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Nina und Jan führen eine harmonische Ehe. Als sie mit ihren zwei Kindern eine entspannte Zeit im Ferienhaus in Belgien verbringen wollen, kommt es zu einem Einbruch, der alles durcheinander bringt. Ronny Trocker hat ein formal anspruchsvolles Drama um ganz menschliche Protagonisten inszeniert.

Der menschliche Faktor (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Das Versagen als „menschlicher Faktor“

Von Anfang an legt der Film verwirrende Fährten und spielt mit der Wahrnehmung des Zuschauers. Auf den ersten Blick führen Nina (Sabine Timoteo) und Jan (Mark Waschke) eine harmonische Ehe. Sie haben zwei Kinder, ein Teenager-Mädchen (Jule Hermann) und einen jüngeren Sohn (Wanja Valentin Kube), der eine Ratte als Haustier hat. Um sich von ihrer Arbeit in der eigenen Werbeagentur in Hamburg zu erholen, verbringen sie Zeit im Familiensitz in Belgien. Weltgewandt, erfolgreich und selbstzufrieden geben sie sich. Doch wird sich bald herausstellen, dass unter der Oberfläche weniger Zusammenhalt und Eintracht herrschen als gedacht.

Die ersten Löcher in die heile Fassade reißt ein Vorfall, der sich im belgischen Ferienhaus ereignet. Nina überrascht Fremde, die sich Zugang zum Haus verschafft haben, wie sie vor ihr wegrennen. Alle anderen Familienmitglieder sind nur akustische Zeugen und auch Nina kann die Eindringlinge kaum beschreiben, da sie sie nur flüchtig gesehen hat. In Human Factors greift Regisseur Ronny Trocker genau diese Unsicherheit über den Verlauf der Geschehnisse auf, um in der Familie den gleichen Zweifel wie im Zuschauer zu nähren.

Die diskontinuierliche Erzählweise hilft dabei, Verwirrung zu schaffen. Wie ein Puzzlespiel, das wieder neu zusammengesetzt werden muss, fragmentiert der Regisseur seinen Film in verschiedene Szenen, die er entgegen der ursprünglichen Chronologie anordnet. Auf diese Weise will er die Spannung halten und der Geschichte eine zusätzliche Vielschichtigkeit geben. Das formale Experiment kann aber leider nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass es dem Inhalt an genau dieser Komplexität fehlt.

Es ist das ästhetische Konzept des Films, das vor allem einen markanten Eindruck hinterlässt. Das Bild ist von der Anwendung einer sehr bewegten Handkamera dominiert. Ein wenig lässt sich davon der einmal mehr, einmal weniger angespannte Gemütszustand der Protagonisten ableiten. Als besonders gewagt fallen zwei Einstellungen auf: Bei der einen blickt der Zuschauer in das Blendlicht einer Taschenlampe, in das für ein paar Sekunden das gesamte Bild eintaucht. Etwas länger dauert die Szene, in der die Leinwand vollkommen schwarz ist und sich nur an den Rändern kleine Regungen bemerkbar machen. Ganz langsam löst sich die Kamera von der dunklen Fläche ab und gibt den Blick auf den Rücken des Protagonisten frei, den man beim Rudern beobachtet.

Die Figurenzeichnung geht nur wenig in die Tiefe. Der Familienvater hat allerdings eine interessante Dimension: Er versagt in den beiden Momenten, in denen man von ihm erwartet, dass er stattdessen seine Familie beschützen sollte. Beim ersten Mal hört er seine Frau im Ferienhaus schreien, schaut sich kurz um, rennt aber nicht hin, sondern wartet beim Tor ab und führt sein Telefongespräch fort. Als jemand einen Farbanschlag auf die Werbeagentur ausübt und der Strom ausfällt, schreit er um sich, man solle die Polizei rufen. Die Nerven bewahrt jedes Mal seine Frau. Hier glaubt man sich an Ruben Östlunds Höhere Gewalt erinnert. Human Factors weiß die bedrückende Stimmung, die deswegen aufkommt, aber nicht genug für sich auszunutzen. Den einzelnen Szenen und Einstellungen lässt der Film zu wenig Raum, dass sie ihre Wirkung entfalten könnten.

Mit Sabine Timoteo und Mark Waschke verpflichtet Trocker zwei an sich souveräne Darsteller, denen er aber, so hat man fast den Eindruck, ein künstlerisches Korsett auferlegt hat. Die Bandbreite der gespielten Emotionen ist sichtlich reduziert. Die Figur der Mutter macht eine Entwicklung durch, die zu wenig motiviert erscheint. Was bewegt sie genau, sich von ihrem Mann zu lösen? Ist es die Differenz in Bezug auf die Ausrichtung der Werbeagentur? Oder hat sie einen Charakterzug an ihm entdeckt, den sie vorher nicht kannte? In gewisser Weise liegt in dieser Lakonik aber auch eine Stärke. So könnte die mangelnde Charaktermotivierung gewollt oder durch die Erzählstruktur bedingt sein. Der Film verzichtet jedenfalls auf übermäßigen Pathos und legt sich nicht genau fest, ob er Drama, Kriminal- oder vielleicht Adoleszenzgeschichte sein will.

Bis zuletzt bleibt zudem unklar, was der Regisseur eigentlich mit dem Titel des Films genau meint. Deutet er an, dass man das ganze Leben noch so genau planen kann, es bleibt immer der menschliche Faktor, der einem einen Strich durch die Rechnung machen kann, weil er nie gänzlich kontrollierbar ist?

Der menschliche Faktor (2021)

Jan, Nina und ihre beiden Kinder sind eine moderne, kosmopolitische Familie. Das Paar leitet zusammen erfolgreich eine innovative Werbeagentur, aber als Jan ohne Rücksprache mit seiner Frau den heiklen Auftrag einer politischen Partei annimmt, überlegt Nina aus der gemeinsamen Firma aussteigen. Um zumindest ihre Ehe zu retten, beschließen sie ein gemeinsames Wochenende an der belgischen Küste zu verbringen. Die Ankunft im familieneigenen Ferienhaus wird jedoch von einem mysteriösen Hauseinbruch überschattet. Während der beängstigende Vorfall die Vier anfangs wieder zusammenschweißt, droht die unterschiedliche Wahrnehmung der Geschehnisse das fragile Familienidyll bald darauf wieder zu zerstören.

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Meinungen

wignanak-hp · 06.03.2021

Mir hat der Film gut gefallen. Gerade das Reduzierte lenkt den Blick auf das Wesentliche des Filmes, nämlich die menschlichen Unzulänglichkeiten. Zwischen den Eheleuten herrscht eher ein kühler Ton. An manchen Äußerungen vor allem des Ehemannes kann man das erkennen. Wo Vertrauen in den Menschen, der mir am nächsten stehen sollte, fehlt, lasse ich mich von äußeren Wahrnehmungen blenden, interpretiere sie nach meinem Background, vertraue nicht der Sichtweise des Anderen. So der Sohn, der dem Vater unterstellt, er sei vor der Tür stehen geblieben, bis die Einbrecher weg waren. Oder der Mann, der die Gefühle und die Wahrnehmung der Frau nicht ernst nimmt und lieber der Version Glauben schenkt, dass das alles Einbildung war. Ist ja auch einfacher so. Der Film führt uns unsere Unvermögen vor, führt vor, dass unsere Wahrnehmung mit unseren Sinnen nicht genügt, um ein so komplexes Gefüge wie Familie zusammenzuhalten. Es braucht Vertrauen. Psychologische Tiefe habe ich nicht vermisst. Durch die Handlungen wird doch klar, wie diese Menschen zueinander stehen und dass es oft nur eines einzigen Anlasses bedarf, um die Schwachstellen bloßzulegen oder schon angeknackte Beziehungen zu zerstören.