Die schönen Tage (2013)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Frühlingserwachen im Herbst des Lebens

Aufgrund der Rente ein wenig frustriert, aus der Affäre mit einem jüngeren Gegenüber neue Lebensenergie schöpfend – das klingt doch nach einem klassischen Plot über Midlife-Crisis und Sex mit der (ehemaligen) Sekretärin. Weit gefehlt, denn Die schönen Tage, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Fanny Chesnel, bricht mit einem Tabu und präsentiert uns eine weibliche Heldin, die ihrer Sexualität mit einem jüngeren Mann freien Lauf lässt.

Caroline (Fanny Ardant) war einst Zahnärztin. Nun ist sie Rentnerin. Die beiden erwachsenen Töchter glauben ihr mit dem Schnuppermonat im Senioren-Club einen Gefallen zu tun, aber weder der Theater- noch der Töpferkurs kann Caroline so richtig mitreißen. Ganz anders sieht es mit dem Computerlehrgang aus. Das hat aber weniger mit den spannenden Inhalten als vielmehr mit dem attraktiven Lehrer Julien (Laurent Lafitte) zu tun. Ehe sie sich versieht, steckt Caroline mittendrin in einer Affäre mit dem deutlich jüngeren Mann. Daheim tischt sie Philippe (Patrick Chesnais) eine Lüge nach der anderen auf, doch der Gatte ist nicht so leicht zu täuschen. Kann all das noch ein gutes Ende nehmen?

Es kann. Auch wenn wir uns für Caroline vielleicht einen anderen Ausgang der Geschichte wünschen würden, so überzeugt Die schönen Tage doch vor allem dadurch, dass die unkonventionelle Heldin für ihre Taten von der Geschichte nicht bestraft wird. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr Frauen unterschiedlichen Alters melden sich mit ihren erotischen Sehnsüchten und Eskapaden zu Wort. Die weibliche Sexualität erfährt hier eine durchweg positive Darstellung. Während Carolines Bedürfnisse niemals Grund zu Scham oder Selbstvorwürfen bieten, ist es hier ausnahmsweise einmal die Sexualität des Mannes, die pathologisiert wird. Caroline spricht von Sexsucht, aber Julien findet für seine nahezu krankhafte Promiskuität banalere Worte: „Ich mag Frauen.“

Doch auch wenn wir Julien tendenziell als den unmoralischeren Part erleben, so geht der Film mit ihm ebenso respektvoll um wie mit allen anderen Figuren. Die schönen Tage fällt keine Urteile und trifft keine Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Handlungen. Für Carolines Verhalten muss keine Entschuldigung gefunden werden. Ihre Ehe mit Philippe basiert auf gegenseitigem Verständnis und Respekt und es lässt sich keinesfalls argumentieren, die arme vernachlässigte Frau habe sich diesen Seitensprung durch jahrelange Demut redlich verdient. Nein, Caroline braucht keinen anderen Grund für ihre Affäre als die pure Lust an der Sache. Und dies ist ebenso legitim oder illegitim wie Juliens Vielweiberei.

Doch Caroline ist mit den männlichen Figuren nicht nur auf Augenhöhe, sie ist ihnen überlegen. Sie ist diejenige, die Entscheidungen trifft und damit die Geschichte antreibt. Zu keinem Zeitpunkt ist die Heldin Opfer ihrer Umstände, stets hält sie das Steuer selbst fest in der Hand. Während Philippe nicht in der Lage oder willens ist, seine Frau aktiv zurückzuerobern, setzt sich Caroline für ihre Ziele ein. Die können durchaus wechseln, der Weg darf vorübergehend in die Irre führen, doch letztlich bringt sich die Rentnerin immer wieder selbst auf den gewünschten Kurs zurück.

Caroline entwickelt sich von einer unsicheren zu einer souveränen Frau. Hauptdarstellerin Fanny Ardant vermag diese Entwicklung zwar in den Grundzügen glaubwürdig darzustellen, stattet ihre Rolle jedoch die meiste Zeit mit überraschend wenig Energie aus. Stets ein leichtes, zuweilen debil wirkendes Lächeln auf den Lippen, scheint Carolines Geist die meiste Zeit irgendwo im Äther zu schweben. Hierdurch wirkt die Figur bedauerlich wenig körperlich, so dass wir Schwierigkeiten haben, sie als sexuelles Wesen wahrzunehmen. Emotionen scheinen an der zarten Frau vorbei zu schweben wie ein lauer Sommerwind.

Es ist dieses Lächeln, das der Figur überdies Autorität raubt und ihr schließlich doch ein wenig Demut verleiht. Aber die Geschichte belehrt uns eines Besseren. Während es zunächst aufgrund ihrer Passivität so wirkt, als lasse sich Caroline von Julien verführen, bestimmt sie von Anfang an selbst die Regeln dieses Spiels. Vielleicht braucht der Film Ardants zurückgenommenes Spiel, um nicht Gefahr zu laufen, die Hauptfigur als aggressiven Vamp zu inszenieren. Dennoch: Ein wenig mehr Energie hätte nicht nur Carolines Charakter gestärkt, sondern auch der Handlung etwas mehr Tempo verliehen. So nämlich plätschern die Ereignisse ähnlich gleichförmig vor sich hin wie die Emotionen der Protagonistin.

Die schönen Tage ist ein einfühlsamer und liebevoller Film über eine reife Frau, die vom Leben mehr erwartet als nur Wochenendausflüge mit der Rentnergruppe. Auch wenn Regisseurin Marion Vernoux hier rein filmisch gesehen das Rad nicht neu erfindet, sind die Umkehrung traditioneller Geschlechterverhältnisse und der positive Umgang mit weiblicher Sexualität außerhalb des monogamen Korsetts der Ehe wahrlich eine Offenbarung.
 

Die schönen Tage (2013)

Aufgrund der Rente ein wenig frustriert, aus der Affäre mit einem jüngeren Gegenüber neue Lebensenergie schöpfend – das klingt doch nach einem klassischen Plot über Midlife-Crisis und Sex mit der (ehemaligen) Sekretärin. Weit gefehlt, denn „Die schönen Tage“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Fanny Chesnel, bricht mit einem Tabu und präsentiert uns eine weibliche Heldin, die ihrer Sexualität mit einem jüngeren Mann freien Lauf lässt.

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