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In „The Iron Claw“ porträtiert Sean Durkin vier Brüder, die von ihrem Vater zu Wrestlern aufgebaut werden – und fürchten, einem Fluch ausgesetzt zu sein.

The Iron Claw (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Warum widerfährt uns das?“

Seine Werke umweht stets ein kühler Hauch des Horrors. Mit „Martha Marcy May Marlene“ (2011) lieferte der kanadische Drehbuchautor und Regisseur Sean Durkin ein äußerst beeindruckendes und atmosphärisch dichtes Langfilmdebüt. Immer wieder droht das Drama um eine junge Sektenaussteigerin, die Zuflucht bei ihrer älteren Schwester findet, in düstere Thriller-Gefilde zu kippen. Auch sein Nachfolger „The Nest – Alles zu haben ist nie genug (2020) um ein wohlhabendes Ehepaar Mitte der 1980er Jahre verströmt Genre-artiges Unbehagen. Im großen Herrenhaus der O’Haras könnte uns ohne Weiteres eine Spukgeschichte erwarten; stattdessen geht es jedoch in erster Linie um die Entfremdung zwischen den Familienmitgliedern.

Das Milieu, dem sich Durkin nun in seiner neuen Arbeit The Iron Claw widmet, ist abermals ein völlig anderes. Die prägenden Motive seines bisherigen Schaffens – dysfunktionale Familien und diffuse Ängste – lassen sich indes auch hier entdecken. Zum ersten Mal basiert Durkins Skript auf einer realen Begebenheit: Der Film zeigt das Leben der Wrestling-Dynastie Von Erich, bestehend aus den Eltern Fritz (Holt McCallany) und Doris (Maura Tierney) und den gemeinsamen vier Söhnen Kevin (Zac Efron), Kerry (Jeremy Allen White), David (Harris Dickinson) und Mike (Stanley Simons).

Wenn der Patriarch Fritz, dem der Durchbruch als Sportler verwehrt blieb, am Frühstückstisch von einem persönlichen Ranking seiner vier Jungs spricht, ist das toxische Klima in dieser Familie rasch zu spüren. Der Vater macht Druck, die Mutter hält sich raus. Kevin leidet derweil, wie Pam (Lily James), seine Freundin und Ehefrau in spe, schon beim ersten Date feststellt, unter dem „Ältester-Bruder-Syndrom“: Er will allen helfen, für alle sorgen. Einst gab es noch einen älteren Bruder als Kevin; dieser ist aber früh verstorben. Seitdem glauben die Von Erichs an einen Familienfluch, der die jungen Männer im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung (oder eben doch eines Horroreinschubs) wiederholt heimsucht.

Wen erwischt der (vermeintliche) Fluch als Nächstes – und wie wird es geschehen? Beinahe folgt The Iron Claw der Bodycount-Dramaturgie eines Slasher-Movies. Während das Personal solcher Plots meist recht austauschbar ist, geht Durkin in der Figurenzeichnung allerdings in die Tiefe. Der fatale Wunsch, den Eltern unter allen Umständen zu gefallen, und die enge Bande zwischen den Brüdern, die ihre Individualität der „großen Idee“ des Vaters opfern – all das erfassen das Drehbuch, die Inszenierung und nicht zuletzt das durchweg intensiv spielende Ensemble ganz hervorragend. Auch die unentwegte Arbeit am Körper (und dessen Zerstörung) wird schmerzhaft erfahrbar. Für die Wrestling-Kämpfe im Ring finden der Regisseur und sein Kameramann Mátyás Erdély beachtliche Bilder, die nie der Versuchung erliegen, aus dem Gezeigten ein billiges Spektakel zu machen.

Bemerkenswert ist ohnehin, wie The Iron Claw dramatische Situationen, die üblicherweise als klare Höhepunkte und Spannungsmomente in Szene gesetzt würden, ausspart oder unterspielt. Unfälle, Tragödien, Umbrüche – sie passieren hier oft verblüffend nebenbei. Das verleiht ihnen etwas besonders Unabwendbares. Sie deuten sich nicht meilenweit im Voraus an, sie werden nicht offensichtlich vorbereitet und uns nicht in aller Breite präsentiert. Wir werden, wie die Von Erichs selbst, einfach mit ihnen konfrontiert. Dadurch rücken die Ereignisse noch näher in die Horrorsphäre; sie sind dramaturgische Jump Scares, die im Verborgenen der Erzählung lauern. Irgendwo zwischen Der Eissturm (1997) und Hereditary – Das Vermächtnis (2018) schildert Durkin auf faszinierend-unheimliche Art und Weise von familiärer Last und von bitteren Zwängen.

The Iron Claw (2023)

Die wahre Geschichte der unzertrennlichen Von Erich-Brüder, die in den frühen 1980er Jahren in der hart umkämpften Welt des professionellen Wrestlings Geschichte schreiben. Durch Tragödien und Triumphe, im Schatten ihres herrschsüchtigen Vaters und Trainers, streben die Brüder nach Unsterblichkeit auf der größten Bühne des Sports, die größer ist als das Leben.

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