Das Mädchen Wadjda (2012)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Der verbotene Traum vom eigenen Fahrrad

Kinos sind im streng islamischen Saudi-Arabien verboten. Ausgerechnet einer Frau, Haifaa Al Mansour, ist es mit der Unterstützung der deutschen Produzenten Roman Paul und Gerhard Meixner (Waltz with Bashir) dennoch gelungen, in Riad den ersten saudi-arabischen Spielfilm zu drehen.

Wie auch Al Mansour lässt sich ihre Protagonistin Wadjda (Waad Mohammed) von den strengen Regeln ihrer Kultur nicht einschüchtern und verfolgt mutig ihren Traum vom eigenen Fahrrad. Als Mädchen ist ihr das Fahrradfahren eigentlich untersagt und so stößt ihr Wunsch auch bei ihrer Mutter (Reem Abdullah) auf wenig Verständnis. Doch Wadjda lässt sich nicht unterkriegen und beschließt an einem Koranwettbewerb teilzunehmen, um sich mit der Gewinnsumme ihren Traum selbst zu erfüllen und endlich ein Wettrennen gegen den Nachbarsjungen zu fahren.

Schon das Casting für Wadjda gestaltete sich schwierig, da nur wenige Eltern bereit waren, ihre Töchter in einem Film auftreten zu lassen. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen tausende Nachwuchsschauspielerinnen für eine derartige Rolle vorsprechen, konnte das Team um Haifaa Al Mansour in Saudi-Arabien nur aus etwa 50 Bewerberinnen für die Rolle der Wadjda wählen. Diese besondere Ausgangssituation ist dem Film jedoch nicht anzumerken. Es ist insbesondere der überzeugenden Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen zu verdanken, dass Wadjda dem Zuschauer nicht nur Einblicke in eine fremde Welt gewährt, sondern ihn durch die Geschichte seiner Hauptfigur auch zu rühren vermag.

Für viele wird das Leben von Wadjda und ihrer Mutter schier unbegreiflich sein. Vollkommen entmündigt von ihrer Religion und Gesellschaft, haben beide kaum Handlungsoptionen. Während die Mutter darum bangt, bald durch eine Zweitfrau ersetzt zu werden, eckt Wadjda mit ihrem Freiheitsdrang in der streng organisierten Mädchenschule immer wieder an. Ausgerechnet das intensive Koranstudium scheint die Lösung zu sein. Damit macht sich das freche Mädchen das System, das sie unterdrückt, zu Nutze, um die ihr gesetzten Grenzen zu überschreiten. Haifaa Al Mansour präsentiert mit ihren beiden Hauptfiguren zwei Generationen von Frauen, die sich auf unterschiedliche Weise mit ihrer Rolle in der islamisch geprägten Gesellschaft auseinandersetzen. Wadjdas Mutter ist hin- und hergerissen zwischen dem empfundenen Unrecht und einer ihr wohl bekannten Tradition. Auf der einen Seite verspricht sie ihrer Tochter, sie nicht wie üblich gegen ihren Willen in jungen Jahren zu verheiraten, aber auf der anderen Seite verurteilt sie Wadjdas Tante, die unverschleiert mit männlichen Kollegen in einem Krankenhaus arbeitet. Wadjda ist in ihrer kindlichen Naivität einen Schritt weiter. Sie sieht keinen Grund, warum es ihr verboten sein sollte, Fahrrad zu fahren. Und sie hegt auch keine moralischen Bedenken, wenn sie Korantreue vortäuscht, um sich diesen Traum zu erfüllen.

Neben den existenziellen Problemen ihrer Mutter, die beispielsweise auf einen männlichen Chauffeur angewiesen ist, um zur Arbeit zu gelangen und auf Grund der potentiellen Zweitfrau unter großem Liebeskummer leidet, gestalten sich Wadjdas Alltagshürden vergleichsweise lapidar. Doch vermutlich ist es gerade diesen eher trivialen Problemen zuzuschreiben, dass Haifaa Al Mansour auch in ihrem Heimatland viel Unterstützung für ihr mutiges Filmprojekt gefunden hat. Auf den ersten Blick scheint die saudi-arabische Regisseurin nur die Geschichte eines kleinen Mädchens zu erzählen, das von einem besonderen Spielzeug träumt. Im Grunde aber handelt es sich um eine ergreifende Schilderung von Emanzipation, wie wir sie selten im Kino erleben durften. Ohne mit dem Finger auf „die Männer“ oder „die Religion“ zu zeigen, bringt Al Mansour ihrem internationalen Publikum die Lebensrealität saudi-arabischer Frauen und Mädchen näher. Dabei erschafft sie mit Wadjda eine starke Identifikationsfigur, die nicht nur islamischen Mädchen Mut machen kann, sondern Frauen jeden Alters überall auf der Welt motiviert, sich ihre Ziele nicht ausreden zu lassen, sondern allen Widerständen zum Trotz für die eigenen Träume zu kämpfen.

Wadjda ist ein Film über und für Frauen, in dem Männer auffällig abwesend sind. Die Kultur der Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien bewirkt, dass die weiblichen Hauptfiguren sich hauptsächlich unter ihresgleichen aufhalten. Dabei erscheinen die Innenräume – die heimische Wohnung, die von hohen Mauern umgebene Schule – wie Gefängnisse. Doch auch auf der Straße — ganzkörperverhüllt, mit schwarzen Schleiern vor dem Gesicht – wirken die Frauen alles andere als frei. Das Gefühl permanenter Kontrolle und Begrenzung ist auch für den Zuschauer deutlich wahrnehmbar.

Trotz der Darstellung unübersehbarer Missstände besticht Haifaa Al Mansours Film vor allem dadurch, dass er keinen Vorwurf gegen die Unterdrücker formuliert, sondern sich stattdessen auf die Möglichkeiten der Unterdrückten konzentriert. So gelingt es der Regisseurin, einen ernsten, aber nicht schwermütigen Film zu erschaffen, der generations-, religions- und kulturübergreifend begeistern kann.
 

Das Mädchen Wadjda (2012)

Kinos sind im streng islamischen Saudi-Arabien verboten. Ausgerechnet einer Frau, Haifaa Al Mansour, ist es mit der Unterstützung der deutschen Produzenten Roman Paul und Gerhard Meixner („Waltz with Bashir“) dennoch gelungen, in Riad den ersten saudi-arabischen Spielfilm zu drehen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Hypatia · 18.10.2013

Nach den Clips und Trailern zu urteilen, offenbar ein guter Film - auch wenn er für mein Empfinden allzu versöhnlich mit einer furchtbar repressiven Kultur umgeht. Dass Mädchen und Frauen im 21. Jahrhundert noch unter solchen Bedingungen struktureller Gewalt leben müssen ist unerträglich!

Cappuccino · 04.09.2013

Habe den Film vorab bereits gesehen und kann nur eins sagen: SEHENSWERT!!!
Werde ihn sicherlich auch mit meinen Schülern besuchen, die nächste Exkursion kann kommen...