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In „7 Minuten“ befasst sich Ricky Mastro mit der Trauerarbeit eines Vaters und dem queeren Kosmos von Toulouse. Getragen wird der Film von Hauptdarsteller Antoine Herbez.

7 Minuten (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Alles über meinen Sohn

Welche Bilder lassen sich für Verlust und Trauer finden? Wie lässt sich die Lücke darstellen, die eine verstorbene Person hinterlässt? In der Geschichte des Kinos gab es schon zahlreiche Versuche, Antworten auf diese Frage zu liefern. Mal im Gewand eines Psychothrillers („Wenn die Gondeln Trauer tragen“, 1973), mal als Melodram („Eine ganz normale Familie“, 1980), mal als Musical („Chanson der Liebe“, 2007) und mal als Horrorfilm („Hereditary“, 2018). Nach diversen Kurzfilmen widmet sich auch der Langfilmdebütant Ricky Mastro in „7 Minuten“ diesem diffizilen Sujet.

In mancher Hinsicht lässt sein Werk an Pedro Almodóvars Alles über meine Mutter (1999) denken. War es dort eine Mutter, die den Tod ihres Sohnes verarbeiten musste und dabei zum Teil einer queeren Welt wurde, ist es in 7 Minuten ein trauernder Vater, der im Zentrum steht. Jean (Antoine Herbez) ist ein 55-jähriger Polizist aus Toulouse und muss erfahren, dass sein Sohn Maxime (Valentin Malguy) und dessen Freund Kevin (Paul Arvenne) sich in einem Hotelzimmer erhängt haben. Beide hatten, wie die Obduktion ergibt, GHB (auch Liquid Ecstasy genannt) zu sich genommen – doch Maxime lebte nach Kevins Tod angeblich noch sieben Minuten länger.

Als Zuschauer_innen wissen wir von Anfang an mehr als Jean, da wir in der Auftaktsequenz mit den beiden jungen Männern im Hotelzimmer sind. Wir wissen, dass Kevin an einer Überdosis gestorben ist und Maxime in seiner Verzweiflung keinen anderen Weg sah, als einen Doppelsuizid zu inszenieren. Dem Film geht es indes nicht darum, Jean mit dieser Erkenntnis möglichst spektakulär zu konfrontieren. Vielmehr zeigt er, wie Jean den Alltag seines verstorbenen Sohnes besser kennenlernen will. Die beiden hatten, wie ein kurzes Telefonat direkt vor Maximes Tod nahelegt, durchaus ein gutes Verhältnis. 7 Minuten ist somit keine dieser Erzählungen, in denen ein Elternteil erst nach dem Ableben des entfremdeten Kindes eine Verbindung zu diesem aufzubauen versucht. Es geht Jean vor allem darum, den eigenen Sohn posthum (noch) besser zu verstehen – sich in ihn und in seine Umgebung einfühlen zu können. Oder sogar ein bisschen in dessen Rolle zu schlüpfen und ihn damit, irgendwie, ein kleines Stück am Leben zu erhalten.

So sucht Jean den queeren Club Bisou auf und kommt Fabien (Clément Naline), einem Freund von Maxime und Kevin, näher. Er gibt sich als Schriftsteller aus und behauptet, über den Club schreiben zu wollen. Fabien findet Gefallen an Jean, der bald die Klamotten seines Sohnes trägt und mehr und mehr in den Club-Kosmos eintaucht. Neben Almodóvar kommen auch Erinnerungen an einige Arbeiten von François Ozon (etwa Swimming Pool, 2003) auf. Die inszenatorische Dichte dieser beiden Regisseure vermag Mastro nicht zu erreichen; obendrein mutet der Film oft ein wenig aus der Zeit gefallen an. Schwulsein wird hier in erster Linie als Schattendasein zwischen Hedonismus und Elegie gedacht; der Song Alone von Offer Nissim und Maya Simantov wird etwas zu häufig als melancholische Untermalung der queeren Lebenswelt eingesetzt.

Seine Stärke zieht 7 Minuten hingegen aus der interessanten Zeichnung der Vaterfigur und aus dem zurückhaltenden Spiel von Antoine Herbez. Jean betritt die Welt seines Sohnes, ohne sie zu (be-)werten. Er sucht Antworten – vor allem aber Nähe. Die Beziehung, die sich zwischen ihm und Fabien allmählich aufbaut, lässt sich nicht auf eine klare Formel bringen. Es geht nicht (nur) um die Entstehung eines Surrogat-Vater-Sohn-Verhältnisses oder um die „Rettung“ eines anderen jungen Mannes als Ersatzhandlung oder um eine Verführung vonseiten Fabiens, die zum Ausleben von Jeans queerer Seite führt. Es ist deutlich komplexer; es scheint um das grundlegende menschliche Bedürfnis nach dem Geben und Empfangen von Zuneigung zu gehen. Herbez verkörpert seine Rolle dabei sehr ergreifend und macht den Wunsch, Liebe geben zu können, spürbar. Eine sehenswerte Performance – gerade weil sie so unaufdringlich daherkommt.

7 Minuten (2020)

„7 Minuten“ erzählt die Geschichte von Jean, einem 55-jährigen Polizisten, der seinen Sohn Maxime und dessen Freund tot in einem Hotelzimmer auffindet. Die Autopsie zeigt, dass Maxime nur sieben Minuten nach seinem Freund an einer Überdosis GHB starb.

In der Hoffnung, mehr über das Leben seines Kindes zu erfahren, zieht es den trauernden Vater schließlich in den Stammclub seines Sohnes: Das BISOU. Dort lernt Jean den jungen Fabien kennen und je mehr Zeit er mit ihm verbringt, desto stärker vermischt sich seine Trauer plötzlich mit dem Wunsch tiefer in die Welt seines Sohnes einzutauchen…

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