Dieses Sommergefühl

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Im Schwebezustand

Die 30-jährige Sasha (Stéphanie Déhel) wacht eines Morgens auf, tritt auf den Balkon. In Berlin ist Sommer und sie wird die Altbauwohnung in Shorts verlassen, um zur Arbeit ins Kunstquartier Bethanien zu gehen. Dass sie Französin ist und ihr Freund Lawrence (Anders Danielsen Lie), der neben ihr im Bett lag, aus New York stammt und Schriftsteller ist, erfährt man erst nach ihrem Tod. Denn noch am selben Tag kippt Sasha plötzlich um und die Familie, die sich an ihrem Krankenbett versammelt, muss Abschied nehmen.
Bis dahin schien die wortkarge Geschichte Sasha zu gehören, doch nun konzentriert sich der Spielfilm des französischen Regisseurs Mikhaël Hers auf Lawrence und Sashas Schwester Zoé (Judith Chemla). Der Tod Sashas hat beide tief verwundet. Zunächst verbindet sie Entsetzen und Ratlosigkeit, aber die Geschichte erstreckt sich noch, mit zeitlichen Sprüngen, über zwei weitere Sommer. Lawrence besucht nach einem Jahr Zoé, die ihn so sehr an Sasha erinnert, in Paris. Dort lebt die junge Frau, die einen kleinen Sohn hat, inzwischen getrennt von ihrem Mann. Mit ihrem Jungen fährt Zoé in diesem Sommer auch für ein paar Tage in die Berge, nach Annecy, wo ihre Eltern eine Villa am See haben. Alles scheint so ruhig und entspannt zu sein, doch die Trauer bestimmt weiterhin Lawrences und Zoés Leben. Sie taucht unvermittelt in ihren Blicken auf, liegt selbst unausgesprochen über der idyllischen, gut besuchten Badewiese am See in Annecy. Ein Jahr später fliegt Zoé nach New York, wohin Lawrence inzwischen zurückgekehrt ist, um sein Leben und seine Clique kennenzulernen.

Das verhaltene Drama erklärt wenig, sondern beobachtet, lauscht, streckt seine Fühler aus. Es geht darin auch nie um den Menschen, der Sasha war, sondern vielmehr darum, wie die Trauer in ihren verschiedenen Phasen Lawrence und Zoé prägt. Wie ihrer beider Sehnsucht, im Leben Fuß zu fassen, im Schwebezustand verharrt und genötigt ist, noch ein paar Warteschleifen zu ziehen. Der Film verdeutlicht sehr eindrucksvoll, dass der Tod eines Angehörigen oder Partners nicht in wenigen Wochen bewältigt werden kann. Zugleich aber führt er auch vor, dass die Tatkraft, die den Hinterbliebenen geraubt wird, durch eine erhöhte Sensibilität ersetzt wird. Und trotz alldem geht es in diesem Film nicht nur um Trauerarbeit. Er porträtiert junge Kosmopoliten, die neugierig sind auf das Lebensgefühl in Berlin, Paris, New York. Sie scheinen überall schnell auf Gleichgesinnte zu treffen, den Strom zu genießen, in dem sie wie einzelne Boote treiben. Dieser jungen Generation steht alles offen, aber das macht sie nicht automatisch zielstrebiger, sicherer. Den eigenen Weg zu finden, ist eher noch schwieriger geworden.

Der analog gedrehte Film entwickelt eine starke Atmosphäre, nicht nur, weil er über gute Darsteller verfügt wie den sensiblen Norweger Anders Danielsen Lie. Er versteht es auch, den Gesprächen im Park, auf der Straße oder auf einer New Yorker Dachparty zu lauschen, die für flüchtige Augenblicke eine ungeheure Intensität oder gefühlte Wahrheit bekommen. Zum Beispiel wirken Lawrence und sein Freund Thommy (Josh Safdie) einmal in ihrem zwischen Philosophie und Persönlichem schwankenden Streitgespräch wie zwei Insekten, die im Flug ungelenk miteinander kollidieren. Auch dieses Bild gehört zum Sommer, wie die jungen Menschen, die in Berlin oder New York auf der Wiese liegen, die auf den Balkon treten, um den urbanen Geräuschteppich zu vernehmen oder das Abendlicht auf den Häusern zu betrachten. So handelt der ganze Film im Grunde, auch wenn er die Komplexität des Lebens im Blick behält, von einer Stimmung, die auf zauberhafte Weise leicht und melancholisch zugleich ist.

Dieses Sommergefühl

Die 30-jährige Sasha (Stéphanie Déhel) wacht eines Morgens auf, tritt auf den Balkon. In Berlin ist Sommer und sie wird die Altbauwohnung in Shorts verlassen, um zur Arbeit ins Kunstquartier Bethanien zu gehen. Dass sie Französin ist und ihr Freund Lawrence (Anders Danielsen Lie), der neben ihr im Bett lag, aus New York stammt und Schriftsteller ist, erfährt man erst nach ihrem Tod.
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