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In „A Traveler’s Needs“ von Hong Sang-soo spielt Isabelle Huppert eine erstaunlich aufrichtige Halunkin mit Stil. Viel getrunken wird auch.

A Traveler’s Needs (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Iris, die Ausgebuffte

Da sind wir also wieder, im Kinouniversum des südkoreanischen Autorenfilmers Hong Sang-soo. Und natürlich ist auch in seinem neuen Werk „A Traveler’s Needs“ etliches wie gewohnt. So gibt es selbstverständlich diverse längere Dialogpassagen, die nicht im gängigen Schuss-Gegenschuss-Prinzip, sondern zumeist in einer Einstellung aufgenommen werden – mit ein paar treffend eingesetzten Zooms. Es wird viel (manche mögen gar meinen: zu viel) Alkohol konsumiert, in diesem Fall vorrangig das milchig-weiße, leicht säuerlich-süße Traditionsgetränk Makgeolli. Und die Stimmung innerhalb der erfassten Gespräche droht zuweilen recht abrupt zu kippen – woraus die Filme von Hong Sang-soo stets einen Großteil ihrer Spannung ziehen.

Aber hoppla – dieses Mal ist doch etwas anders! Denn zwischen einigen vertrauten Gesichtern aus dem bisherigen Œuvre des Regisseurs, etwa Kwon Hae-Hyo und Lee Hye-young, ist da auch Isabelle Huppert, der französische Arthouse-Star. Sie verkörpert Iris. Eine Frau, die allen ein völliges Rätsel ist. „Wo ist sie denn hin?“, wird an einer Stelle verblüfft gefragt. Tja, das wissen wir nicht. Kurze Zeit später taucht sie indes wieder auf – und sorgt, egal wo, für reichlich Irritation.

In erster Linie ist A Traveler’s Needs ein Film, der Isabelle Huppert dabei zuschaut, wie sie Dinge tut. Und das ist ziemlich toll. Iris stellt komische Fragen. Iris schreibt seltsame Sätze auf Karteikarten. Iris isst – und trinkt (sehr wichtig!). Iris raucht, auf Balkonen und auf Dachterrassen. Iris läuft barfuß durch einen Bach. Iris legt sich auf einen Felsen. Bei diesen Aktivitäten trägt sie ein buntes Kleid und eine grüne Strickjacke; draußen zudem noch einen schicken Sonnenhut. Wenn sie sich bettfertig macht, schlüpft sie in etwas Bequemes.

Ja, wer ist Iris denn nun? Möglicherweise eine gewitzte Schlawinerin. Sie bietet eine Übungsmethode an, um Französisch zu lernen. Ob sie eine Ausbildung habe, wird sie gefragt. Haha, nein – keinerlei sprachliche Ausbildung, antwortet Iris fröhlich. Sie ist ehrlich, in gewisser Weise. Und alle, die dieser Offenheit ausgesetzt sind, wissen dann auch erst mal nicht so richtig weiter. Was wiederum direkt zu besagtem Alkoholkonsum führt. Iris’ Methode sieht es vor, ihr Gegenüber mit Fragen zu konfrontieren, die emotional berühren sollen. Wer will schon touristische Floskeln pauken, um sinnlosen Smalltalk zu führen? Hier geht’s um Gefühle! Was habe sie im Inneren empfunden, hakt Iris bei ihrer ersten (und dann auch bei ihrer zweiten) Schülerin unermüdlich nach, wenn ihr deren Larifari-Antworten auf ihre „Lehrfrage“ nicht gefallen.

Am Ende des Tages hat Iris ein hübsches Sümmchen eingenommen, nachdem sie ihre beiden Schülerinnen mit den bizarr vollgekritzelten Kärtchen als „Ertrag“ ihrer Unterrichtsstunden zurückgelassen hat. Später erfahren wir noch, dass Iris bei dem jungen Dichter Inguk wohnt – wunderbar verkörpert von Ha Seong-guk, der ebenfalls ein alter Bekannter im Kosmos von Hong Sang-soo ist. Dem freundlichen Inguk tritt Iris (wortwörtlich) auf die Füße, doch er scheint sie zu lieben. Eines Tages habe sie auf einer Bank im Park gesessen und sehr schlecht Blockflöte gespielt. Klar, da habe er sie mit zu sich nach Hause nehmen müssen. Nun liegen überall ihre Sachen in der Wohnung herum – und ausgerechnet jetzt bekommt Inguk unerwarteten mütterlichen Besuch. Oje. Ein Schlamassel.

A Traveler’s Needs hat ein paar zähe Momente. Wobei das gewiss auch zu Hong Sang-soos Stil dazugehört. Unterhaltungen über Alltäglich-Banales. Peinliche Schweigepausen. Unbeholfene Gesten. Die englische Sprache, in der Iris mit ihren südkoreanischen Dialogpartner:innen kommuniziert und die für keine:n der Beteiligten die Muttersprache ist, verleiht der Gesprächsdynamik einen besonderen Reiz.

Gegen Ende übersetzt Iris ein südkoreanisches Gedicht, das ihr auf Englisch vorliegt, ins Französische. „Mein Weg ist immer ein neuer Weg“, ist wiederum in den deutschen Untertiteln zu lesen. Wer weiß, welchen Weg Iris am nächsten Tag einschlagen wird. Wo kam sie her, wo geht sie hin? Eventuell müssen wir das gar nicht so genau wissen. Es macht jedenfalls enorm viel Spaß, sie für eine kurze Strecke zu begleiten. Schon möglich, dass sie alle ein wenig an der Nase herumführt. Aber ganz ehrlich: Go for it, Iris!

Gesehen auf der Berlinale 2024.

A Traveler’s Needs (2024)

Niemand weiß, woher die Frau kommt, die auf einer Bank im Park sitzt und fleißig auf einer Kinderblockflöte spielt. Sie sagt, sie komme aus Frankreich. Da sie weder über Geld noch über eine andere Möglichkeit verfügt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wird ihr geraten, Französisch zu unterrichten. Zwei koreanische Frauen werden ihre Schülerinnen. Die Frau liebt es, barfuß zu laufen und sich auf Felsen zu legen. Sie bemüht sich, die Ereignisse im Leben ohne große Worte hinzunehmen und es so sachbezogen wie möglich zu leben. Aber das Leben bleibt so hart, wie es immer war. Um sich zu trösten, trinkt sie jeden Tag Makgeolli, ein traditionelles alkoholisches Getränk. (Quelle: Berlinale)

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