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In seinem Dokumentarfilm „Sonntagskind“ porträtiert Jörg Herrmann die Schriftstellerin Helga Schubert, deren Werk gerade wiederentdeckt wird.

Sonntagskind - Die Schriftstellerin Helga Schubert (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ihr Leben in Geschichten

Helga Schubert wurde im Januar 1940 in Berlin geboren. Sie sei damals, wie sie von ihrer strengen Mutter später erfuhr, ein „unerwünschtes“ Kind gewesen – und habe „Glück gehabt“, lebend durch die Kriegsjahre gekommen zu sein. Ihr Vater, ein Gerichtsassessor, fiel 1941 als Soldat. Das dokumentarische Porträt „Sonntagskind“ widmet sich dem privaten und beruflichen Werdegang der Psychologin und Schriftstellerin, die 2020 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, nachdem sie sich bereits für fast zwei Dekaden aus dem Literaturbetrieb zurückgezogen hatte.

Der Regisseur Jörg Herrmann (Jahrgang 1963) lässt Helga Schubert teilweise via Voice-over, teilweise in Talking-Head-Aufnahmen, aber auch im Dialog mit anderen zu Wort kommen, um ihre eigene Geschichte zu schildern. Wir begleiten sie unter anderem, wie sie in einem Fotoalbum blättert, wie sie auf einem Retro-Fernsehgerät Archivmaterial aus vergangener Zeit sichtet und wie sie mit wichtigen Menschen aus ihrem Leben interagiert, etwa mit einer ehemaligen Schulfreundin, die sie schon seit dem Jahre 1946 kennt, und mit ihrem Sohn, der 1960 aus ihrer ersten Ehe mit dem Maler und Grafiker Rolf Schubert hervorging. Bei diesen filmisch erfassten Begegnungen nehmen wir zuweilen mit den Beteiligten auf einer Parkbank Platz und hören ihren Unterhaltungen zu.

Der Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises hat Helga Schubert als Künstlerin wieder ins kollektive Bewusstsein zurückgerufen. Ihr Erzählungsband Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten, der 2021 veröffentlicht wurde (nach beinahe 20-jähriger Publikationspause), hat sich bisher mehr als 100.000-mal verkauft. Der Film zeigt die Autorin auf Lesungen, Vorträgen und Empfängen. Wir erfahren allerdings auch, dass Schubert niemals wirklich mit dem Schreiben aufgehört hat – auch wenn sie eine Zeit lang nicht im Lichte der Öffentlichkeit stand. Mit ihrem 13 Jahre älteren Ehemann Johannes Helm, einem Maler und früheren Professor für Klinische Psychologie, der seit einem Herzinfarkt pflegebedürftig ist, lebt sie seit 2008 in Neu Meteln bei Schwerin, in der Künstlerkolonie Drispeth.

Es ist spannend, Schuberts Schilderungen zu folgen – zumal die Themen, die sie anspricht, immer noch von hoher Relevanz sind. Als sie nach dem Schulabschluss in Ost-Berlin zu DDR-Zeiten in einem Werk für Fernsehelektronik gearbeitet habe, sei ihr bewusst geworden, dass die Welt anders als in den Büchern sei. Im Alter von 19 Jahren wurde Schubert schwanger – und machte drei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes ihren Abschluss als Diplom-Psychologin. Sie berichtet von ihrer Tätigkeit als klinische Psychologin sowie von ihren Anfängen als Schriftstellerin – und wie sie ins Visier der Stasi geriet. Zur Wendezeit und in den 1990er Jahren war sie als Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches in Berlin politisch sehr aktiv.

Scharfsinnig setzt sich Schubert damit auseinander, wie in den unterschiedlichen Phasen ihres Lebens mit ihr umgegangen wurde und mit welchen Herausforderungen sie sich konfrontiert sah. Ebenso geht sie auf die Unterstützung (etwa durch die Lyrikerin Sarah Kirsch) ein, die sie in ihrer Karriere erhalten hat. Sonntagskind wird dadurch zu einer vielseitigen Betrachtung mit diversen Anknüpfungspunkten.

Sonntagskind - Die Schriftstellerin Helga Schubert (2023)

Die Wiederentdeckung einer Jahrhundertautorin: Helga Schubert. Im zweiten Anlauf im Alter von 80 Jahren mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Literatin, Poetin, Chronistin. Irgendwo im Nirgendwo zwischen Schwerin und Wismar lebt die 83-jährige Helga Schubert, pflegt ihren 95-jährigen kranken Ehemann, den ehemaligen Psychologieprofessor und Maler Johannes Helm und schreibt, wie in den vergangenen Jahrzehnten, jeden Tag an ihren Geschichten. Von hier aus bricht sie, so oft es möglich ist, auf zu Lesungen, Vorträgen und Empfängen, denn seit dem Gewinn des Bachmannpreises im ersten Coronasommer 2020 ist sie wieder eine gefragte Person des öffentlichen Lebens.

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