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Copenhagen Cowboy” ist Selbstermächtigungs- und Rachedrama, Mysterythriller und ein subversives Märchen, in dem die außerweltlichen Fronten Gut und Böse einander gegenüberstehen.

Copenhagen Cowboy (TV-Serie, 2022)

Eine Filmkritik von Jens Balkenborg

Spektakel der Oberflächen

Es ist nachvollziehbar, dass viele seit „Only God Forgives” bei Nicolas Winding Refn ausgestiegen sind. Gefällig waren seine Filme noch nie, aber spätestens mit besagtem in Bangkok spielenden, narrativ völlig trivialen Rachedrama spitzte der Däne seinen Neon-Noir-Stil zu, von dem bereits viel in seinem in Cannes ausgezeichneten Meisterwerk „Drive” angelegt war: Schweigsame, ambivalente Typen schleichen auf der Suche nach Vergeltung durch neonlicht- und blutgetränkte Bildwelten. Refn kultiviert seine Marke NWR entgegen cineastischer Konventionen und zementiert konsequent einen Stil, der das Kino als subversiv-viszerales Ereignis feiert und in dem die Form den Inhalt bedingt, nicht umgekehrt. Eine nicht unwesentliche Rolle hierbei spielt der britische Musiker Cliff Martinez, der vielen von Refns Werken mit seinen Elektro- und Synthiepop-Kompositionen einen Signature-Sound gegeben hat. 

Es wundert also kein bisschen, dass Nicolas Winding Refn das Publikum spaltet: Ist das exzentrische Filmkunst oder nur noch künstlich aufgeblasener Nonsens? Auch Refns erste Serie, der vor schaurig-schönen Bildern nur so berstende 13-Stunden-Monolith Too Old To Die Young wandelte selbstbewusst auf dieser Grenze: ein audiovisueller Zeitlupenrausch, der weder narrativ noch psychologisch funktioniert, sondern als formaler Exzess. Dass die Serie bei der Kritik durchgefallen ist, allerdings fast ausschließlich von Kritikern besprochen wurde, die nur die in Cannes gezeigten Folgen vier und fünf gesehen haben, spricht Bände und wird diesem Werk nicht gerecht.

Wie der von Amazon produzierte Vorgänger ist auch Refns neue, sechsteilige Netflix-Serie Copenhagen Cowboy ein Kontrapunkt zu allem, was sonst auf den regelrecht überlaufenden Serienmarkt gespült wird: ein gewalttätiges, ruhiges, ödipal angehauchtes, hochstilisiertes, wunderbar fotografiertes und mit wummernden Elektrosounds unterfüttertes Spektakel der Oberflächen und erneut ein Diskurs über Fetisch und (pervertierte) Schaulust; ein formalästhetisches Freidrehen, ganz buchstäblich, wenn die Kamera zwischendurch immer wieder ihre 360-Grad-Kreise vollzieht.  

Wechselte in »Too Old To Die Young« der zunächst toxisch männliche Blick über zehn Folgen dahin, dass eigentlich Frauen die Zügel in der Hand haben, folgt Copenhagen Cowboy mit Miu (Angela Bundalovic) nun gleich einer Heldin. Einer, das gleich vorweg, die eine weibliche Version von Refns Archetypen ist: schweigsam und undurchsichtig. 

Wir folgen der androgynen Frau bei einem refnschen Stationendrama durch die Unterwelt. „Schaut mal, was ich mitgebracht habe, seht sie euch an”, schwärmt gleich zu Beginn die Mutter eines Bordellbesitzers, als sie Miu den anderen Frauen vorstellt. Miu ist nicht als Prostituierte dort, sondern soll der Mutter als Glücksbringer bei einer späten Schwangerschaft zur Seite stehen. Einmal auch buchstäblich, als sie beim Akt mit ihrem Liebhaber anwesend sein muss. Dass letzterer in einer anderen Szene grunzt und quiekt, als er verprügelt wird, weil er eine Prostituierte vergewaltigt hat, ist ein früher Hinweis auf die surreale Überhöhung von Copenhagen Cowboy. Die Serie ist bevölkert von tatsächlichen grunzenden Schweinen und auch die meisten Männer sind Schweine. 

Miu freundet sich nach der Flucht aus dem Bordell im chinesischen Restaurant Drachenpalast mit dessen Chefin Mutter Hulda (Li Ii Zhang) an, die im Zwangsdienst des lokalen Gangsterbosses Chiang (Jason Hendil-Forssell) steht. Über Mutter Hulda gerät sie an eine Aristokratenfamilie, die auf einem pompösen Anwesen residiert und sehr penisfixiert ist, denn der nach Schlagersänger aussehende Papa prahlt mit der Macht seines Gemächts. „Seine Fortpflanzungsorgane sind weltberühmt”, schwärmt auch seine Frau. Sohn Nicklas (Andreas Lykke Jørgensen) erwürgt gleich zu Beginn der Serie eine Prostituierte im Schweinestall und wird im Verlauf der Ereignisse eine zentrale Rolle spielen.

Jedes Detail, jedes Interieur ist wohlweislich ausgewählt worden und neonfarben ausgeleuchtet: die Gemälde an den Wänden, darunter passenderweise eine Anspielung auf Sodom und Gomorrha, die Blümchentapete, der rote Teppich, die wohl behütete Messersammlung. Auch Körper, männliche wie weibliche, inszeniert Refn wieder mit akribischer Sorgfalt: Mius Gesicht mit den großen, undurchsichtigen Augen, ihren blauen Trainingsanzug mit dem Motiv eines brennenden Schwertes auf der Brust, der als Signature-Garderobe der Skorpion-Jacke aus Drive in nichts nachsteht, die Prostituierten in dem verspiegelten Bordell, die Muskeln der Männer, die sich im Keller des Drachenpalastes in Fight-Club-Manier prügeln. Zugleich scheint sich mit Copenhagen Cowboy, die Refn erstmals seit Jahren wieder in seiner Heimat Dänemark drehte, ein Kreis zu schließen: wie in seinen frühen Filmen Pusher oder Bleeder wackelt zwischendurch die Handkamera durch die Stadt, wenn Miu später Drogendeals unternimmt.

Refn variiert in der alles andere als leicht zu erschließenden Serie konsequent seine Themen. Was genau ist Miu, die je nach Umfeld als Dämon oder als Glücksbringer betrachtet wird? Sie könnte, das deutet sich in der immer stärker werdenden Phantastik der Serie an, vieles sein: ein magisches Wesen, gar eine Art Vampir? Auf einem klassischen Rachefeldzug ist sie nicht, aber dennoch pflastern Leichen ihren Weg. Copenhagen Cowboy ist Selbstermächtigungs- und Rachedrama, Mysterythriller und – Verweise zum Märchenhaften, die schon »Drive« inspirierten, finden sich auch hier, namentlich etwa in Mutter Hulda – ein subversives Märchen, in dem die außerweltlichen Fronten Gut und Böse einander gegenüberstehen.

Vielleicht ist die Metapher des Bildschöpfers eine passende, um sich auf Refns Werke einzulassen. Der Däne ist ein kinematografischer Maler, der mit Neonlicht so schöne wie irritierende Räume malt, in die sich eintauchen lässt; vieldeutige Räume voller Details und Zitate, voller Referenzen auf gesellschaftliche und kunstgeschichtliche Diskurse, auf Popkultur, Spiritualität und Religion. Das Augenzwinkern darf nicht fehlen: Refn ist in Copenhagen Cowboy in einem Cameo als einer von drei koksenden Designern zu sehen. Wer sich auf die orgiastischen Exzesse des Dänen einlässt, wird, so sperrig und verstörend sie zuweilen auch sein mögen, etwas darin entdecken.

Copenhagen Cowboy (TV-Serie, 2022)

Copenhagen Cowboy” von Nicolas Winding Refn dreht sich um eine naive mysteriöse Frau namens Miu, die sich aus einem Leben der Knechtschaft befreit, um sich an Kopenhagens krimineller Unterwelt zu rächen.

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