbhakarna in Angriff nehmen wollen. Doch schon beim Aufstieg ins Basislager treten Spannungen auf, Dmitrij drängt unverdrossen zur Eile und die Sherpa, die mit ihren Lasten durch meterhohen Schnee stapfen, fühlen sich ausgebeutet. Auch erfüllen sie der Wind, die Wetterumschwünge, der Schneefall mit Sorge. Ngada, der meist die Ruhe in Person ist, wirkt beunruhigt.

Auch Jomdoe trägt Lasten zum Basislager auf 4800 Meter Höhe. Dort kocht sie im Küchenzelt, der 16-jährige Sohn Dawa hilft mit. Die Sherpa haben ein paar Packungen Trockenfleisch als Opfergabe reserviert, ein Mönch soll eine Gebetszeremonie veranstalten. Als Dmitrij sie als Proviant einpacken will, reagiert Ngada gereizt. Dmitrij entgegnet, dass er sie nicht gekauft hätte, wäre ihm ihr Zweck bekannt gewesen. Zwei-drei aufgeschnappte Wortwechsel wie dieser genügen, um die spannungsgeladene Stimmung einzufangen. Die Dialoge der Sherpa untereinander, die die Fremden nicht verstehen, werden untertitelt. Das gilt auch für die in Etappen eingestreute Off-Erzählung, die von Legenden über den Berg Kumbhakarna und sein Verhältnis zu den vorwitzigen Menschen, die ihn aufsuchen, handelt.

Der Film beobachtet schon eine Weile vor Beginn der Expedition den Alltag der Familie Ngadas. Sie ziehen mit ihren Rindern von der Sommersiedlung zur tiefer gelegenen Wintersiedlung, besprechen die Zukunftsträume des Sohnes. Dawa möchte Medizin studieren, aber selbst mit Stipendium und dem, was Ngada beisteuern könnte, würde es nicht reichen. Jomdoe möchte Dawa unbedingt ersparen, ebenfalls Lastenträger zu werden und sein Leben am Berg zu riskieren. Auch deswegen willigt Ngada ein, die gutbezahlte Expedition von Golowtschenko und den anderen beiden Bergsteigern zu begleiten.

Der Auftrag wiederum empört Jomdoe, die Angst vor dem Sakrileg hat. Sie nennt in der heimischen Holzhütte Ngada einen Narren, der „stur wie ein Ochse“ sei. Ihr tibetischer Dialekt bietet der Familie offenbar einen gefühlten Rückzugsraum während der Dreharbeiten. So erlaubt sie sich eine Offenheit, die wohl mit der Zeit auch das Vertrauen in die Kamera wachsen lässt. Das Geschehen – möglicherweise wurden ja auch einige Wortwechsel für den Film nachinszeniert — bekommt jedenfalls stellenweise eine Art Spielfilmqualität.

Dass Kubarska den beiden Russen selbst den polnischen Bergsteiger als Kompagnon empfohlen hat, wird im Film nicht gesagt. In Interviews, die im Internet zugänglich sind, sprechen Golowtschenko und Kubarska etwas mehr über die Planungen der Expedition und die Abstimmungen mit den Dreharbeiten. Dabei zeigt sich, dass das Filmprojekt eine aktive Rolle beim Zustandekommen der Expedition und zum Teil auch beim Ablauf spielte. Es ist schade, dass dieser Umstand im Film nicht offengelegt und reflektiert wird. Denn wenn der Dreh selbst den Konflikt, den die Sherpa mit dieser Bergbesteigung haben, mit heraufbeschwört, stellen sich durchaus ethische Fragen.

Als Ngada beim ersten Aufstieg aus dem Basislager erkennt, wie gefährlich das Vorhaben der Alpinisten ist, verzichtet er darauf, sie beim Klettern zu begleiten. So muss er allerdings befürchten, für das ganze Unternehmen keinen Lohn zu erhalten. Aber auch Tomaszewski springt ab, ihm sind die Russen ebenfalls zu bestimmend und risikofreudig. Fortan teilt sich der Film in Szenen, in denen die Russen sich gegenseitig in der Steilwand filmen, und Aufnahmen im Basislager, wo die anderen warten. Der Aberwitz der Kletterei im verschneiten, vereisten Fels teilt sich eindrucksvoll mit.

Wunderbare Landschaftsaufnahmen lassen den Film zum visuellen Genuss werden. Mit den zum Greifen nahen Bergriesen, den strahlenden Morgen, den Wetterumschwüngen entsteht eine Atmosphäre ehrfürchtiger Betrachtung. Dawa blickt oft fragend, staunend hinauf zu den Gipfeln. Diese Naturkulisse wirkt auch auf ein mit seinem Glauben wenig vertrauten Publikum erhaben wie ein Tempel. Dieser ungewöhnliche Film kann auch jenseits der Worte vermitteln, wieso die Berge für Ngada und seine Familie auf spirituelle Weise lebendig sind.

Die Wand der Schatten (2020)

Eine Sherpa-Familie steht am Scheideweg: Brechen sie das Tabu und besteigen sie den Heiligsten aller Berge, um Geld für die Ausbildung ihres Sohnes zu verdienen? Ihr Auftrag: Eine europäische Expedition zur Ostwand des Kumbhakarna-Berges zu begleiten, einer Wand, die noch nie zuvor bestiegen wurde. Die „Wand der Schatten“ erzählt die Geschichte einer Begegnung zwischen einem Sherpa und einem erfahrenen westlichen Bergsteiger am Fuße des heiligen Berges. Werden sie sich dem Zorn der Berggötter stellen?

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Meinungen

Narayani · 26.11.2021

Der Film hat mich in seinen Bann gezogen. Sehr eindrücklich zeigt er die gewaltig schöne Bergwelt des Himalaya. Sein grosser Verdienst: dass er das Leben der Menschen vor Ort und die Bergsteigerei aus ihrer Sicht zeigt. Die Europäer sind dabei die "Verlierer". Ein schöner, stiller Film, der zum Nachdenken anregt.

Bernie · 25.11.2021

Fantastisch, großartig...