Das Schiff des Torjägers

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gestrandet

Fans des runden Leders dürfte der Name Jonathan Akpoborie noch ein Begriff sein. Immerhin war der aus Nigeria stammende Fußballspieler in der Saison 1994/95 für den Regionalligisten Stuttgarter Kickers mit 37 Toren in 32 Spielen zur Legende gewordener Torschützenkönig. Später trat Akpoborie für den 1. FC Saarbrücken, den FC Carl Zeiss Jena, Hansa Rostock, den SV Waldhof Mannheim, den VfB Stuttgart und für den VfL Wolfsburg an und erzielte bei 144 Bundesligaeinsätzen immerhin 61 Tore. Im Jahre 2001 ging die Karriere, die eigentlich noch eine Weile fortgesetzt werden sollte, dann jäh zu Ende. Was weniger mit sportlichen Gründen als vielmehr einem handfesten Skandal zu tun hatte, dessen Hintergründe bis heute nicht vollständig aufgeklärt werden konnten. Eine 1998 von ihm erworbene Fähre dänischen Ursprungs war im März 2001 vor der Küste Gabuns aufgebracht und umgehend in den Heimathafen Cotonou in Benin zurückgeschickt worden. An Bord des Schiffs mit dem Namen Etireno waren zahlreiche Kinder, die allem Anschein nach als billige Arbeitskräfte oder „Kindersklaven“, wie die Presse und die Organisation „Terre des hommes“ schrieben für das – verhältnismäßig wohlhabende — Nachbarland Benins vorgesehen waren. Obgleich die „Etireno“ von einem Bruder des Torjägers mitbetrieben und ihm selbst bis zum heutigen Tag keinerlei Mitschuld an dem Vorfall nachgewiesen werden konnte, reagierte sein Arbeitgeber, der VfL Wolfsburg umgehend und entließ den Spieler. Dessen Karriere endete daraufhin mehr oder weniger abrupt.
Die Filmemacherin Heidi Specogna hat aus den Vorkommnissen der damaligen Zeit einen sehenswerten Dokumentarfilm geformt, der die „Affäre Akpoborie“ noch einmal genau unter die Lupe nimmt. Das Ergebnis ist ein Film, der ein differenziertes Bild der Wahrheit zeichnet, der Bezug nimmt auf Kinderarbeit, Menschenhandel und Profi-Fußball und dabei manche erstaunlichen Parallelen zu Tage fördert.

Beachtlich dabei ist vor allem, mit welcher Akribie und Ausgewogenheit Heidi Specogna das schwierige Thema angeht, das sie aus verschiedenen Perspektiven in Augenschein nimmt. Jonathan Akpoborie kommt dabei ebenso zu Wort wie zwei ehemalige Passagiere der Etireno, die aus Togo stammende Adakou und Nouman aus Benin. Ihre Geschichten und Erzählungen sowie weitere Interviews mit Peter Pander, dem Manager des VfL Wolfsburg, mit dem Strandwächter Papa Dora, der über die mittlerweile verschrotteten Einzelteile der Etireno wacht und davon erzählt, wie viele Menschen von diesen Metallteilen leben können.

Die Begegnungen beantworten zwar nicht die Fragen nach den Verantwortlichen des Falls des Etireno, sie zeigen aber etwas viel Wichtigeres: Wie komplex, facettenreich, widersprüchlich und undurchschaubar die Themenkomplexe Globalisierung und Entwicklungshilfe mittlerweile geworden und wie vielfältig die wirtschaftlichen Abhängigkeiten gerade in Afrika sind. Unter diesem Primat des kapitalistischen Systems mit seinen endlosen Handelskreisläufen verkehren sich selbst eigentlich gut gemeinte Handlungen wie etwa Akpobories mit besten Absichten vollzogener Kauf eines Schiffs als Hilfe zur Selbsthilfe schnell in ihr Gegenteil. Und sind nicht letzten Endes Talentförderung und Verkäufe von Spielern aus Afrika an die großen Clubs in Europa eine nur unwesentlich andere Form des Menschenhandels? Trotz allem: Jonathan Akpoborie hat im Lauf seiner Karriere viel Glück gehabt – andere Kicker aus Afrika sind in Europa gescheitert. Aber das ist eine ganz andere Geschichte…

Vielleicht fasst ja eine Szene aus dem Film Specognas Haltung ganz gut zusammen: Inmitten der Überreste der Etireno sehen wir Papa Dora am Strand sitzen, er schreibt das Wort „verité“ in den Sand – bis er es lachend, beinahe entschuldigend wieder wegwischt. In Fällen wie diesen ist das mit der Wahrheit eben keine einfache Sache. Doch selbst wenn die Verantwortlichen dieser Affäre nicht genau ausgemacht werden können – Heidi Specognas Beschreibung entwerfen dennoch ein sehr klares Bild, das den Zuschauer ernüchtert zurücklässt. Weil die Komplexität und Vielschichtigkeit einen beinahe verzweifeln lässt, wie man künftig ähnlichen Vorfällen begegnen kann.

Das Schiff des Torjägers

Fans des runden Leders dürfte der Name Jonathan Akpoborie noch ein Begriff sein. Immerhin war der aus Nigeria stammende Fußballspieler in der Saison 1994/95 für den Regionalligisten Stuttgarter Kickers mit 37 Toren in 32 Spielen zur Legende gewordener Torschützenkönig.
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