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Die Fotografin Claudia Andujar musste mit 13 Jahren vor dem Holocaust fliehen. Im brasilianischen Urwald begegnete sie den von Auslöschung bedrohten Yanomami und beschloss, sich tatkräftig für sie zu engagieren. Der Dokumentarfilm porträtiert die aktivistische Künstlerin und würdigt ihr Lebenswerk.

Die Vision der Claudia Andujar (2024)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Fotografin der Yanomami

In einem Dorf der Yanomami im brasilianischen Amazonasgebiet gehen Schwarz-Weiß-Fotografien von Hand zu Hand. Die Porträts von Kindern, jungen und alten Erwachsenen sind mehrere Jahrzehnte alt und stammen von Claudia Andujar, einer der ersten weißen Personen, die die Indigenen zu Gesicht bekommen hatten. Nun verfassen drei junge Frauen aus dem Dorf, Aldira, Beka und Rilcelia, eine Botschaft an die mittlerweile über 90 Jahre alte weltberühmte Fotografin: „Deine Fotos sind wie eine zärtliche Hand, die die Seele der Menschen berührt.“ Die Frauen vom Kollektiv Audiovisuell Munduruku „Daje Kapap Eypi“ sehen sich in der Nachfolge Andujars, die sich früh für die Rechte der Yanomami engagierte. Sie dokumentieren mit ihrer Kamera die Umweltfrevel illegaler Goldsucher und Holzfäller, stellen die Aufnahmen ins Netz und sagen: „Unser Film ist wie eine Hand, die sich zur Faust ballt.“

In diesem Dokumentarfilm von Heidi Specogna (Cahier Africain), der die Fotografin und Aktivistin Claudia Andujar porträtiert, nimmt die bedrohte Lebenswelt der brasilianischen Yanomami großen Raum ein. Mitte der 1960er Jahre kam die aus Europa nach São Paulo emigrierte Andujar zum ersten Mal in ein Dorf der Indigenen und lebte zwei Jahre mit ihnen. Sie begann erst zu fotografieren, als die Menschen ihr das nötige Vertrauen schenkten. Hauptsächlich in den 1970er Jahren entstanden ihre Porträts Indigener mit bemalten, gepiercten Gesichtern und Körpern, die sie nicht in westlicher Kleidung versteckten. Eine ältere Dorfbewohnerin ist stolz auf die Fotografie, die sie im Alter von circa 15 Jahren zeigt: „Ich galt als schön.“ In Specognas Regiekommentar heißt es, „der offene, unverstellte Blick der porträtierten Menschen in die Kamera, ihre Bereitschaft, sich der Fotografin zu öffnen“, habe sie neugierig auf die Künstlerin gemacht. 

Claudia Andujar erzählt selbst von sich, in einer Galerie, deren Wände ihre berühmten Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Welt der Yanomami zieren. 1931 kam sie in der schweizerischen Heimat der Mutter zur Welt, lebte aber mit den Eltern in Transsilvanien, wo der jüdische Vater zuhause war. Fast die gesamte Familie des Vaters fiel wie er selbst dem Holocaust zum Opfer. Claudine, wie Claudia ursprünglich hieß, floh als 13-Jährige mit ihrer Mutter in die Schweiz und ging kurz darauf nach New York zu einem Onkel, der ihr das Studium finanzieren wollte. Schon mit 17 beschloss sie, wie sie erzählt, ihr eigenes Leben zu führen: „Ich wollte Claudine vergessen“. Sie ließ die Vergangenheit hinter sich, begann zu reisen und für Publikationen wie Life und die New York Times zu fotografieren, fand in Brasilien eine neue Heimat. 

Mit reichhaltigem Archivmaterial aus verschiedenen Jahrzehnten taucht der Film tief in das mit den Yanomami verbundene Lebenswerk Claudia Andujars ein. Im Bestreben, den Rückblick so authentisch wie möglich visuell aufzublättern, wirkt die Filmmontage zuweilen gar etwas sprunghaft und ungeordnet. Man erfährt, dass die Yanomami bis in die 1970er Jahre hinein isoliert von der Welt der Weißen lebten. Doch dann begann Brasilien mit den Rodungen des Urwalds und dem Straßenbau in Gebiete, die reich an Bodenschätzen waren. Die Indigenen starben reihenweise an den Krankheiten der Weißen wie Tuberkulose oder Masern. Andujar und ihr Mitstreiter, der italienische Missionar Carlo Zacquini, holten zwei Ärzte aus São Paulo für eine groß angelegte, ohne Hilfe der Regierung und mit eigenen Mitteln finanzierte Gesundheitsaktion herbei. Die Dorfbewohner*innen mussten dringend geimpft werden, um überleben zu können. Sie bekamen mit Fotografien versehene individuelle Gesundheitsakten. Weil die Regierung argwöhnte, dass Andujar und ihre Mitstreiter das Gebiet besetzen wollten, verbot sie der Fotografin und Aktivistin 1986 den Aufenthalt und die Rückkehr dorthin. Ausschnitte aus einem Archivfilm schildern die Invasion der Goldsucher, die ein Jahr später begann. 

Die Goldsucher brachten Profikiller mit, die die Indigenen in ihren Dörfern ermorden sollten. Gewässer wurden verseucht, Landstriche zerstört. Claudia Andujar verlagerte, begleitet von Einheimischen, ihren Kampf ins Ausland, setzte sich mit ihnen anhand von Vorträgen, Reden, Ausstellungen dafür ein, dass die brasilianische Regierung den Yanomami endlich Gebietsrechte einräumte. Das geschah dann auch Anfang der 1990er Jahre, doch die Freude blieb nicht lange ungetrübt. Denn der Staat achtete nicht auf die Einhaltung der Rechte. Das illegale Treiben der Holzfäller und Goldsucher geht weiter. Nun nimmt eine junge Generation der Indigenen den Kampf in die eigene Hand – mit Hilfe einer globalen Online-Öffentlichkeit und auch, indem sie sich vor Ort den Holzfällern entgegenstellt. 

Auch mit diesem Brückenschlag zur Gegenwart am Amazonas verweist der Film eindrücklich auf die Macht der Bilder, die weltweit informieren, berühren, empören können. Ebenso überzeugend gelingt es ihm, den inhaltlichen Bogen von der frühen Biografie Claudia Andujars zu ihrem Engagement für die Yanomami zu schlagen und zu ihrer Entscheidung, sich dabei nicht nur auf die betrachtende Position hinter der Kamera zu beschränken. 

Die Vision der Claudia Andujar (2024)

Die mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnete Regisseurin Heidi Specogna umfasst in ihrem Dokumentarfilm das Lebenswerk der Künstlerin, Aktivistin und Humanistin Claudia Andujar, die heute zu den renommiertesten Fotografinnen der Welt zählt. Geboren 1931 überlebte sie den Holocaust durch die Flucht in die Schweiz. Seit den 1950er Jahren ist Brasilien ihre Heimat. Dort setzt Heidi Specognas Dokumentarfilm an: Als junge Frau beginnt Claudia Andujar mit ihren Reisen ins Amazonasgebiet und baut engen Kontakt zum Volk der Yanomami auf, mit dem sie bis heute eine große Vertrautheit verbindet. In ihrer Mitte entstehen Andujars berühmteste Fotoreihen, die gleichzeitig politisches Statement sind: Sie bringen die Zerstörung ihrer Lebenswelt, des Regenwaldes, ans Licht der Öffentlichkeit. Zusammen mit den Yanomami kämpft Claudia Andujar über Jahrzehnte gegen den Raubbau im Regenwald und die Vertreibung der dort lebenden Völker.

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