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In „Almamula“ verbindet Juan Sebastián Torales finstere Legenden in der argentinischen Provinz mit dem sexuellen Erwachen seiner queeren Hauptfigur.

Almamula (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Sex/Monster

Spätestens seit John Carpenters „Halloween“ (1978), aber auch schon vereinzelt in früheren Werken wie „Der Tod hat schwarze Krallen“ (1957), sind die Sexualität junger Menschen und Horror eng miteinander verknüpft. Meist wird dieses Zusammenspiel als konservative Haltung interpretiert: Sexuell aktive Jugendliche kommen zu Tode und werden somit für ihre „Sünden“ bestraft. Aktuellere Genrebeiträge wie „It Follows“ (2014) geben dieser Dramaturgie wiederum einen spannenden Twist.

Auch der argentinische Drehbuchautor und Regisseur Juan Sebastián Torales kombiniert in seinem Langfilmdebüt Almamula die Erlebnisse des Erwachsenwerdens seines adoleszenten Helden Nino (Nicolás Díaz) mit einer schrecklich anmutenden Bedrohung, findet jedoch ebenso einen originellen Weg, um nicht einfach nur dem herkömmlichen Muster zu folgen. Zu Beginn ist der Protagonist einer ganz realen Gefahr – dem gewaltsamen, homophoben Mobbing durch Gleichaltrige – ausgesetzt. „Hier bin ich eine Schande“, sagt Nino im Beichtstuhl. In typischer Täter-Opfer-Umkehr werfen die Eltern aus der Nachbarschaft Ninos Mutter Elsa (María Soldi) vor, ihr offenbar schwuler Sohn übe einen schlechten Einfluss auf die anderen Jungs aus.

Die Familie verlässt daher vorerst ihr Zuhause – weniger, um Nino vor den brutalen Angriffen zu schützen, sondern vor allem um der angeblichen Schmach zu entgehen –, und begibt sich aufs Land. Auch Ninos ältere Schwester Natalia (Martina Grimaldi) übernimmt die Opferschelte und gibt ihrem drangsalierten Bruder die Schuld am vorübergehenden Umzug. Sie erhält in der neuen Umgebung indes rasch Anschluss an eine Clique, die direkt einem Teen-Slasher entsprungen sein könnte.

Der Film umfasst drei miteinander verwobene Plotstränge. Während Nino zunächst einsam bleibt und Natalia mit ihren amüsierwilligen neuen Freund:innen abhängt, versucht Elsa, sich in die Gemeinde einzugliedern. Der Vater Ernesto (Cali Coronel) ist eher eine Randfigur, die zum Rest der Familie ein ziemlich distanziertes Verhältnis hat. Was die Erfahrungen der einzelnen Mitglieder vereint, ist die strenge Religiosität der Dorfbewohner:innen und das mal mehr, mal weniger offensichtliche körperliche Verlangen, das sich Bahn zu brechen versucht.

Eine düstere Legende um das titelgebende Wesen ist im Umlauf: Es soll sich dabei um eine Frau handeln, die einst aufgrund ihrer Lüsternheit zu einem Monster geworden sei und nun im Wald hause, wo sie all jene zu sich hole, die sich ebenfalls der ausschweifenden Sexualität hingeben. So wird dann etwa das Verschwinden eines Jungen auf diese mystische Weise erklärt. Torales arbeitet mit klassischen Gruselmotiven – dem Wald und einer Spukgestalt, die sich junge Leute schnappt –, um von Unterdrückung und Bigotterie zu erzählen. Der Filmemacher hat seine eigene Heimat, das im Nordwesten Argentiniens gelegene Santiago del Estero, als Schauplatz gewählt; seine Geschichte schwankt zwischen Albtraum und nicht minder beängstigender Wirklichkeit. Die vielen Nahaufnahmen verleihen dem Werk etwas sehr Intimes.

Dass dem Sexuellen etwas Monströses, das es zu meiden gelte, gegeben wird, enttarnt der Film in origineller Form als perfide Strategie. Als queere Figur, die von ihrem Umfeld stigmatisiert wird, empfindet Nino das im Verborgenen lauernde „Monster“ alsbald nicht mehr als Gefahr, sondern als verwandte Seele. Wenn verblendete Menschen dazu raten, einem Ort fernzubleiben, ist dieser Ort höchstwahrscheinlich nicht die von ihnen herbeiphantasierte Hölle, sondern der einzig sichere Raum, der frei von schikanierenden Dogmen und Restriktionen ist.

Almamula (2023)

Im abgelegenen Santiago del Estero im Norden Argentiniens kämpft der junge Nino mit seiner Identität und den homophoben Einstellungen in seiner Nachbarschaft. Auf der Suche nach einer sichereren Umgebung beschließen seine Eltern, die Familie vorübergehend aufs Land zu bringen. Dort, weit weg vom städtischen Trubel, findet sich Nino in den Tiefen eines geheimnisvollen Waldes wieder, der der örtlichen Legende nach von der Almamula heimgesucht wird, einer schrecklichen Kreatur, die Menschen bestraft, die sich fleischlichen Sünden hingeben.

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