Log Line

Als 27-Jähriger reiste Thomas Hoepker Anfang der 1960er Jahre mit der Fotokamera durch das amerikanische Heartland. Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert später, fährt der berühmte Fotograf erneut quer durch die USA. Namen und Ereignisse vergisst er jetzt oft, aber nicht, wie man gute Bilder macht.

 

Dear Memories - Eine Reise mit dem Magnum-Fotografen Thomas Hoepker (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Schnappschüsse aus dem Heartland

Es falle ihm schwer, ganze Sätze zu formulieren, sagt Thomas Hoepker in einem Motel in Texas. „Aber ich möchte ein gutes Bild haben“ – eines, über das man schmunzeln könne, fügt er hinzu: „Ich nehme nicht alles so furchtbar ernst.“ Im Alter von 84 Jahren befindet sich der renommierte Fotograf im Herbst 2020 auf einer Reise durch die USA, von der Ost- zur Westküste. Er fährt, mit seiner Frau Christine Kruchen am Steuer des Wohnmobils, noch einmal durch Gegenden, die er 1963 mit dem Journalisten Rolf Winter für seine Heartland-Bildreportage im Auftrag einer deutschen Zeitschrift inspiziert hatte. Vor einem Graffito in Knoxville, das die Sängerin Dolly Parton zeigt, fotografiert Hoepker nun einen Mann mit seiner kleinen Tochter, als er einen Handstand macht.

Thomas Hoepker hat Alzheimer. Er vergisst viel, die Namen von Verwandten und Freunden sagen ihm oft nichts mehr. Aber seinen Humor hat er behalten. Die eigene Vergesslichkeit kommentiert er gelassen. „Es muss ja auch nicht immer alles bleiben.“ Fotos aber würden bleiben, meint er. So hat er seine Arbeit verstanden, flüchtige Momente abzulichten, um ihren Ausdruck über die Zeit zu retten. Das dokumentarische Roadmovie des deutsch-chilenischen Regisseurs Nahuel Lopez (El Viaje, Daniel Hope – Der Klang des Lebens) verknüpft auf spannende und ästhetisch ansprechende Weise drei thematische Stränge. Erstens geht es um die Impressionen aus dem heutigen Heartland, zweitens um Hoepkers innere Reise. Und drittens flicht Lopez reichlich Beispiele aus Hoepkers fotografischem Schaffen ein, das auf professioneller Ebene schon Ende der 1950er Jahre begann. Dazu sind unter anderem Ausschnitte aus einem früheren Interview zu hören und mehrere aus dem Off eingesprochene Textabschnitte aus Hoepkers Essays, in denen er seine Erfahrungen reflektierte. 

So entsteht eine dokumentarische Hommage, die in mancher Hinsicht an Pepe Danquarts Vor mir der Süden aus dem Jahr 2021 erinnert. Danquart fuhr die Strecke entlang der italienischen Küsten ab, die Pier Paolo Pasolini 1959 als Reporter im Auftrag einer Zeitschrift erkundet hatte. Pasolini hatte damals die neue Kultur des Urlaubens am Meer inspiziert und seine Eindrücke – die Fotos machte ein anderer -  über eine Gesellschaft im Umbruch in schriftstellerischer Qualität und Tiefe notiert. Beide Filme würdigen nicht nur die Künstler selbst, sondern auch die vergangene Ära der großen gedruckten Bildreportagen. In ihnen spiegelten sich Aufbruchstimmung, Mobilität und die Neugier einer Leserschaft, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken wollte. Lopez zitiert aus einem Text Hoepkers, in dem sich der Fotograf an die „europäische Arroganz“ erinnert, mit der er als 27-Jähriger die Reise durch das amerikanische Heartland antrat. „Jede neue Kleinstadt sah aus wie all die anderen.“ Und doch fand er so spannende Motive entlang der Straßen, beim Betrachten der Menschen, dass diese Fotoserie seinen internationalen Ruf begründete. 

Hoepker hat wiederholt betont, dass er sich nicht als Künstler, sondern als journalistischer Fotograf versteht. 1976 zog er aus Deutschland nach New York. Als erster deutscher Fotograf wurde er Vollmitglied der berühmten Agentur Magnum Photos und stand ihr 2003-2007 sogar als Präsident vor. Seiner Vorliebe, spontan auf Menschen zuzugehen und sie zu fotografieren, bevor sie sich steif in Szene setzen können, bleibt Hoepker auch im Jahr 2020 treu. Auf der Reise entstehen Schnappschüsse, flankiert von kurzen Gesprächen am Gartenzaun, die FFP2-Maske ist entweder aufgesetzt oder griffbereit. Autokorsos feiern im Osten den Sieg Joe Bidens bei der Präsidentenwahl. Im Landesinneren rücken vielerorts Armut, verlassene Häuser ins Visier des Fotografen und des Filmregisseurs. Die Kapelle in Las Vegas, in der er seine Frau heiratete, erkennt Hoepker nicht wieder. 

Am berührendsten ist dieses Roadmovie, wenn es Hoepkers innere Reise beobachtet und die Gespräche des Ehepaars. Christine Kruchen, selbst Dokumentarfilmerin, versucht ihren Mann überall für neue Motive zu begeistern und zugleich seine Erinnerungen zu wecken. Hoepker hingegen scheint sich ohne Trauer zu verabschieden vom Lärm der Welt, dem Ehrgeiz, am Puls der Zeit zu sein. Sein Blick kann noch wach und neugierig sein, aber die Außenwelt vermag ihn nicht lange zu fesseln. Seine Arbeiten über New York, Muhammad Ali, aus Burma/Myanmar, der DDR, den USA verlieren ihre Schärfe nicht, wie diese sensible Annäherung an einen alten Fotografen und sein Werk zeigt.

Dear Memories - Eine Reise mit dem Magnum-Fotografen Thomas Hoepker (2022)

Nach einer Alzheimer-Diagnose erfüllt sich der legendäre deutsche MAGNUM-Fotograf Thomas Hoepke einen letzten großen Traum: Einen Roadtrip durch seine Wahlheimat, die USA, gemeinsam mit seiner Kamera und seiner geliebten Ehefrau Christine.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Mareike Schlöter · 20.09.2022

Der Film ist zauberhaft schön und zugleich tieftraurig. Lange hat mich kein Film so berührt.

Frank · 08.09.2022

Ein wundervoller und anrührender Film über eine tollen Menschen und seiner Geschichte. Tieftraurig auf der einen Seite und mit einem zauberhaften Humor auf der anderen Seite. Ich bin tief beeindruckt wie man seine Verdienste und seine Vergänglichkeit in diesem Film verarbeitet hat. Danke dafür