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Maryam Touzani zeichnet in „Das Blau des Kaftans“ das sinnliche Bild eines Liebesdreiecks und des Handwerks der Schneiderei.

Das Blau des Kaftans (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Im Verborgenen

Das Melodram ist ein Kino der Gefühle. Und Gefühle im Kino, so scheint es die Leinwand zu fordern, müssen groß und exzessiv sein. Dies kennen wir vor allem aus Hollywood, aber etwa auch aus dem indischen Unterhaltungsfilm, aus den Werken des Spaniers Pedro Almodóvar oder aus türkischen Mainstream-Produktionen wie „Senden Bana Kalan – Das, was mir von dir blieb“ (2015). Emotional aufgeladene Wetterlagen, Zeitlupeneinstellungen, wuchtige Musik, ausladende Gesten, Tränen und Eruptionen sollen die Intensität der Liebe und des Leids zum Ausdruck bringen.

Doch es geht natürlich auch anders – leiser und subtiler. In dieser Art erzählt die marokkanische Regisseurin Maryam Touzani in Das Blau des Kaftans von den Empfindungen ihrer drei Hauptfiguren. Nicht nur das Setting – eine traditionelle Schneiderei in der Medina von Salé – ist reduziert; auch die Gefühlsäußerungen des Trios fallen überwiegend zurückhaltend aus. Dies nimmt dem Ganzen allerdings nichts von seiner Größe. Die unterdrückten Emotionen werden nicht zwangsläufig ausgesprochen, sie werden nicht ausgelebt und uns als Publikum daher nicht explizit gezeigt – aber sie sind vorhanden, im Verborgenen.

Im Zentrum der Geschichte stehen Halim (Saleh Bakri) und Mina (Lubna Azabal). Die beiden sind seit vielen Jahren verheiratet und betreiben zusammen ein Geschäft für Kaftane. Halim benutzt keine Nähmaschine; er liebt die präzise Arbeit mit Schere, Nadel und Faden. Die Kundschaft, die zu dem Paar kommt, ist äußerst anspruchsvoll; es wird immer schwieriger, das Pensum zu erfüllen. Der Lehrling Youssef (Ayoub Missioui) soll Halim und Mina unterstützen – und tatsächlich erweist er sich als sehr talentiert und ambitioniert. 

Allmählich merken wir, dass Halim und Mina keine gewöhnliche Ehe führen. Dass sie einander aufrichtig lieben, ist spürbar. Doch ebenso wird deutlich, dass sich Halim in erster Linie zu Männern hingezogen fühlt – und dass Mina sich dessen bewusst ist. Marokko zählt zu den Ländern, in denen Homosexualität noch immer als Straftat behandelt wird. Halim kann, wie alle queere Menschen in dem Staat im Nordwesten Afrikas, seinem Begehren nur heimlich nachgehen. Touzani und ihre Kamerafrau Virginie Surdej, mit der sie auch schon ihr Langfilmdebüt Adam (2019) gedreht hat, finden behutsame Bilder, um diese Leidenschaft, die unsichtbar bleiben muss, einzufangen.

Das Blau des Kaftans lebt von der Blickdramaturgie und von seiner genauen Beobachtung. Dies beginnt schon bei den Detailaufnahmen, in denen Hände mit feinen Stoffen in Berührung kommen. In warmen Farben wird die Schneiderei des Ehepaares präsentiert – als Ort, an dem sich die zentralen Figuren einen Safe Space geschaffen haben: Hier gelten ihre eigenen Regeln, hier fühlen sie sich sicher und wohl. Und, nicht zuletzt, wird hier eine Form der Liebe gelebt, die den auferlegten Restriktionen trotzt. Damit ist zum einen gewiss die aufkeimende Liebe zwischen Halim und Youssef gemeint, zum anderen aber auch die zwischen Halim und Mina.

Es wäre leicht, dieses Trio als durch und durch tragisch zu zeichnen – zumal eine schwere Krankheit das Glück der Figuren bald noch stärker belastet. Doch auch dank des Schauspiels, insbesondere dank der überzeugenden Chemie zwischen Saleh Bakri und Lubna Azabal, ist da stets mehr als Tragik, mehr als ein harter Kampf. Wir sehen Menschen, die lieben. Ihr Gegenüber, ihre Arbeit und das Material, das sie hierfür verwenden. 

Das Blau des Kaftans (2022)

Halim und Mina betreiben eine traditionelle Schneiderei in der Medina von Salé, einer der usrprünglichsten in Marokko.
Um den Anforderungen der anspruchsvollen Kundschaft gerecht zu werden, heuern sie einen talentierten jungen Mann namens Youssef als Lehrling an.Mit der Zeit jedoch bemerkt Mina, wie sehr die Anwesenheit Youssefs ihren Mann berührt und er sich zu ihm hingezogen zu fühlen scheint… (Quelle: Arsenal Filmverleih)

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